Eskalation im Prozess gegen Magdeburger Todesfahrer Von Dörthe Hein, dpa

Bevor er über den Magdeburger Weihnachtsmarkt fuhr, lebte er
zurückgezogen und in der digitalen Welt. Vor Gericht besteht er auf
seiner Sicht der Dinge. Es eskaliert im Verhandlungssaal.

Magdeburg (dpa/sa) - Unzählige Male hat der Vorsitzende Richter den
Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt an diesem Tag schon
ermahnt, sich an die Regeln zu halten und nicht abzuschweifen. Kurz
vor Ende des Verhandlungstages macht er seine Ankündigung wahr. Er
schaltet dem 51-Jährigen in seiner Glaskabine das Mikrofon ab. Da
eskaliert die Lage. Zuschauer sehen, wie die maskierten Spezialkräfte
der Justiz den Angeklagten überwältigen. Er war aufgesprungen. Ein
Zuschauer berichtet, er habe wohl in Richtung der Tür der Glaskabine
gelangen wollen, in der er gemeinsam mit seinen Anwälten sitzt. 

Nach einer kurzen Pause sprach Sternberg in ruhiger Art von einem
Ausraster des Angeklagten. An den wieder in den Saal geführten Taleb
al-Abdulmohsen richtete er sich mit den Worten: «Ich verstehe, dass
das Sie mitnimmt und dass es Ihr Thema ist. Bloß alles zu seiner
Zeit.» Im Prozessrecht gebe es bestimmte Möglichkeiten, zu fragen und
zu erklären. Zu der Eskalation war es gekommen, während ein
Gründungsmitglied einer Kölner Flüchtlingshilfeorganisation auf dem
Zeugenstuhl saß. Gegen den Verein erhebt der Mann aus Saudi-Arabien
massive Vorwürfe, in einem Zivilprozess unterlag er.

Der Angeklagte gerät in Rage

Der 51-Jährige meldet sich im Prozess immer wieder ausschweifend zu
Wort, befragt Zeugen scharf und redet sich in Rage. Einen seiner
ehemaligen Rechtsanwälte ging er am Dienstag vor Gericht massiv
verbal an. «Er hat keine Ahnung», sagte Taleb al-Abdulmohsen mehrfach
über den Juristen. Der 51-Jährige aus Saudi-Arabien bat das Gericht,
Ermittlungen gegen den Mann einzuleiten. Er zweifelte schließlich an,
dass es sich um den Rechtsanwalt handele, mit dem er einst gesprochen
habe. 

Der Angeklagte geriet so in Rage, dass sich Spezialkräfte der Justiz
hinter ihn stellten. Sonst sitzen sie mit ihm in einer Glaskabine.
Der Prozess findet unter besonders hohen Sicherheitsvorkehrungen
statt. Der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg sagte zu dem
Angeklagten, der bis zur Tat als Psychiater im Maßregelvollzug für
psychisch kranke Straftäter arbeitete: «Fahren Sie mal eine Stufe
runter.». 

«Es ging eigentlich immer nur um ihn selbst»

Zuvor hatte der Rechtsanwalt, der als Zeuge aussagte, mehrere Fragen
des Angeklagten etwa zu Mails und Terminen nicht beantworten können.
Der Jurist hatte den Angeklagten 2023 und 2024 im Zusammenhang mit
einem zivilrechtlichen Verfahren vertreten. Er berichtete,
al-Abdulmohsen sei von Anfang an sehr Ich-bezogen gewesen. «Es ging
eigentlich immer nur um ihn selbst.» 

Beim ersten Treffen sei er noch «sehr freundlich, sehr korrekt in
seinem Auftreten» gewesen. Das sei dann gekippt, als er ihm die
fehlenden Erfolgsaussichten erklärt habe. Sein Mandant habe
Tatsachenbehauptungen nicht beweisen können, sei ungeduldig geworden,
Mails seien immer umfangreicher geworden. Nachdem das Mandat schon
beendet gewesen sei, habe er eine Mail mit massiven Drohungen von
al-Abdulmohsen erhalten. Der behauptete auch im Gericht wieder, der
Anwalt habe Akten vor ihm versteckt.

