Todesfahrer vor Gericht: «Dann habe ich einfach Gas gegeben» Von Dörthe Hein und Marion van der Kraats, dpa

Die Betroffenen des Anschlags auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt
erhoffen sich im Prozess Antworten. Am zweiten Prozesstag spricht der
Angeklagte - und nennt schockierende Details.

Magdeburg (dpa) - Stundenlang redet der Todesfahrer von Magdeburg und
schweift ab - am frühen Nachmittag des zweiten Prozesstages jedoch
gibt er zu: «Dann habe ich einfach Gas gegeben.» Fast elf Monate nach
dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg am 20. Dezember
2024 hat Taleb al-Abdulmohsen vor dem Landgericht Magdeburg die Tat
beschrieben. 

Als Auslöser für die Todesfahrt nannte der 51-Jährige aus
Saudi-Arabien seine Auseinandersetzungen mit deutschen Behörden und
deren mangelnde Hilfe für saudische Frauen. Er habe aufklären und
warnen wollen. Er habe Strafanzeigen gestellt und sei aber nicht
gehört worden. «Es gab nur zwei Wege: Entweder verlasse ich
Deutschland oder ich greife an», schilderte der Angeklagte. 

«Kalt wie Eis»

Am Tag des Anschlags sei er «kalt wie Eis» gewesen. «In der letzten
Sekunde habe ich gesehen, dass es keine Hoffnung gibt», sagte
al-Abdulmohsen. Er sei davon ausgegangen, dass die Polizei ihn
erschieße, habe letzte Videos aufgenommen. 

Bei der Todesfahrt wurden sechs Menschen getötet, ein neunjähriger
Junge und fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren. Mehr als 300
Menschen wurden verletzt, als der Mann den mehr als zwei Tonnen
schweren und 340 PS starken Wagen mit bis zu 48 Kilometern pro Stunde
über den Weihnachtsmarkt raste.

«Ich habe keine einzige Verletzung wahrgenommen»

Al-Abdulmohsen beschrieb, wie er das Lenkrad nach rechts lenkte und
auf den Weihnachtsmarkt fuhr. Ihm sei alles zu langsam erschienen. Es
sei gewesen, als ginge er über den Weihnachtsmarkt, wie Fahren sei es
ihm nicht vorgekommen. «Ich habe keine einzige Verletzung
wahrgenommen.» Erst als er den Weihnachtsmarkt wieder verlassen habe,
sei ihm aufgefallen, dass er keinen weiteren Plan habe. Durch die
Windschutzscheibe habe er da nur verschwommen sehen können - das
Wischwasser sei rot gewesen. Erst da sei ihm klar gewesen, dass
Menschen verletzt worden seien. 

Fragen des Vorsitzenden Richter Dirk Sternberg, ob er daran gedacht
habe, dass unbeteiligte Menschen sterben und verletzt werden könnten
bei seiner Tat, wich al-Abdulmohsen aus. Sternberg fragte auch, wie
es zu der 180-Grad-Wende gekommen sei vom Arzt, der Menschen helfe,
hin zu jemandem, der solch eine Tat begehe. Auch darauf antwortete
der Angeklagte nicht, der vor der Tat als Psychiater im
Maßregelvollzug Bernburg psychisch erkrankte Straftäter behandelte.

Der Angeklagte wurde wenige Minuten nach der Tat festgenommen. Er
befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Die Anklage wirft ihm
unter anderem sechsfachen Mord und versuchten Mord in 338 Fällen
vor. 

Betroffene sichtlich angefasst

Betroffene, die die Verhandlung persönlich verfolgten, waren
sichtlich angefasst. Einige rangen um Fassung. Rund 180
Nebenklägerinnen und Nebenkläger sind im Verfahren vertreten. Am
zweiten Tag kamen etwa 30 Menschen - weniger als zum Prozessauftakt.
Die Zuschauerreihen mit 100 Plätzen waren jedoch besser gefüllt. 

