Wehrdienst, Gaza und Gegenwind: So war der Grünen-Parteitag Von Martina Herzog und Anne-Beatrice Clasmann, dpa
Pflicht-Musterungen, Nahost-Kurswechsel und teurere Privatjet-Flüge:
Was die Grünen auf ihrem Parteitag beschlossen und welche heißen
Eisen sie nicht angefasst haben.
Hannover (dpa) - Neue Akzente in der Nahost-Politik, harte Debatten
zum Wehrdienst und vertagte Fragen: Bei ihrem Bundesparteitag in
Hannover haben die Grünen einiges für sich geklärt, endgültige
Positionierungen zu brisanten Debatten wie Wehrdienst und Rente aber
aufgeschoben. Was beschlossen wurde - und was nicht.
Nur Musterungen sollen verpflichtend sein - vorerst
In der Diskussion um einen neuen Wehrdienst wollen die Grünen
Musterungen für junge Männer verpflichtend machen. «Darüber hinaus
setzen wir klar auf Freiwilligkeit», betont die Partei - will also
keinen verpflichtenden Wehrdienst.
Ein Türchen bleibt aber offen: In einem Diskussionsprozess mit der
Bundestagsfraktion und der Grünen Jugend soll es darum gehen, «welche
militärischen und zivilen Dienstformen - freiwillig, hybride und
verpflichtende - sowie weitere Formen gesellschaftlicher Mitwirkung
zur Gesamtverteidigung und Resilienz beitragen können».
Ein Thema, über dessen Behandlung sich die schwarz-rote Regierung
zuletzt fast zerlegte, verschoben die Grünen. Passagen zum
Rentensystem, die Teil eines Antrags waren, diskutierten die
Delegierten dann doch nicht. Binnen eines Jahres soll ein umfassendes
Konzept entstehen.
Korrektur beim Nahost-Kurs
In der Nahost-Politik vollziehen die Grünen eine Kurskorrektur. Sie
betonen jetzt stärker das Recht der Palästinenser auf
Selbstbestimmung. Die Parteivorsitzende Franziska Brantner bemüht
sich schon länger darum. Auf dem Podium sagt sie, für die Grünen
seien drei Punkte nicht verhandelbar: Das Existenzrecht Israels, das
Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und die Würde eines jeden
Menschen.
Die Bundesregierung sollte gemeinsames europäisches Vorgehen nicht
länger blockieren und den Weg frei machen für eine Teilaussetzung des
EU-Assoziationsabkommens mit Israel, «falls Israel seine
völkerrechtlichen Verpflichtungen weiterhin nicht erfüllt», fordern
die Grünen jetzt. Davon unberührt bleiben müssten die Forschung und
die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. Das
Assoziationsabkommen regelt unter anderem Freihandelsvorteile und
Zollerleichterungen für den Handel.
Nach intensiven Diskussionen sprechen sich die Delegierten am Ende
gegen eine sofortige Anerkennung Palästinas als Staat aus. Sie soll
aber auch nicht erst am Ende eines Verhandlungsprozesses stehen, so
wie es die schwarz-rote Bundesregierung sieht. Stattdessen einigen
sich die Grünen darauf, diese Anerkennung durch Deutschland solle «im
aktuellen Friedensprozess» ein «prioritärer Schritt» sein.
Für mehr digitale Unabhängigkeit
Besorgt zeigen sich die Grünen über die digitale Abhängigkeit
Deutschlands von außereuropäischen Anbietern. «Ob Cloud-Dienste,
Betriebssysteme, KI-Anwendungen oder sicherheitskritische Hardware,
zentrale technologische Infrastrukturen stammen überwiegend aus den
USA oder China», heißt es in einem Beschluss. Deutschland und Europa
müssten strategisch umsteuern und eigene technologische Kapazitäten
aufbauen.
Anspruch: emotionale Heimat nicht nur für Besserverdiener
Die Grünen sollten emotionale Heimat sein für viele Menschen, auch
für Paketboten und Drogeriemarkt-Kassiererinnen, verlangt
Co-Parteichef Felix Banaszak. Hart arbeitende Menschen solle die
Partei mit ihren Konzepten für den Klimaschutz nicht vor den Kopf
stoßen. Die Rechnung für notwendige Klimaschutz-Maßnahmen, etwa im
Gebäudebereich, müssten diejenigen bezahlen, die sich das leisten
könnten. Das sei auch deshalb gerecht, weil diese mit ihrem
Lebensstil deutlich mehr zur Erderwärmung beitrügen, argumentiert er.
Höhere Abgaben für Luxus-Flüge
Flüge mit dem Privatjet sowie in der Frist- und Business-Class sollen
nach dem Willen der Grünen teurer werden. «Mit Privatjets schädigen
Superreiche das Klima und verantworten mit ihrem Luxus in besonderem
Maße die Zerstörung unserer Erde», heißt es in einem verabschiedete
n
Antrag. Die Grünen setzen sich deshalb für den Beitritt zu einer
Initiative mehrerer Staaten ein, die sich für eine Extra-Abgabe auf
Luxus-Flugreisen einsetzen.
Nach dem Vorbild Frankreichs bedeute das für jeden Passagier im
Privatjet eine Abgabe von 420 Euro innereuropäisch und bis zu 2.100
Euro bei internationalen Flügen, rechnen die Grünen vor.
Ein Dauerstreitthema hatten die Grünen bereits zum Auftakt abgeräumt:
Die gesetzlichen Krankenkassen sollen homöopathische Behandlungen
künftig nicht mehr erstatten. Das Deutschlandticket soll nach dem
Willen der Partei wieder neun Euro pro Monat kosten. Die Gasförderung
vor der Insel Borkum will die Partei stoppen.
Steuereinnahmen aus Immobilienverkaufsgewinnen
Eine Mehrheit findet auch ein Vorschlag zu Schließung von
«Gerechtigkeitslücken im Steuersystem». Er sieht unter anderem vor,
die zehnjährige Spekulationsfrist beim Verkauf von Immobilien
abzuschaffen. Nach geltender Rechtslage sind Gewinne aus
Immobilienverkäufen steuerfrei, wenn sie mehr als zehn Jahre nach dem
Erwerb verkauft werden. Die Grünen wollen Immobilien wie andere
Kapitalerträge besteuern. Die geltenden Ausnahmen für selbst bewohnte
Immobilien sollten aber beibehalten werden.
Ganz viel Wind
Auch wenn sich inhaltlich manches verschiebt - Parteitraditionen
wollen gepflegt werden. Bei der nächtlichen Party in einem Saal auf
dem Messegelände legt die Co-Vorsitzende, Franziska Brantner, auf -
wie schon ihr Vorgänger Omid Nouripour. Einige Delegierte packen
während der Debatten Strickzeug aus.
Rednerinnen und Redner bemühen eifrig die liebste Wetter-Metapher der
Grünen. Mal heißt es, «der Wind bläst uns ganz schön ins Gesicht
»,
mal werden Parteifreunde gelobt, die «im Wind stehen» oder viel
«Gegenwind» aushalten müssen. Fest steht: Die Grünen sehen sich in
stürmischen Zeiten.
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