Rechtsanwalt bezeichnet Angeklagten als «sehr massiv»

Ein zweiter Rechtsanwalt, der al-Abdulmohsen in verschiedenen
Verfahren vertrat, bezeichnete ihn als «sehr massiv». Er sei sehr
engagiert gewesen und nicht bereit, nachzugeben. Er habe sein
Anliegen mit Nachdruck verfolgt, habe immer sofort einen Termin haben
wollen. Auch diesen Anwalt befragte der Angeklagte immer wieder zu
Akten und deren Verbleib sowie zu Mails. Er machte ihm Vorwürfe, eine
Fristverlängerung nicht in die Wege geleitet zu haben.

Kaum direkte soziale Kontakte, aber viele in der digitalen Welt

Ein Polizeibeamter, der nach der Tat im persönlichen Umfeld
al-Abdulmohsens ermittelte, zeichnete von ihm ein Bild eines
abgeschottet lebenden Menschen. Bei Befragungen in seiner ehemaligen
Nachbarschaft in Bernburg hätten nur sehr wenige Menschen angegeben,
ihn zu kennen. Vielmehr sei er aktiv in sozialen Netzwerken gewesen,
weit mehr als 1.000 Posts bei X seien ausgewertet worden. «Es gab
viele Kontakte, mit denen er kommuniziert hat», so der Beamte. Im
Zuge seines Asylaktivismus sei er von vielen Personen angeschrieben
worden, etwa von Frauen aus dem arabischen Raum, die ihn zu Fragen
zum Asyl und um Rat gebeten.

Auseinandersetzung mit einer Flüchtlingshilfe-Organisation

Im bisherigen Prozess hatte der Angeklagte wie auch schon in den
Jahren vor seiner Tat immer wieder massive Vorwürfe gegen eine Kölner
Flüchtlingshilfe-Organisation vorgebracht. In einem Zivilverfahren
verlor der Angeklagte gegen den Verein. Ein Mitglied des Vereins
berichtete, wie sich der Angeklagte 2017 bei ihm meldete und nach
Hilfe für einen saudischen Flüchtling fragte, er habe den Kontakt zur
Organisation vermittelt. 

Später habe sich die Wut al-Abdulmohsens in der Kommunikation auf der
Plattform X gesteigert, seine Vorwürfe seien immer wirrer geworden,
am Ende sei es nur noch Hetze gewesen. Er habe ihn daraufhin
geblockt. Dieser habe die Organisation beschuldigt, hilfesuchende
Frauen sexuell zu missbrauchen oder unter Druck zu setzen, auch gegen
den deutschen Staat habe er Vorwürfe erhoben.

Der Vorsitzende Richter bremst den Angeklagten immer wieder

Ein Gründungsmitglied der Flüchtlingshilfe erklärte, aus Sicht der
Organisationen seien nur Kleinigkeiten passiert, etwa habe man eine
Handreichung des Angeklagten für Ex-Muslime als unbrauchbar
zurückgewiesen. Für al-Abdulmohsen sei es offenbar anders gewesen, er
habe dann zu Diffamierungen gegriffen.

Im Gerichtssaal holte der Angeklagte immer wieder weit aus und wurde
vom Vorsitzenden Richter Sternberg gebremst. Fragen an die Zeugen
seien erlaubt, keine langen Vorhalte. Und nach den Zeugenaussagen
seien Erklärungen eben dazu möglich. Sternberg kündigte an, dem
Angeklagten bei «Rundumschlägen» das Mikrofon abzustellen. 

Angeklagter befindet sich weiter im Hungerstreik

Am 20. Dezember 2024 war der Mann aus Saudi-Arabien mit einem mehr
als zwei Tonnen schweren und 340 PS starken Mietwagen mit bis zu 48
Stundenkilometern über den Weihnachtsmarkt gerast. Es starben sechs
Menschen, mehr als 300 wurden verletzt. Al-Abdulmohsen hat die Tat
gestanden. 

Immer wieder Thema im Prozess ist auch ein Hungerstreik des
Angeklagten. Der Vorsitzende Richter Sternberg fragte ihn erneut, ob
er sich verhandlungsfähig fühle. Der 51-Jährige antwortete mit einem

klaren Ja. Nach eigenen Worten befindet er sich seit dem 10. November
im Hungerstreik, an dem Tag hatte der Strafprozess gegen ihn
begonnen. 

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. Dann sollen die ersten
Betroffenen der Tat als Zeugen zu Wort kommen.

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