Renaissance alter Männlichkeit? Was die Forschung dazu sagt Von Marco Rauch, dpa

Wie hat ein Mann zu sein? Besonders in der rechten Internet-Bubble
gibt es dazu zurückkehrende Narrative - mit negativen Folgen für
beide Geschlechter. Wie blickt die Wissenschaft auf das Thema?

Frankfurt/Dresden (dpa) - Wann ist ein Mann ein Mann? Die Frage
stellt nicht nur Herbert Grönemeyer in seinem Hit «Männer», sondern

sie wird schon seit langem immer wieder neu diskutiert. Auch am
internationalen Weltmännertag am 19. November könnte es wieder ein
Thema sein, was in der heutigen Zeit Männlichkeit bedeutet. 

Der Sachbuchautor und Männerberater Boris von Heesen sieht drei
besonders hartnäckige Erzählungen zum Thema Männlichkeit, die bis
heute prägend wirken: Männer müssten ihre Probleme allein lösen,
körperlich unzerstörbar sein und den Wert ihrer Männlichkeit über
Lohnarbeit und Familienversorgung definieren.

Männlichkeit als soziales Konstrukt

«Ich bin davon überzeugt, dass alle drei sozial konstruiert sind»,
sagt von Heesen. Schon bei kleinen Jungen würden emotionale
Zurückhaltung und Leistungsorientierung gefördert, während Empathie
und Fürsorge eher an Mädchen adressiert würden. So entstehe eine
Aufgabenteilung, die Männer und Frauen bis heute voneinander trenne -
mit klaren Nachteilen für beide Seiten.

Sobald Kinder im Haushalt leben, arbeiten nur 34 Prozent der Frauen
in Vollzeit - bei den Männern hingegen sind es 94 Prozent. «Damit
werden Männer effektiv von ihren Kindern getrennt und Frauen von der
Gestaltung ihrer beruflichen Karrieren», so von Heesen. Die Folge
seien Belastungen psychischer und körperlicher Natur.

Männlichkeit ist historisch variabel

Solche Sichtweisen decken sich mit zentralen Ansätzen der
internationalen Männlichkeitsforschung. Wie der Geschlechterforscher
Stefan Horlacher von der Technischen Universität Dresden beschreibt,
gilt Männlichkeit heute nicht mehr als biologisch festgelegte
Eigenschaft, sondern als ein kulturell geformtes Geflecht aus
Erwartungen, Handlungen und sozialen Rollen.

Männlichkeit, schreibt Horlacher, sei «ein historisch variables
Bündel kultureller Normen», das immer wieder neu hervorgebracht werde
- durch wiederholte Handlungen, Gesten und Selbstbilder.

Die Soziologin Raewyn Connell prägte einst den Begriff der
«hegemonialen Männlichkeit»: jene dominante, gesellschaftlich
anerkannte Form von Männlichkeit, die Machtstrukturen zwischen den
Geschlechtern aufrechterhält - und zugleich andere, alternative
Formen von Männlichkeit unterordnet.

«Krise der Männlichkeit» - oder eine Chance?

In öffentlichen Debatten ist oft von einer «Krise der Männlichkeit»

die Rede. Horlacher hält das für verkürzt. Nicht Männlichkeit selbs
t
sei in der Krise, sondern «das traditionelle Patriarchat und die
damit verbundenen hegemonialen Formen von Männlichkeit», die
Vorstellung, sie müsse stabil, stark und eindeutig sein, erklärt
Horlacher. Weil diese Formen der Männlichkeit angeblich bedroht
seien, «werden sie von rechten und konservativen Kreisen so stark
propagiert.» 

Tatsächlich befinde sich Männlichkeit seit jeher im Wandel - und
genau darin liege ihr Kern. Die vielzitierte Krise ist laut Horlacher
eher Ausdruck eines Übergangs, eines kulturellen
Aushandlungsprozesses, was Männlichkeit bedeutet. «Das alte Bild des
unabhängigen, starken und dominanten Mannes ist unter Druck geraten»,
sagt er. Viele Männer fühlten sich dadurch herausgefordert, ihre
Rolle zu hinterfragen - ein Prozess, der anstrengend sei und
Unsicherheit auslöse. «Deshalb sind junge Männer empfänglich für

einfache Antworten und extrem verkürzte, unwissenschaftliche
Erklärungsmuster.»

Von Heesen beobachtet, dass viele junge Männer daher derzeit vermehrt
in rechte Online-Communities oder antifeministische Diskurse
abgleiten. Algorithmen in sozialen Medien verstärkten diesen Effekt,
indem sie Inhalte mit antifeministischem oder frauenfeindlichem
Gehalt bevorzugt ausspielten.

Zwischen Biologie und Gesellschaft

Welche Rolle biologische Faktoren bei unserem Bild von Männlichkeit
spielen, lässt sich nach Ansicht von Heesens kaum eindeutig
beantworten. «Nehmen wir das Hormon Testosteron - es gibt Studien,
die biologische Einflüsse belegen, und andere, die das klar
widerlegen.»

Wichtiger sei es, soziale Konstruktionen zu erkennen, die Menschen in
enge «Geschlechtergefängnisse» zwängen. Eigenschaften wie Empathie,

Fürsorglichkeit oder Kooperation würden Männern immer noch seltener
zugeschrieben, obwohl sie entscheidend für gesellschaftlichen
Zusammenhalt seien.

Neue Leitbilder werden benötigt

Horlacher verweist darauf, dass Männlichkeit weder naturgegeben noch
statisch sei. Sie zeige sich vielmehr in vielfältigen Formen -
abhängig von sozialer Schicht, Herkunft, Religion oder Generation. In
der modernen Männlichkeitsforschung gehe es daher nicht mehr darum,
eine einheitliche Definition zu finden, sondern die Vielfalt und
Widersprüche von Männlichkeit zu verstehen.

«Wir müssen dahin kommen, dass Männer sich selbstverständlich
empathisch, fürsorglich und kooperativ verhalten können - in Familie
und Beruf», fordert von Heesen. Dafür brauche es neue Leitbilder, die
Stärke nicht über Härte definieren, sondern über Verantwortung.

«Box der Männlichkeit muss gesellschaftlich aufgebrochen werden»

Dass Männer laut Horlacher im Durchschnitt früher sterben, häufiger
zu riskantem Verhalten neigen und seltener psychologische Hilfe
suchen, ist dabei kein Zufall, sondern Teil dieser erlernten Muster.
Beide Forscher sind sich einig: Nur wer Männlichkeit als wandelbares,
lernbares Konzept versteht, kann Strukturen aufbrechen, die Männern
und Frauen schaden.

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