Elend in den Großstädten - Warum Crack sich rasch ausbreitet Von Mia Bucher, dpa

In vielen deutschen Großstädten ist es kaum zu übersehen: Der
Crack-Konsum in der offenen Drogenszene ist stark gestiegen. Das
führt zu enormen Problemen, nicht nur für Abhängige.

Berlin (dpa) - Der Rausch ist intensiv, aber kurz. Nur wenige Minuten
zeigt das Crack seine Wirkung, dann muss schon wieder nachgelegt
werden, für den nächsten kurzen Kick. Crack ist Kokain, das mit
Natriumkarbonat aufgekocht wurde und in Form von kleinen Steinchen
meist in einer Pfeife geraucht wird. Die Droge macht extrem abhängig
- und sie breitet sich rasant in Deutschland aus.

In Städten wie Berlin, Hamburg oder Frankfurt ist das kaum zu
übersehen. Immer häufiger sieht man Menschen, die sich in
Hauseingängen, am Straßenrand oder sogar in U-Bahnhöfen ihre
Crackpfeife anzünden. Abhängige, die auf der Straße leben und sich
zum Teil in körperlich und psychisch desaströsen Zuständen befinden.

Doch auch in anderen Städten nimmt der Crack-Konsum in der offenen
Drogenszene zu. An manchen Orten ist Crack inzwischen die
meistkonsumierte Droge. 

«Crack knallt mehr als Kokain»

Dabei sind Kokain und Crack per se nicht neu. Wieso greift Crack
gerade jetzt so um sich und was für Folgen hat das?

«Wir sehen weltweit ein stark gestiegenes Angebot an Kokain und das
betrifft auch Deutschland», erklärt die Leiterin der Deutschen
Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, Esther Neumeier. In
den vergangenen Jahren habe sich die Herstellung von Kokain weltweit
vervielfacht. Ein Beispiel, das das verdeutlicht: Laut der
Drogenagentur der Europäischen Union wurden in Europa 2010 58,4
Tonnen Kokain sichergestellt. 2020 waren es 214,6 Tonnen. Das ist
mehr als dreimal so viel. 

«Weil es ein so großes Angebot an Kokain gibt, ist es für Verkäufer

attraktiv, neue Zielgruppen zu erschließen», sagt Neumeier. In der
offenen Drogenszene würden sie fündig. Für die zum Teil schwer
abhängigen Menschen sei die Wirkung von dem nasal konsumierten Kokain
nicht attraktiv. Crack aber funktioniere. «Crack erzeugt einen extrem
schnell einsetzenden, höchst intensiven, dafür aber auch sehr kurzen
Rausch.» In der Allgemeinbevölkerung spiele Crack keine Rolle.

Immer mehr Städte haben einen Crack-Markt

Wie sehr der Konsum gestiegen ist, verdeutlicht ein Beispiel aus
Berlin: In zwei Berliner Drogenkonsumräumen des Trägers Vista machte
Crack im Jahr 2022 nur 3,5 Prozent der Konsumvorgänge aus. 2024 waren
es schon 30 Prozent, dieses Jahr ist der Anteil erneut deutlich
gestiegen, wie Fachbereichsleitung Augustine Reppe berichtet.

Das Frankfurter Bahnhofviertel sei schon immer eine Crack-Hochburg
gewesen, sagt Neumeier. Auch der Leopoldplatz in Berlin oder der
Hamburger Stadtteil St. Georg sind bekannte Drogenhotspots. Doch seit
einigen Jahren kämen neue Städte dazu, zum Beispiel in
Nordrhein-Westfalen. Dort sei Crack bis vor einigen Jahren kein Thema
gewesen, so die Psychotherapeutin. Jetzt schon. 

Das Craving ist bei Crack sehr hoch

«Seit Anfang der 2020er-Jahre sehen wir den Anteil der
Crack-Konsumenten in der offenen Szene deutlich steigen», erklärt
Neumeier mit Blick auf NRW. In manchen Städten des Bundeslandes sei
Crack in der offenen Szene inzwischen die meistgebrauchte Droge.
Typischerweise werde es von Menschen aus der offenen Drogenszene
konsumiert, Personen, die auch schon vorher hochriskant Drogen
konsumiert hätten. 

«Beim Crack-Rauchen entsteht eine Euphorie. Man fühlt sich
leistungsfähig, man hat ein hohes Selbstvertrauen, wird redselig, hat
weniger Hemmungen, weniger Ängste und eine hohe Risikobereitschaft.»
Auch andere anregende Drogen hätten diesen Effekt, bei Crack sei er
aber extrem stark. Das Runterkommen danach werde als sehr
unangenehmem und abrupt beschrieben, erklärt Neumeier. Das Verlangen,
erneut zu konsumieren - auch Craving genannt -, sei extrem stark,
dadurch entstehe ein schneller Kreislauf des Konsums.

