«Bewirke jeden Tag was» - Mainzer Pflegerin will hoch hinaus Von Christian Schultz, dpa

Katharina Roos liebt ihren Beruf als Pflegerin - trotz Belastungen
und des menschlichen Leids, das sie sieht und am eigenen Leib
erfahren hat. Jetzt hat sie sich ein besonderes Ziel gesetzt.

Mainz (dpa/lrs) - Wenn Katharina Roos nach einem Arbeitstag das
Gebäude 102 der Universitätsmedizin Mainz verlässt, wendet sie einen

Trick an, um den Kopf frei zu bekommen. Sie macht die Drehtür am
Ausgang gedanklich zu ihrer Zauberkugel - wie einst bei der «Mini
Playback Show» im Fernsehen. Damit schafft sie eine Grenze zwischen
zwei Welten: der ihres anstrengenden und zugleich geliebten Jobs und
der ihres Privatlebens. 

Roos ist onkologische Fachpflegerin an der Klinik und Poliklinik für
Geburtshilfe und Frauengesundheit der Mainzer Universitätsmedizin. In
diesem Jahr hat sie sich ein Ziel gesetzt: den Sieg beim bundesweiten
Wettbewerb «Deutschlands beliebteste Pflegeprofis». Den Landessieg in
Rheinland-Pfalz hat sie schon in der Tasche. Nun sammelt sie Stimmen,
um Mitte November den ganz großen Coup zu landen.

Von einer Patientin nominiert

Nominiert hatte sie für den Wettbewerb der Privaten
Krankenversicherung eine frühere Krebspatientin. Das sei für sie eine
Riesenehre gewesen, erzählt Roos. Sie habe das nie als Prämierung nur
ihrer Person begriffen, sondern als Auszeichnung für das gesamte Team
um sie herum. Und genau für das ackert sie jetzt bei der Mission
Bundessieg.

Roos nutzt die vielen Gespräche, die sie gerade führt, auch dafür, um

auf Probleme in der Pflege hinzuweisen. «Ich blicke mit Angst in die
Zukunft und habe keine Ahnung, wie wir in 15 Jahren hier stehen»,
sagt sie. «Und damit meine ich wirklich jeden in unserer
Gesellschaft, egal ob man zum Hausarzt in eine Klinik, in ein
Seniorenheim oder sonst wohin muss.» Die Menschen würden immer älter,

chronischen Erkrankungen nähmen zu, bei immer weniger Pflege- und
Gesundheitsfachkräften. «Die Rechnung geht nicht auf.» 

Pflege braucht Zeit 

Es brauche bessere Rahmenbedingungen, um mehr Menschen für die Pflege
zu begeistern. Da sei die Bezahlung nur das eine, die Zeit das
andere. «Pflege ist nicht nur: Ich spritze jemanden, hänge eine
Infusion an oder fahre jemanden in den OP», betont Roos. «Ohne Zeit
kann ich nicht pflegen.»

Pflege sei körperlich und emotional belastend. Wenn dann noch Druck
wegen Engpässen hinzukomme, könne niemals die Qualität geleistet
werden, die sich Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige
wünschten. Nichtsdestotrotz gäben Tausende Pflegekräfte in
Deutschland jeden Tag unter schwersten Bedingungen sehr viel und
stünden mit einem Lächeln am Patientenbett.

Trotz allem ein Traumberuf

Um mit allen Belastungen klarzukommen, braucht Roos Rituale, wie etwa
das mit der Drehtür oder besser der Zauberkugel am Ausgang - der
Grenze zwischen Pflegealltag und «privatem Klimbatsch», wie sie sagt.
«Nur so schaffe ich es, schon so lange in der Onkologie zu sein.» Es
brauche auch eine Liebe zu sich selbst. «Ich kann Menschen helfen,
aber es muss dabei auch mir gut gehen. Wenn es mir nicht gut geht,
dann fällt das Kartenhaus zusammen.»

Aller Schwierigkeiten zum Trotz ist die Pflege für sie ein
Traumberuf. «Für mich gibt es kaum einen Beruf, der mehr Sinn
stiftet», sagt Roos. «Ich bewirke jeden Tag etwas. Das und die
Dankbarkeit und das Vertrauen, das ich bekomme, sind das Paket, was
jeden Tag die Motivation bringt.» 

