Merz und Unionsjugend im Rentenkonflikt - und nun? Von David Nau und Michael Donhauser, dpa

Die JU bejubelt Kritiker und schweigt bei Merz: Im Streit ums
Rentenpaket kracht es zwischen Parteinachwuchs und Kanzler. Was das
für das Vorhaben und die Koalition bedeutet.

Rust (dpa) - Bislang war die Junge Union für den Kanzler eine sichere
Machtbasis. Im Wahlkampf klebte der Parteinachwuchs unermüdlich
Plakate und stand bei Wind und Wetter an der Seite von Friedrich
Merz. Doch der Streit um das Rentenpaket der Regierung entzweit beide
Seiten: Beim Deutschlandtag der JU wird es bei der Rede des Kanzlers
erst immer stiller, in der Aussprache bekommt er dann kaum noch
Applaus. Kritische Fragen der Delegierten werden hingegen frenetisch
bejubelt. Kann die JU, die mehrere Bundestagsabgeordnete stellt, das
Vorhaben kippen?

Der Kanzler stellte sich in seiner Rede am Samstag im südbadischen
Rust hinter den Gesetzentwurf seiner schwarz-roten Koalition und
damit gegen den Parteinachwuchs. Der fühlte sich vom Kanzler
regelrecht abgekanzelt und will an seiner Ablehnung des
Gesetzespakets festhalten. Und CSU-Chef Markus Söder, in der Union
ein wichtiger Machtfaktor? Er trat einen Tag nach Merz am Sonntag am
selben Ort auf - und zeigte gleichermaßen Verständnis für Merz und
die Kritik der Jungen.

Worum geht es beim Streit? 

Im Zentrum steht die sogenannte Haltelinie bei der Rente, also das
Absicherungsniveau der Rente im Verhältnis zu den Löhnen. Im
Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD vereinbart, bis 2031 die
Haltelinie für das Rentenniveau bei 48 Prozent zu verlängern. In dem
vom Kabinett beschlossenen Rentengesetzentwurf ist außerdem aber
vorgesehen, dass auch nach 2031 das Rentenniveau um rund einen
Prozentpunkt höher als im geltenden Recht liegen soll. Die Junge
Gruppe der Unionsabgeordneten im Bundestag moniert das und
argumentiert, dass das nicht im Koalitionsvertrag vereinbart ist.

Was sagt die Junge Union? 

Die Junge Union und auch die jungen Abgeordneten im Bundestag haben
die Sorge, dass die Folgekosten den finanziellen Spielraum im
nächsten Jahrzehnt massiv einschränken und zulasten der
Beitragszahler und damit der jungen Generation gehen. JU-Chef
Johannes Winkel hatte vor den Delegierten in Rust klargestellt:
«Dieses Rentenpaket mit den Folgekosten von 120 Milliarden Euro über
den Koalitionsvertrag hinaus, das darf auf keinen Fall so kommen.»

Was meint Bundeskanzler Merz? 

Merz dagegen will zustimmen. «Ja, ich werde mit gutem Gewissen diesem
Rentenpaket zustimmen, wenn wir es im Deutschen Bundestag zur
Abstimmung vorliegen haben», sagte er in seiner Rede. Er forderte den
Parteinachwuchs auf, sich an der Debatte konstruktiv zu beteiligen.
«Aber nicht, indem ihr sagt, was nicht geht», forderte er. Man müsse

gemeinsam diskutieren, was gehe. «Glaubt jemand ernsthaft, dass wir
einen Unterbietungswettbewerb gewinnen? Wer bietet das niedrigste
Rentenniveau?», rief Merz in den Saal. «Das kann doch nicht euer
Ernst sein!» Damit gewinne man keine Wahlen. 

Knickt Merz angesichts der Kritik ein?

Im «Bericht aus Berlin» hielt Merz den Kritikern entgegen, dass der
zur Rede stehende Rentengesetzentwurf genau dem Koalitionsvertrag
entspreche. In ihm gehe es um die Zeit bis 2031. «Ich unterstütze es,
dass wir für die Zeit nach 2031 in unserem Rentensystem grundlegend
etwas ändern.» Dafür werde noch in diesem Jahr die Rentenkommission
eingesetzt. «Die wird auch so besetzt werden, dass diejenigen, die
das jetzt alles kritisch sehen, mit dabei sind.» Die Kommission solle
noch vor der Sommerpause 2026 ihre Arbeit abschließen. Unmittelbar
danach werde das Gesetzgebungsverfahren beginnen. 

Man könne diese Schrittfolgen auch in einem «Begleittext», etwa einem

Entschließungsantrag, zum aktuellen Gesetzesentwurf klarstellen,
sagte Merz in der ARD. Er versicherte, dass er sich um die
Zusammenarbeit mit der Jungen Union und auch mit der Jungen Gruppe im
Bundestag bemühe. «Aber ich bin als Bundeskanzler nicht nur einer
Gruppe gegenüber verantwortlich, ich bin gegenüber dem ganzen Land in
der Verantwortung.»

Und Söder?

Der bayerische Ministerpräsident zeigte Verständnis für den Kanzler.

Er werde Merz nicht in den Rücken fallen, sagte er beim
Deutschlandtag. «Friedrich Merz muss auch eine Koalition
zusammenhalten.» Söder sprach sich aber für weitere Verhandlungen mit

der SPD aus. «Ich finde, ihr habt schon gute Argumente, und man muss
sie auch wägen und beachten. Und wir müssen darüber auch mit der SPD

reden», sagte Söder an die JU gerichtet. Und mit Blick offensichtlich
auf SPD-Chef Lars Klingbeil, der zuvor Änderungen ausgeschlossen
hatte: «So ein reines SPD-Basta von der Seite geht auch nicht.»