2.137 Drogentote

Er bereue es heute noch, dass er Crack unbedingt probieren wollte,
sagt ein Mann im Frankfurter Bahnhofsviertel der Deutschen
Presse-Agentur. Man verliert alles, betont er. «Am Anfang ist es dein
Geld, dann deine Wertsachen, dann riskierst du deinen Job.» Man mache
vieles, um den nächsten Konsum finanzieren zu können. «Das habe ich
bei Heroin nicht gemacht. Aber beim Crack dann», sagt er. 250 bis 300
Euro koste sein Konsum am Tag.

2024 starben in der Mainmetropole 20 Menschen in Zusammenhang mit
ihrer Suchterkrankung. In Hamburg waren es 102, in Berlin 294 - so
viele wie noch nie. Bundesweit wurden 2.137 Drogentote registriert.
Häufig sind mehrere Drogen im Spiel, auch Crack. Die Zahl der
Drogentoten geht seit Jahren tendenziell nach oben.

So verheerend ist der Konsum

Auch wenn der Konsum nicht tödlich endet, sind die Folgen für
Crack-Abhängige meist verheerend. Manche konsumieren quasi
ununterbrochen, schlafen tagelang nicht, essen nicht, trinken nicht,
waschen sich nicht. «Das führt zu einer extrem schnellen
Verelendung», sagt Neumeier. Die Lebenserwartung sei extrem
verringert. Eigentlich habe Deutschland ein gutes Hilfesystem. Doch
bei schwerst Crack-Abhängigen sei es extrem herausfordernd, sie
dauerhaft an die Suchthilfe zu binden. 

Arthur Coffin vom Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige

Berlin sagt: «Bei Crack braucht man niedrigschwellige Angebote.»
Termine einzuhalten, etwa für ein Beratungsgespräch, sei für
Betroffene extrem schwierig. Deshalb müsse man die Menschen direkt
aufsuchen und sie vor Ort betreuen, mit sauberen Utensilien oder
Essen. Es gehe auch darum, die Nachbarschaft zu entlasten. In Berlin
sei die Droge inzwischen weiter verbreitet als Heroin und andere
Opioide. 

Anwohner fühlen sich unwohl

Im Neuköllner Schillerkiez in Berlin sitzen die Menschen in den
Hauseingängen, beugen sich über ihre Alufolien, haben teils offene
Wunden. Eine Anwohnerinitiative hat deshalb Alarm geschlagen und
einen offenen Brief veröffentlicht. Sie sagen: Unsere Kinder können
nicht mehr unbeschwert draußen spielen.

In 8 von 16 Bundesländern gibt es laut Neumeier Drogenkonsumräume.
Alle böten inzwischen Rauchplätze an. In den meisten dürfe auch Crack

konsumiert werden. Warum gehen die Konsumentinnen und Konsumenten
nicht dort hin? «Die Entzugssymptome sind so stark, dass es
unmittelbar und gleich und jetzt passieren muss», erklärt Reppe von
Vista. Die Mitarbeiter machen in Gesprächen klar, dass nicht im
Umfeld konsumiert werden soll. «Das wissen die Konsumierenden auch,
aber sie schaffen es nicht immer.» Crack-Süchtige würden sehr
stigmatisiert, es gebe wenige Räume, in denen sie sich aufhalten
könnten und dürften.

Welche Lösungsansätze es gibt

Wie kann man den Menschen besser helfen und auch die Wohnviertel
entlasten? Ein Substitutionsmittel, wie Methadon für Heroin, gibt es
nicht. Es brauche mehr Personal, am besten eigentlich ein
24-Stunden-Angebot für Süchtige und mehr Orte, an denen Abhängige
sich aufhalten können, sagt Coffin. Mehr Konsumräume seien ebenfalls
eine Maßnahme, sagt Reppe.

Auch ein Blick in die Schweiz könnte helfen. Das Land gilt als
Vorbild für eine liberale Drogenpolitik. In Genf etwa sind neuerdings
auch Mediziner auf der Straße unterwegs, weil viele
Crack-Konsumierende wegen ihres hektischen Konsums Termine in
Einrichtungen nicht mehr einhalten, wie Frank Zobel,
stellvertretender Leiter von Sucht Schweiz, sagt. «Das ist ein
Schlüsselelement: auf die Leute zugehen, nicht warten, dass sie
kommen.» In der Deutschschweiz werde zudem in den Kontakt- und
Anlaufstellen der Handel mit kleinsten Mengen zugelassen. «So bringt
man den Markt aus dem öffentlichen Raum nach drinnen.» Ein
Wundermittel gefunden habe bislang aber noch niemand.

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