Vom Herzchirurg zum Landarzt Von Janet Binder und Sina Schuldt
Umeswaran Arunagirinathan flüchtete als Kind nach Deutschland,
studierte Medizin, wurde Herzchirurg und schrieb Bücher über seine
Geschichte. Nun geht «Dr. Umes» beruflich einen neuen Weg.
Bremen (dpa) - Zum Berufsalltag von Umes Arunagirinathan gehörten bis
vor kurzem Bypass-Operationen oder das Einsetzen von Herzklappen. Das
hat sich grundlegend geändert. Seit ein paar Wochen verschreibt der
Mediziner seinen Patienten Grippemittel, misst Blutdruck und macht
Hausbesuche. Umes Arunagirinathan bildet sich in einer Landarztpraxis
im niedersächsischen Heiligenrode vom Herzchirurgen zum Hausarzt
weiter. «Es ist gar nicht so einfach, vom Spezialisten zum Allrounder
zu werden», sagt der 47-Jährige. «Die Lernkurve ist hoch, es macht
sehr viel Spaß.»
Mit seinen Patienten duzt er sich, er lässt sich von ihnen Dr. Umes
nennen. Einen weißen Kittel trägt er bewusst nicht. «Hier ist man
nahbar», sagt er. Für Gespräche, wie er sie jetzt mit seinen
Patienten führt, sei im Klinikalltag keine Zeit gewesen. Mal erfährt
er von familiären Sorgen, mal motiviert er zur Eigenverantwortung.
«Ich sehe mich als Helfer.» Muss er mal eine lebensverändernde
Diagnose übermitteln, bietet er schon mal eine tröstende Umarmung an.
Er freue sich, keine 24-Stunden- und keine Wochenenddienste mehr
machen zu müssen. «Jeden Abend zu Hause sein zu können, ist
Lebensqualität», sagt Arunagirinathan. Auch dass es in der Praxis
keine Hierarchie mehr gebe, sei für ihn von Vorteil. «Das war im
Krankenhaus anders.» Das einzige, was ihn störe, sei die Bürokratie.
Einige seiner neuen Patienten kannten den Lebensfreude ausstrahlenden
Mediziner aus dem Fernsehen. Dort war er bereits in mehreren
Talkshows eingeladen. Denn er hat inzwischen sechs Bücher
geschrieben, darunter drei «Spiegel»-Bestseller - über seine
bewegende Lebensgeschichte, über Rassismus, zu Missständen im
medizinischen System und zuletzt den Ratgeber «Herzensdinge», in dem
er Tipps gibt, wie das Organ lange im Takt bleibt.
Vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka nach Deutschland geflüchtet
Arunagirinathan wuchs in Sri Lanka auf, verkaufte auf der Straße
Obst, um seine Familie zu unterstützen. Mit zwölf Jahren flüchtete er
allein auf abenteuerliche Weise vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland.
Er wurde von Verwandten in Hamburg aufgenommen, machte dort Abitur.
«Hamburg war das Paradies für mich», sagt er rückblickend. «Es ha
t
mir Frieden, Liebe und Geborgenheit geschenkt.» Zwischenzeitlich war
er allerdings von Abschiebung bedroht. Sein Klassenlehrer setzte sich
ein, dass er bleiben konnte. Inzwischen hat er den deutschen Pass.
Dass er Arzt werden wollte, stand für Arunagirinathan schon früh
fest. Ein Grund war, dass eine seiner Schwester früh an einer
Nierenkrankheit starb. Er studierte Medizin in Lübeck, wurde
Assistenzarzt für Herz- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf.
«Es bringt nichts, Opfer zu sein»
Beruflich kam er dort jedoch nicht weiter. Das hatte seiner Ansicht
nach auch mit Rassismus zu tun - ein Thema, das ihn immer wieder
betrifft und umtreibt. «Es hat mich motiviert, zu schreiben», sagt
er. 2017 wurde «Der fremde Deutsche» veröffentlicht, in dem er seine
eigene Identität thematisiert. «Ich bin kein Schriftsteller, ich
halte mich aber für einen politischen Menschen. Wenn ich die
Möglichkeit habe, den Mund aufzumachen, dann tue ich das. Es bringt
nichts, Opfer zu sein.» Er wolle negative Energie in positive
umwandeln und anderen Menschen Mut machen.
Die Möglichkeit, seine Facharztausbildung zum Herzspezialisten
abzuschließen, erhielt er schließlich in Unterfranken. «Es war eine
schöne Zeit», sagt er. Parallel machte er eine Weiterbildung zum
Notarzt. Im Anschluss zog es ihn wieder in den Norden. «Ich bin
Norddeutscher», lacht Arunagirinathan. Über Berlin ging es in die
Hansestadt Bremen, die er ebenso lieben lernte wie Hamburg.
Aber auch dort ging es in der Herzchirurgie für ihn nicht so weiter,
wie er es sich gewünscht hätte. Er hätte dafür in eine andere Stadt
ziehen können, aber das wollte Arunagirinathan nicht. Ein
befreundeter Hausarzt legte ihm nahe, sich zum Allgemeinmediziner
weiterbilden zu lassen. «Ich habe nicht lange überlegt, es war eine
Bauchentscheidung», sagt er und fügt hinzu: «Ich vermisse die
Herzchirurgie, aber ich kann auch als Landarzt Herzen berühren.» Als
Herzchirurg habe er die große Bühne gehabt. «Als Landarzt erhält ma
n
eine andere Art von Wertschätzung.» Sie kommt oft in Form von selbst
gebackenen Keksen oder selbst gekochter Marmelade der Patienten.
Deutschland hat einen Mangel an Landärzten
Ärzte im ländlichen Raum sind in Deutschland weiterhin Mangelware. Um
die Versorgung zu sichern, gibt es Aktionsprogramme und Fördergelder.
In Niedersachsen etwa wurde der Einstieg ins Medizinstudium für
angehende Landärzte erleichtert - mit der sogenannten Landarztquote.
44 Studierende nahmen darüber zum aktuellen Wintersemester ihr
Studium auf. «Wenn ich mit meinem Beispiel junge Menschen dazu
motivieren könnte, Landarzt zu werden, würde mich das freuen», sagt
Arunagirinathan.
Zwei Jahre dauert seine Weiterbildung zum Hausarzt. Mit öffentlichen
Verkehrsmitteln braucht er eine gute Stunde von Bremen nach
Heiligenrode. Ein eigenes Auto besitzt er nicht. Wenn er fertig ist,
will er in der Region bleiben, gerne mit einem Kollegen eine eigene
Landarztpraxis betreiben. Aber auch medial möchte er sich
weiterentwickeln. «Ich könnte mir einen eigenen Podcast vorstellen,
mit medizinischen Themen», sagt er. Den Titel hat er sich auch schon
überlegt: «Bei Dr. Umes».
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