Bevor sich al-Abdulmohsen zur Todefahrt äußerte, versuchte er die
Verhandlung zur Selbstdarstellung zu nutzen. Richter Sternberg
ermahnte den 51-Jährigen zu Beginn des zweiten Tages, zum Geschehen
und der Vorgeschichte auszusagen - statt in politische Äußerungen
abzuschweifen. Zudem warnte er den Angeklagten, einen zur Verfügung
gestellten Laptop während der Verhandlung zu nutzen, um politische
Aufrufe zu formulieren. 

Am ersten Prozesstag hatte al-Abdulmohsen diesen hochgehalten und
«Sept. 2026» war zu lesen. «Da ist die nächste politische Wahl in
Sachsen-Anhalt», erklärte der Angeklagte, der als Islamkritiker
bekannt ist. Am 6. September 2026 wird in Sachsen-Anhalt ein neuer
Landtag gewählt. 

Angeklagter kündigt Hungerstreik an

Unbeeindruckt zeigte sich das Gericht zunächst von der Ankündigung
des Angeklagten, erneut Nahrung zu verweigern. «Sie haben es nicht in
der Hand, durch Hunger- oder Durststreik die Verhandlung zu verzögern
oder zu torpedieren», betonte Richter Sternberg. Da die Anklage
verlesen sei und al-Abdulmohsen Gelegenheit hatte auszusagen, könne
die Verhandlung auch ohne ihn fortgesetzt werden, erklärte
Sternberg. 

Der Todesfahrer sagte vor Gericht: «Jetzt mache ich den Hungerstreik
seit gestern. Ich will das drei Wochen machen. Man erwartet keine
körperlichen Schäden.» 

Gutachter verfolgt Aussage

Bei seiner Aussage wurde der Angeklagte von einem psychiatrischen
Gutachter beobachtet. Dieser wird an vielen Verhandlungstagen dabei
sein und soll sich ein Bild von dem 51-Jährigen machen, der bislang
Gespräche mit dem Sachverständigen verweigerte. 

Dabei geht es vor allem um die Schuldfähigkeit des Angeklagten zum
Tatzeitpunkt. Dem Angeklagten droht bei einer Verurteilung auch eine
lebenslange Sicherungsverwahrung. 

Von Galileo Galilei, Hawking und Einstein

Vor Gericht sprach er ausschweifend über vermeintliche
Vertuschungsaktionen von Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften in
Deutschland sowie Korruption. Der Angeklagte erwähnte Forscher wie
Galileo Galilei, Stephen Hawking, Albert Einstein, schimpfte über
deutsche Behörden und mangelnde Hilfe für saudische Frauen. Er habe
aufklären und warnen wollen. Er habe Strafanzeigen gestellt und sei
aber nicht gehört worden. Stattdessen wurde er selbst angezeigt, etwa
weil er den Notruf 112 missbrauchte. 

Al-Abdulmohsen hatte sehr viel Kontakt zu verschiedenen Behörden und
wurde als sogenannter Vielschreiber eingestuft, wie der
parlamentarische Untersuchungsausschuss im Landtag herausgearbeitet
hat.

Der Prozess läuft unter starken Sicherheitsvorkehrungen. Der
Angeklagte wird jeweils mit einem Hubschrauber aus dem Gefängnis nach
Magdeburg und dann in den temporären Gerichtssaal gebracht. Der
Prozess wird an diesem Donnerstag fortgesetzt. Das Landgericht
Magdeburg hat bislang knapp 50 Verhandlungstage bis zum 12. März 2026
geplant. 

Streit um diesjährigen Weihnachtsmarkt

Unterdessen gibt es Streit um den diesjährigen Magdeburger
Weihnachtsmarkt. Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos) teilte
am Montagabend überraschend mit, dass es vorerst keine Genehmigung
für den Weihnachtsmarkt geben werde. 

Hintergrund sei ein Schreiben des Landesverwaltungsamtes, in dem es
Kritik am aktuellen Sicherheitskonzept gebe. In dem Schreiben, das
der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, werden unter anderem
gravierende Mängel am Zufahrtsschutz und an der Organisation des
Sicherheitspersonals genannt.

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