Opfer des Weihnachtsmarkt-Anschlags sitzen Täter gegenüber Dörthe Hein und Marion van der Kraats, dpa

Fast elf Monate nach der Todesfahrt in Magdeburg hoffen Betroffene
auf Erklärungen. Doch der Angeklagte sagt kaum etwas zur Tat, spricht
aber über Politik - und hält einen Laptop mit Datum hoch.

Magdeburg (dpa) - Mehr als zwei Stunden lang hören die Betroffenen
zu, während die Anklage die Todesfahrt über den Magdeburger
Weihnachtsmarkt nachzeichnet. Namen, Verletzungen, Operationen und
Krankenhausaufenthalte. Weit mehr als 300 Opfer gab es, sechs
Menschen - darunter ein Kind - überlebten den Anschlag am 20.
Dezember 2024 nicht. Fast elf Monate später sitzen viele Betroffene
dem Mann aus Saudi-Arabien gegenüber, der damals über den
Weihnachtsmarkt raste. Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen hat der
Prozess gegen Taleb al-Abdulmohsen begonnen. 

Angespannt blicken die Nebenkläger auf den 51-Jährigen, der in einer
extra gesicherten Glaskabine sitzt und sich vor dem Landgericht
Magdeburg selbst äußert. Allerdings sagt er so gut wie nichts zur
Tat, sondern zu vermeintlichen Verfehlungen der Polizei und zu Frauen
in Saudi-Arabien. Auch über die Medien zieht er her. Er hält seinen
Laptop hoch, wo «Sept. 2026» zu lesen ist. «Da ist die nächste
politische Wahl in Sachsen-Anhalt», erklärte der aus Saudi-Arabien
stammende Mann, der als Islamkritiker bekannt ist. Am 6. September
2026 wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. 

Keine Entschuldigung, keine Reue

Zwischendurch gibt der 51-Jährige zu: «Ich bin derjenige, der das
Auto gefahren hat.» Weitere konkrete Angaben macht er zunächst nicht.
Keine Entschuldigung, kein Zeichen der Reue zu der Tat. Mehrfach
versucht der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg die ausschweifenden
Ausführungen des Angeklagten und auch politische Äußerungen zu
bremsen.

Die Anklage wirft ihm unter anderem vollendeten Mord in sechs Fällen
und versuchten Mord in 338 weiteren Fällen vor. Oberstaatsanwalt
Matthias Böttcher und sein Kollege Staatsanwalt Marco Reinl
vollziehen bei der Verlesung der Anklage den Weg des Fahrers über den
Weihnachtsmarkt nach. 

Schlangenlinien, um besonders viele Personen zu treffen

Zuerst erfasste Taleb al-Abdulmohsen Passanten, die an einer
Fußgängerampel warteten. Er lenkte den mehr als zwei Tonnen schweren
und 340 PS starken Wagen auf den Weihnachtsmarkt, etwa 350 Meter weit
und mit bis zu 48 Kilometern pro Stunde. 

Aus einer «vermeintlich persönlichen Frustration» heraus sei es dem
Beschuldigten darum gegangen, eine «möglichst große Menge von
Personen» zu erfassen. Dafür sei er in Schlangenlinien gefahren, um
möglichst viele Personen zu treffen - um so die «von ihm gewünschte
Aufmerksamkeit zu erlangen», so Böttcher. 

Herumfliegende Gegenstände und Körper

Der Todesfahrer überfuhr Menschen, andere wurden angefahren oder von
herumfliegenden Gegenständen oder Personen getroffen - teils ließ
sich das laut Generalstaatsanwaltschaft nicht mehr genau
nachvollziehen. Immer wieder ist von Frakturen an Beinen und Hüften,
von Trümmerfrakturen, Schädel-Hirn-Traumata und schmerzhaften
Prellungen die Rede. Kinder waren unter den Opfern ebenso wie Frauen
und Männer. Eine Schwangere wurde so stark verletzt, dass die
Fruchtblase platzte, ein Tag später kam das Kind zur Welt.

