Warum Mehrfach-Impfungen das Immunsystem nicht überfordern Von Sebastian Fischer, dpa

Grippe, Corona, Gürtelrose - gegen alles auf einmal impfen? Viele
fragen sich, ob das dem Körper schadet. Was das RKI und die Stiko
dazu sagen - und worin der Vorteil von Kombi-Impfstoffen liegt.

Berlin (dpa) - Im Herbst kann Impfung auf Impfung folgen: Die
Immunisierung gegen Gürtelrose wird nun auch für Risikogruppen unter
50 Jahren empfohlen. Daneben stehen für viele jahreszeitbedingt der
Grippe- und Coronaschutz an. Da drängt sich eine Frage auf:
Verkraftet das der Körper überhaupt? 

Kann man mehrere Pikse ohne Bedenken auf einmal erhalten?

Ja, heißt es vom Robert Koch-Institut (RKI). Der Körper werde durch
eine parallele Verabreichung nicht überfordert. «Das Immunsystem ist
so leistungsfähig, dass es auf eine sehr große Anzahl von Impfstoffen
gleichzeitig reagieren könnte», so das RKI.

Durch eine Spritze wird die harmlose Version eines Krankheitserregers
oder nur ein Teil davon in den Körper injiziert. Der Körper bildet
daraufhin Antikörper und Gedächtniszellen, die bei einem Kontakt mit
dem echten Krankheitserreger sofort reagieren können.

Braucht es bestimmte Wartezeiten zwischen den Spritzen?

Der Ständigen Impfkommission (Stiko) zufolge können oft mehrere
Lebendimpfstoffe in einem Rutsch verabreicht werden. Sie bestehen aus
abgeschwächten, vermehrungsfähigen Viren oder Bakterien und kommen
etwa gegen Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken zum Einsatz.

Werden Lebendimpfstoffe jedoch nicht beim selben Termin verabreicht,
sollten mindestens vier Wochen vergehen, weil für einen gewissen
Zeitraum typische Reaktionen wie Schmerzen an der Einstichstelle
auftreten können. 

Zwischen mehreren Totimpfstoffen sowie zwischen Tot- und
Lebendimpfstoffen muss nach Stiko-Angaben in den meisten Fällen kein
zeitlicher Abstand eingehalten werden. Die Präparate mit abgetöteten,
nicht mehr vermehrungsfähigen Krankheitserregern werden etwa gegen
Gürtelrose, Hepatitis B, Diphtherie oder Wundstarrkrampf (Tetanus)
sowie in den meisten Grippe-Impfstoffen eingesetzt. Auch genbasierte
Produkte, die besonders durch die mRNA-Spritzen gegen das Coronavirus
bekannt wurden, sind den Totimpfstoffen zuzuordnen, weil sie keine
vermehrungsfähigen Erreger enthalten.

Gibt es eine Maximalzahl an gleichzeitigen Immunisierungen?

Die Stiko, die wissenschaftliche Empfehlungen für Impfungen in
Deutschland erarbeitet, gibt nicht verbindlich an, wie viele
Injektionen auf einmal verabreicht werden können. Eine solche
Entscheidung müssten Betroffene mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt
treffen, heißt es vom RKI, an dem die Stiko angesiedelt ist.

Manche Hausärzte mögen zögern, sehr viele Stiche auf einmal zu
verteilen, sagt der Dortmunder Immunologe Carsten Watzl. «Nicht etwa,
weil sie die Stiko-Empfehlung nicht kennen, sondern weil sie
befürchten, dass bei mehreren Impfungen gleichzeitig die
Impfreaktionen zu hoch sein könnten.» Außerdem sei es dann leichter,

wenn tatsächlich schwerere Reaktionen oder Nebenwirkungen auftreten
sollten, diese einem bestimmten Mittel zuordnen zu können, so der
Immunologe.

Mit einem Mal gegen Grippe und Corona?

Diese beiden Immunisierungen können gleichzeitig gegeben werden. «Sie
wirken beide genauso gut, wie wenn man sie einfach verabreicht», sagt
Watzl. Die Stiche sollten nach Empfehlung der Stiko an
unterschiedliche Gliedmaßen - also etwa in verschiedene Oberarme -
gesetzt werden. Es seien bisher keine schwerwiegenden
Unverträglichkeiten durch die gleichzeitige Gabe von mRNA-Impfstoffen
gegen Covid und Influenza-Impfstoffen beschrieben worden, so die
Behörde.

Sind Kombi-Impfstoffe besser?

Diese Präparate sind genauso sicher wie einzelne Dosen, haben aber
den Vorteil, dass sie die Zahl der nötigen Injektionen verringern.
Sie schützen also mit nur einem Stich vor mehreren Krankheiten
gleichzeitig. Das bedeutet: weniger Arztbesuche, weniger Stress und
ein geringeres Risiko für unerwünschte Reaktionen wie etwa Schmerzen
an der Einstichstelle. Die Stiko empfiehlt sogar den Griff zu
Kombi-Mitteln.

Es gibt etwa Sechsfach-Impfstoffe, die gegen Diphtherie, Tetanus,
Kinderlähmung, Haemophilus influenzae Typ b (Hib), Keuchhusten und
Hepatitis B wirken, oder Vierfach-Präparate gegen Masern, Mumps,
Röteln und Windpocken. Nach Angaben des Bundesinstituts für
Öffentliche Gesundheit sind die Wirkstoffe so aufeinander abgestimmt,
dass sie das Immunsystem nicht überfordern - auch nicht das von
Säuglingen und Kleinkindern.

«Wenn ich einen Sechsfach-Impfstoff erhalte, bekomme ich nicht
sechsmal so starke Impfreaktionen», beruhigt Watzl, sondern nur in
dem Maß wie bei dem Bestandteil mit der stärksten Reaktion.

Was gilt bei Kindern?

Es stimmt, dass der Nachwuchs heutzutage gegen mehr Krankheiten
immunisiert wird als früher. Dabei werden jedoch weniger Bestandteile
des Erregers übertragen, die eine Immunantwort im Körper auslösen,
als damals. Die Präparate sind heute hoch gereinigt und enthalten
zumeist nur einzelne Teile des Erregers. 

«Bestimmte Infektionen können bei Säuglingen und Kleinkindern zu
einem deutlich schwereren Krankheitsverlauf führen als bei älteren
Kindern, zum Beispiel, weil die Atemwege bei Säuglingen noch sehr eng
sind oder weil ihr sich noch entwickelndes Immunsystem bestimmte
Infektionen nicht wirksam abwehren kann», schreibt das RKI.
«Impfungen zum empfohlenen Impfzeitpunkt schützen Säuglinge und
Kleinkinder vor Infektionen und möglichen schweren Folgen.» Sie seien
auch im Säuglingsalter verträglich.

Gibt es auch Mittel, die nicht gleichzeitig verabreicht werden
sollen?

Das kann in Einzelfällen vorkommen. So wird aktuell etwa beim in
Deutschland zugelassenen Lebendimpfstoff Ixchiq (Valneva) gegen das
von Stechmücken übertragene Chikungunyafieber wegen der fehlenden
Datenlage von einer gleichzeitigen Immunisierung gegen andere
Erkrankungen abgeraten. Auskünfte wie diese sind in den
Fachinformationen oder der Packungsbeilage zum jeweiligen Produkt zu
finden.

In der Tropenmedizin sind Mehrfachverabreichungen aber gängig, allein
weil die Betroffenen selbst unter einem gewissen Zeitdruck bis zur
anvisierten Fernreise stehen. «Reisemediziner kennen es, viele
Impfungen auf einmal zu geben», sagt Watzl.

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