Ralf Kiesslich, Vorstandschef der Unimedizin, ist voll des Lobes für
Roos. Sie verkörpere mit ihrem Einsatz, ihrer Fachkompetenz und ihrer
Menschlichkeit genau das, was exzellente Pflege ausmache, sagt er.
«Als Universitätsmedizin Mainz sind wir stolz, sie auf dem Weg zum
Bundeswettbewerb zu unterstützen - selbstverständlich habe ich ihr
auch schon meine Stimme gegeben.»

Von Fachwissen bis Empathie

Für den Geschäftsführer der Pflegegesellschaft Rheinland-Pfalz,
Sebastian Rutten, sind Wettbewerbe wie «Deutschlands beliebteste
Pflegeprofis» enorm wertvoll. Sie machten Menschen sichtbar, die
tagtäglich mit hoher Fachlichkeit, Empathie und
Verantwortungsbewusstsein für andere da seien. «Pflege ist kein
anonymer Dienst, sondern ein hochprofessioneller Beruf, der Wissen,
Erfahrung und menschliche Nähe miteinander verbindet.» 

Jede Initiative, die diese Seite der Pflege zeige, stärke das
gesellschaftliche Bewusstsein für deren unverzichtbaren Beitrag.
«Aber Wertschätzung darf nicht bei Worten stehen bleiben», betont
Rutten. Es brauche mutige politische Entscheidungen, faire
Vergütungssysteme und mehr Zeit für die tatsächliche Pflege am
Menschen. «Nur so entsteht aus symbolischer Anerkennung eine echte
Verbesserung im Alltag aller in der Pflege Tätigen.»

Roos liebt die Vielfalt an Geschichten 

Roos sagt, sie erlebe endlos viele traurige, aber auch mutmachende
Geschichten. «Diese Vielfalt an Geschichten macht es für mich aus.»
Ob sie von jemandem in den Arm genommen werde, der sich nach seiner
Heilung dankbar zeige, oder von einem Angehörigen, der sich dafür
bedanke, dass seine Mutter in den Tod begleitet worden sei - das sei
ihr gleich viel wert. 

Ihre Ausbildung machte Roos in den Diakonie Kliniken in Bad
Kreuznach. Eigentlich wollte sie danach eine Ausbildung zur Hebamme
machen, doch sie blieb hängen. Inzwischen ist sie seit mehr als 16
Jahren in der Onkologie. «Die ist ein Fachgebiet, das viel vereinen
muss», sagt Roos und nennt ebenfalls eine Kombination aus Fachwissen,
Einfühlungsvermögen und Empathie. Sie habe durch ihre Zeit in der
Onkologie gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen. «Ich sehe und höre
vieles, bevor es ausgesprochen wurde.»

Was sie von ihren Patientinnen und Patienten über die Jahre gelernt
habe, sei, nichts aufzuschieben. «Wenn ich Kolumbien sehen will, dann
fliege ich nach Kolumbien. Und wenn ich heute Lust auf ein
Spaghetti-Eis habe, dann esse ich ein Spaghetti-Eis.» 

Vorsichtig mit Versprechungen

So verfährt sie auch nach persönlichen Schicksalsschlägen. 2023 bekam

ihr Vater die Diagnose einer schweren, unheilbaren Erkrankung, nur
zwei Tage später folgte eine Tumordiagnose bei ihrer damals
zweijährigen Tochter. 

«Da geht der Arsch auf Grundeis», erzählt Roos. Sie müsse damit
umgehen, dass ihr Kind eine reduzierte Lebenserwartung habe, die
jedoch will Roos maximal mit ihrer Tochter nutzen. «Sie wird taub
werden. Solange sie hören kann, will ich, dass sie die Welt hört,
dass sie Musik hört, dass sie die Wälder hört, den Dschungel,
Tiergeräusche», sagt Roos. «Ich will, solange sie sehen kann, dass
sie die Welt sieht, die Kulturen, das Essen schmeckt.» 

Liebend gerne hätte sie auf solch harte Schicksalsschläge verzichtet,
sagt die Pflegerin. Aber auch diese bringe sie in ihren Job ein. «Ich
achte extrem auf Angehörige», sagt sie. «Ich bin viel sensibler in
manchen Themen wie vielleicht manche Kolleginnen, weil die einfach
nicht die persönliche Erfahrung haben.» 

Zurückhaltend sei sie jedoch bei Versprechungen. «Da muss man sehr
vorsichtig sein», sagt Roos. «Was ich meinen Patienten und
Patientinnen aber immer verspreche, das ist eine ganz individuelle
und intensive Begleitung, dass ich definitiv da sein werde. Das ist
das, was ich halten kann.»

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