Am Ende starben sechs Menschen, fünf Frauen im Alter von 45 bis 75
Jahren sowie ein neunjähriger Junge. Die mehr als 300 Betroffenen
stammen nach Angaben des Bundesopferbeauftragten aus fast allen
Bundesländern. Einige kommen auch aus dem Ausland wie etwa Spanien,
den USA und Großbritannien. 

Betroffene nehmen am Prozess als Nebenkläger teil

Rund 180 Betroffene und Hinterbliebene treten bislang als Nebenkläger
auf, vertreten durch etwa 40 Anwälte. Das Interims-Gerichtsgebäude
wurde errichtet, damit alle teilnehmen können. Der
Bundesopferbeauftragte Roland Weber sprach vor Prozessbeginn mit
anwesenden Betroffenen. «Mehrheitlich machen sie einen ruhigen und
gefassten Eindruck», sagt Weber.

Viele Nebenkläger ließen sich zum Prozessauftakt aber auch von ihren
Anwälten vertreten und kamen nicht persönlich. «Wenn man mit den
Nebenklägern spricht, ist es so, dass die lieber den Prozess auf
Abstand beobachten über uns als Anwälte», sagt die Anwältin Petra
Küllmei, die mehr als 100 Betroffene vertritt. Viele Opfer trauten
sich überhaupt nicht in die Nähe des Gerichtssaales. 

Viele Betroffene trauen sich nicht zum Prozess

«Im Gerichtsgebäude ist ja der Angeklagte, ist der Täter und vor
dieser Konfrontation haben ganz viele Angst, viele haben auch
psychische Probleme und sind gar nicht in der Lage, hier in den
Gerichtssaal zu kommen», so Küllmei. Psychische Gründe und auch
körperliche Beeinträchtigungen werden auch von anderen genannt. Von
denen, die zum Prozess kamen, blicken viele fassungslos, als der
Angeklagte spricht. Manche wenden sich ab, andere schütteln die
Köpfe. 

Mit dem Hubschrauber gebracht

Das Verfahren gehört zu den größten der Nachkriegsgeschichte. Zum
Prozessauftakt reisten zahlreiche Medienvertreter aus dem In- und
Ausland nach Magdeburg an. Im Zuschauerbereich blieben jedoch
zunächst etliche der 100 Plätze in dem Interims-Gerichtsgebäude
frei. 

Der Angeklagte, der als Arzt im Maßregelvollzug mit psychisch kranken
Straftätern arbeitete, wurde mit einem Hubschrauber aus der
Haftanstalt Burg nach Magdeburg gebracht. Seit mehreren Tagen
befindet sich der Mann in der Obhut des Justizvollzugs
Sachsen-Anhalt. Davor hatte er mehrere Monate in Berlin in
Untersuchungshaft gesessen. Weitere Details nannte ein Sprecher des
Justizministeriums dazu nicht. Nach dpa-Informationen wird
al-Abdulmohsen jeweils zu den Prozesstagen geflogen.

Prozess unter hoher Sicherheit

Erfolglos kritisierte der Verteidiger den Sitzplatz hinter
schusssicheren Scheiben. Richter Sternberg betonte, der Platz sei
wichtig zum Schutz des Angeklagten, er solle so vor möglichen
Racheakten geschützt werden. 

Das Gebäude ist von einem Zaun mit Stacheldraht umgeben und
zusätzlich von mobilen Pollern geschützt. Eine Hundertschaft der
Polizei war im Einsatz, fast ebenso viele Justizbeamte aus
Sachsen-Anhalt sicherten nach dpa-Informationen den Prozessauftakt
ab. Trotz umfangreicher Sicherheitskontrollen begann die Verhandlung
nahezu pünktlich. 

Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt. Das Landgericht Magdeburg
hat bis zum 12. März 2026 zunächst knapp 50 Verhandlungstage
angesetzt.

Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK

Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.

Jetzt der TK beitreten





Zur Startseite