Um wie viel Geld geht es? 

Die Junge Union geht davon aus, dass durch den Gesetzentwurf ab 2031
zusätzlich 118 Milliarden Euro an Belastungen auf die sozialen
Systeme und letztlich den Steuerzahler zukommen könnten. Merz sieht
das anders und argumentiert, dass er davon ausgeht, dass vorher
andere Entscheidungen getroffen werden. «Wir werden alles tun, dass
es nicht zu dieser Belastung kommt», sagte Merz. 

Ist das ein Generationenkonflikt? 

Nicht wirklich. Die Konfliktlinien gehen quer durch die Union. Merz'
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) teilt Argumente der JU.
Die umlagefinanzierte Rente dürfe nicht zu einer weiteren Belastung
der Lohnnebenkosten führen - Reformen seien unumgänglich. Insofern
habe die Junge Gruppe der Unionsabgeordneten recht, sagte die
52-Jährige. Später ergänzte sie: «Wir haben im Kabinett den
vorliegenden Gesetzentwurf beschlossen. Die Kommission zur
Rentenreform wird bald ihre Arbeit aufnehmen. Wenn der Gesetzentwurf
die Beratungen des Bundestags erfolgreich passiert hat, wofür ich
werbe, müssen die Ergebnisse der Rentenreform-Kommission noch in
dieser Legislaturperiode in die Gesetzgebung einfließen.»

Unterstützung bekam die JU von Baden-Württembergs CDU-Landeschef
Manuel Hagel, der weitere Verhandlungen forderte. Wenn der Entwurf
von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) eins zu eins komme, brauche es
keine Rentenkommission mehr. Diese soll eigentlich Reformvorschläge
machen. «Das einzige, was ihr in der Rentenkommission noch werdet tun
können, ist Kaffee trinken, Kuchen essen und euch überlegen, ob ihr
120 Milliarden oder 150 Milliarden zuschießt», sagte der 37-Jährige.


Selbst der Chef der Senioren Union, der 69-jährige Hubert Hüppe,
äußerte Verständnis für die Jungen. «Die Sorgen der jungen Genera
tion
sind berechtigt, insbesondere mit Blick auf die Finanzierung der
Rente und den demografischen Wandel», sagte er dem Redaktionsnetzwerk
Deutschland.

Wie gefährlich könnte das für die Koalition werden? 

Bleibt die Junge Gruppe der Unionsabgeordneten bei ihrer Ablehnung,
fehlt der Koalition eine sichere eigene Mehrheit. Der Gruppe gehören
18 Abgeordnete an, CDU, CSU und SPD haben im Bundestag aber nur eine
Mehrheit von 12 Stimmen.

Es könnte allerdings gut sein, dass bei der Abstimmung etwa wegen
Krankheitsfällen nicht alle Abgeordneten anwesend sind und damit die
erforderliche Stimmenanzahl geringer ausfällt. Denn bei der
Abstimmung über einfache Gesetze reicht die einfache Mehrheit der
abgegebenen Stimmen. Ohne die 18 Stimmen der Jungen Gruppe hat die
Koalition noch 310 Stimmen. Die würden für eine eigene
Koalitionsmehrheit reichen, wenn alle diese 310 Abgeordneten anwesend
wären und mit Ja stimmen würden - und von der Opposition mindestens
11 fehlten. Dann wären es insgesamt 619 abgegebene Stimmen und die
erforderliche Mehrheit wäre genau 310.

Allerdings lässt sich das schwerlich vorausberechnen. Womöglich
bestünde auch noch die Gefahr, dass das Vorhaben mit Stimmen der AfD
oder Linken durchgehen könnte. Beides wäre ein extremes Risiko für
die Koalition und für Merz.

Wie geht es weiter?

Nun dürfte erneut gesprochen werden. Fraktionschef Jens Spahn (CDU)
bot dem Parteinachwuchs in Rust an, die Gespräche über das Thema
fortzusetzen. Man könne nicht aufhören, miteinander zu schauen, wie
man eine akzeptable Lösung finde.

Potenziellen Überlegungen, auch mit der SPD noch einmal ins Gespräch
über das Vorhaben zu kommen, wie von CSU-Chef Söder angedeutet,
erteilte SPD-Chef Klingbeil am Wochenende allerdings direkt eine
Absage. «Ich sage euch in aller Klarheit: An diesem Gesetz wird
nichts mehr geändert», sagte der Vizekanzler beim Landesparteitag der
SPD Baden-Württemberg in Ulm. «Wir stehen beim Thema Rente. Das
werden wir im Bundestag verabschieden.»

Was das Rentenpaket noch umfasst 

Es ist ein klassischer Kompromiss der drei Koalitionsparteien. Neben
der Haltelinie sieht es auch Unionsprojekte wie die Ausweitung der
Mütterrente vor, die besonders der CSU am Herzen liegt, und die
Aktivrente. CDU-Fraktionschef Spahn ist klar, dass das Vorhaben
hinsichtlich der Stabilisierung des Rentenniveaus eines der
wichtigsten Anliegen der SPD ist: Das Thema sei für den
Koalitionspartner beim Eintritt in das Regierungsbündnis in etwa so
wichtig gewesen wie für die Union der Politikwechsel bei der
Migration, sagte er.

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