Gut reagiert? Wie Drosten und Wieler die Pandemie sehen Von Stefan Hantzschmann, dpa

Drosten staunte über die geringe Immunität nach Erstinfektion, Wieler
kritisiert späte Reaktionen vor Winterwellen. Ein
Untersuchungsausschuss in Thüringen will Lehren aus der
Corona-Pandemie ziehen.

Erfurt (dpa) - Was lief gut, was eher nicht? Ein
Untersuchungsausschuss in Thüringen will Fehler in der Corona-Politik
während der Pandemie aufklären und Lehren für die Zukunft ziehen.
Nach Einschätzung des Virologen Christian Drosten war das frühe
Hochfahren von Infektionsschutzmaßnahmen im Jahr 2020 vor der ersten
Infektionswelle auch im Rückblick erfolgreich. Es sei eine «massive
Zahl» von rund 60.000 Menschenleben in der ersten Infektionswelle
gerettet worden.

60.000 Menschen gerettet

Drosten präsentierte den Abgeordneten Zahlen zu Großbritannien und
Deutschland im Vergleich. Die Briten warteten damals etwa drei Wochen
länger mit dem Hochfahren von harten Infektionsschutzmaßnahmen als
die Deutschen. Der Virologe rechnete vor, dass es in Deutschland im
betrachteten Zeitraum wohl rund 70.000 Tote gegeben hätte statt der
rund 9.300, wenn es den Weg Großbritanniens gegangen wäre und mit
Maßnahmen noch abgewartet hätte. «Ich kann also deutlich sagen: Es
wäre ein Fehler in der politisch-verantwortlichen Infektionskontrolle
zu warten, bis das Gesundheitssystem erste Überlastungsanzeichen
zeigt», sagte Drosten im Thüringer Untersuchungsausschuss.

Vor Winterinfektionswellen zu spät gehandelt

In der gesamten Pandemie habe es etwas unter 180.000 Tote in
Deutschland gegeben. «Wir hätten viel mehr erwarten müssen und haben

viele, viele Menschenleben in dieser ersten Welle gerettet - alleine
durch dieses frühe Eingreifen», sagte Drosten. Der 53-Jährige ist
Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin und war
im Thüringer Landtag als Sachverständiger geladen. Er war nicht der
einzige prominente Gast im Untersuchungsausschuss. 

Der damalige Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler,
sagte, er sehe zwei Zeitpunkte, an denen die Politik hätte früher
reagieren müssen - vor den beiden Winter-Infektionswellen 2021 und
2022. «Das ist meine feste Überzeugung», sagte er, damals sei zu sp
ät
gehandelt worden.

Impfstoff kam früher als gedacht

Der Corona-Untersuchungsausschuss soll Fehler und Versäumnisse der
Politik in der Corona-Pandemie aufklären und Handlungsempfehlungen
für die Zukunft ableiten. Neben dem Untersuchungsausschuss gibt es in
Thüringen noch eine Enquete-Kommission, die auf die Erfahrungen
blickt, die in der Corona-Pandemie gesammelt wurden, und
Handlungsempfehlungen für künftige Pandemie- oder sonstige
Gesundheitskrisenlagen erarbeiten soll.

Wieler sagte, das RKI sei davon ausgegangen, dass eine Pandemie mit
dem Corona-Virus lange dauern würde - mindestens zwei Jahre. «Eine
Pandemie kann man nicht einfach mathematisch berechnen», sagte er. Es
komme beispielsweise auf das Verhalten der Menschen an. Sowohl Wieler
als auch Drosten betonten, dass am Anfang der Pandemie nicht damit
gerechnet werden konnte, so schnell einen Impfstoff zur Verfügung zu
haben. 

Flächendeckende Impfungen begannen in Deutschland im Laufe des Jahres
2021, die ersten Impfdosen wurden noch Ende des Jahres 2020
verabreicht. Später war die Rede von einer «Pandemie der
Ungeimpften». Wieler betonte im Untersuchungsausschuss, dass das RKI
den Begriff nicht als korrekt ansah. «Im Robert Koch-Institut hatten
wir nicht die Ansicht, dass es eine Pandemie der Ungeimpften ist»,
sagte Wieler.

Spahn benutzte Begriff 

Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte den
Begriff verwendet - etwa im September 2021 bei Twitter: «Bei Inzidenz
und auf Intensivstationen sehen wir: Wir erleben eine anwachsende
Pandemie der Ungeimpften. Alle, die können, sollten sich ihren Schutz
holen!», schrieb Spahn damals. Inzwischen ist Spahn Vorsitzender der
CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. 

Drosten war nach eigenen Worten verblüfft, wie wenig Schutz die
Menschen nach einer ersten Corona-Infektion aufgebaut haben. «Mich
hat das auch erstaunt, wie wenig Immunität eine einzelne
Erstinfektion hinterlassen hat», sagte er. 

Hoffnung nicht erfüllt

Er habe gehofft und sich gewünscht, dass die Immunität größer
ausgefallen wäre - vor allem für Länder des Globalen Südens. «In

Deutschland war klar, dass bei diesem Letalitätsprofil, also bei
dieser starken Sterblichkeit bei Älteren und bei unserer alten
Bevölkerung, eine Durchseuchungsstrategie nicht denkbar ist», sagte
er. 

In Ländern des Globalen Südens sei die Bevölkerung aber nicht so alt.

«Da hatte ich gehofft, dass die Menschen schneller immun sind, wenn
das Virus durchläuft.» Dass das Virus aber so viele Jahre lang immer
wieder in neuen Wellen auch in diesen Ländern grassierte, sei ihm
nicht so klar gewesen. «Das habe ich in dem Ausmaß mir schöner,
einfacher vorgestellt», sagte der Virologe.

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