Debatte um Syrer in Deutschland: Worum es geht Von Martina Herzog, Basil Wegener und Amira Rajab, dpa
Viele Syrer haben ihr altes Heimatland schon vor Jahren verlassen.
Viele arbeiten, oft in Berufen, wo es an Personal fehlt. Nun ist eine
Debatte entbrannt: Wer darf bleiben - und wer muss gehen?
Berlin (dpa) - Fast ein Jahr ist es her, dass der syrische
Langzeitmachthaber Baschar al-Assad gestürzt wurde. Was bedeutet das
für die Syrerinnen und Syrer, die nach Deutschland geflüchtet sind?
Kanzler Friedrich Merz macht Druck, damit mehr von ihnen Deutschland
verlassen.
Wie ist die Lage in Syrien?
Die Übergangsregierung unter Interimspräsident Ahmed al-Scharaa
bemüht sich darum, das Land nach Jahren des Bürgerkriegs zu
stabilisieren und ein «Syrien für alle» zu schaffen. Doch die Lage im
Land bleibt volatil. Es kommt immer wieder zu Gewaltausbrüchen, bei
denen zum Teil Hunderte Menschen getötet wurden.
Menschenrechtler sehen besonders Minderheiten wie Alawiten, Drusen
oder Christen in Gefahr. Sie wurden in den vergangenen elf Monaten
Opfer blutiger Massaker.
Der Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung hat die Wirtschaft
und die Infrastruktur stark zerstört. Nach UN-Angaben gelten noch
immer sieben Millionen Menschen im Land als Binnenvertriebene. Noch
immer sind demnach rund 16 Millionen Menschen in Syrien auf
humanitäre Hilfe angewiesen. Syrien hat rund 23 Millionen Einwohner.
Nach welchen Kriterien beurteilt die Bundesregierung die Situation
vor Ort?
Eine wichtige Rolle spielt dabei der Lagebericht des Auswärtigen
Amts, der zuletzt im Frühjahr aktualisiert wurde - also nach dem
Machtwechsel in Syrien. Diese Berichte werden nicht veröffentlicht.
In frühere Berichten, die bekannt wurden, flossen Einschätzungen zum
Beispiel der Vereinten Nationen zur Situation der Menschenrechte im
Land ein. Seit 2012 sind alle Rückführungen wegen der Sicherheitslage
im Land ausgesetzt.
Kehren Syrerinnen und Syrer freiwillig zurück?
Ja - und zwar eine steigende Zahl. Wer nach Syrien zurückkehren will,
kann dafür Unterstützung aus deutschen und europäischen Töpfen
erhalten. Während es im Mai 5 solcher geförderten Ausreisen gab,
waren es im März schon 186 und im Oktober 476, wie das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (Bamf) mitteilte. Ein Höchststand wurde im
September mit 529 geförderten Ausreisen erreicht.
Sollen jetzt alle Syrer Deutschland wieder verlassen?
Davon ist nicht auszugehen. In Deutschland leben laut
Ausländerzentralregister (Stand Ende August) 951.406 Syrerinnen und
Syrer. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums vom August halten
sich 920 Personen in Deutschland auf, die ausreisepflichtig und ohne
Duldungsstatus sind. Besonders schnell abschieben will die
Bundesregierung diejenigen, die straffällig geworden sind.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt erklärte, man sei dabei, «mit
Syrien Vereinbarungen zu machen, die die Rückführungen nach Syrien
auch ermöglichen». Im September hatte der CSU-Politiker der
«Rheinischen Post» gesagt: «Wir wollen noch in diesem Jahr eine
Vereinbarung mit Syrien treffen und dann zunächst Straftäter
abschieben und später Personen ohne Aufenthaltsrecht.» Das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge (Bamf) leistet bereits Vorarbeit und
bearbeitet wieder Asylanträge von Syrern - «vorrangig von
arbeitsfähigen, jungen Männern», wie das Ministerium kürzlich
erklärte.
Was sagt der Kanzler?
Merz hat nun erklärt: «Es gibt jetzt keinerlei Gründe mehr für Asyl
in Deutschland und deswegen können wir auch mit Rückführungen
beginnen», meint der CDU-Chef. Er setze auch darauf, dass ein großer
Teil der syrischen Flüchtlinge freiwillig zurückkehren werde, um sich
am Wiederaufbau ihres Landes zu beteiligen, betont der Kanzler. «Und
diejenigen, die sich dann in Deutschland weigern, in das Land
zurück(zu)kehren, die können wir selbstverständlich auch in naher
Zukunft abschieben.»
Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte bei einem Besuch in Syrien
angezweifelt, dass angesichts der Zerstörung kurzfristig eine große
Zahl Flüchtlinge freiwillig dorthin zurückkehren werde. Das
Auswärtige Amt und er unterstützten das Ziel aktiv und konstruktiv,
Straftäter und Gefährder nach Syrien und Afghanistan zurückzuführen
,
betonte er nun. Gefährder sind Menschen, denen die Behörden schwerste
Straftaten bis hin zum Terroranschlag zutrauen.
Wie sind die Chancen von Syrern auf Schutz in Deutschland?
Gar nicht so schlecht. Insgesamt 46,4 Prozent derjenigen, deren
Asylanträge sich nicht aus formellen Gründen erledigt hatten (etwa,
weil ein anderes EU-Land zuständig war), erhielten im ersten Halbjahr
2025 Schutz.
Nicht wenige Menschen aus Syrien haben inzwischen die deutsche
Staatsbürgerschaft. Mehr als jeder Vierte, der im vergangenen Jahr
eingebürgert wurde, kam ursprünglich aus Syrien - dies traf auf
83.150 Menschen zu, die 28 Prozent aller Einbürgerungen ausmachten.
Syrerinnen und Syrer stellten damit mit großem Abstand den größten
Anteil an den deutschen Neubürgern.
Wovon hängt es ab, ob Menschen abgeschoben werden?
Grundsätzlich können auch Menschen abgeschoben werden, die
hierzulande Schutz genießen - allerdings «nur bei Vorliegen
zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen
Ordnung», zum Beispiel bei Terrorgefahr. Niemand darf in ein Land
abgeschoben werden, in dem ihm oder ihr Folter, die Todesstrafe oder
eine andere unmenschliche Behandlung droht.
Normalerweise dürfen Menschen bleiben, die Asyl oder eine andere Form
von Schutz erhalten haben. Selbst, wenn dies nicht der Fall ist und
jemand als ausreisepflichtig gilt, droht nicht unbedingt eine
Abschiebung. Jemand kann zum Beispiel geduldet werden. Gründe dafür
sind unter anderem fehlende Reisepapiere, eine laufende Ausbildung
oder eine schwere Erkrankung.
Menschen, bei denen die Behörden keinen anerkannten Grund zum
Aufenthalt sehen, werden aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Tun
sie das nicht, droht die Abschiebung, für die die Bundesländer
zuständig sind.
Haben Syrer und Syrerinnen auf dem Arbeitsmarkt Fuß gefasst?
Aus der Sicht von Arbeitsmarktforschern auffällig: Bei der
Integration in den Arbeitsmarkt haben viele Syrerinnen und Syrer, die
in der großen Flüchtlingsbewegung um 2015 nach Deutschland gekommen
sind, Erfolg gehabt. «Bei der Integration der syrischen und anderen
Flüchtlinge von 2015 steht Deutschland inzwischen im internationalen
Vergleich ganz oben», sagte der Wissenschaftler Enzo Weber vom
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg
bereits vor einem Jahr. «Die Gruppe der 2013 bis 2019 zugezogenen
syrischen Schutzsuchenden erreichte sieben Jahre nach dem Zuzug eine
durchschnittliche Erwerbstätigenquote von 61 Prozent», so eine
IAB-Erhebung.
Wie viele Syrerinnen und Syrer haben Jobs?
Rund 300.000 Syrerinnen und Syrer in Deutschland sind beschäftigt,
darunter mehr als zwei Drittel sozialversicherungspflichtig. Die
Beschäftigungsquote ist laut Bundesagentur für Arbeit inklusive
geringfügiger Beschäftigung seit 2016 um 30 Prozentpunkte auf rund 42
Prozent im vergangenen Jahr gestiegen. Dabei üben rund 6 von 10
syrische Staatsangehörige eine Beschäftigung als qualifizierte
Fachkraft aus, davon rund zwei Fünftel in Berufen mit
Fachkräftemangel. Syrische Männer arbeiten großteils in
Logistikberufen, Frauen oft in Gesundheit und Pflege.
Welche Bedeutung haben Syrer fürs Gesundheitswesen?
Ohne Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland gäbe es laut
Bundesärztekammer noch größere Versorgungslücken. Mehr als 15 Proze
nt
der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte haben eine ausländische
Staatsangehörigkeit. Die Mehrheit kommt aus europäischen Staaten und
dem Nahen Osten. Häufigste Herkunftsländer sind Syrien (7.042),
Rumänien (4.682), Türkei (3.169), Russland (3.110), Österreich
(3.036) und Griechenland (2.991). Auch im Mangelberuf Pflege arbeiten
viele Syrerinnen und Syrer. Laut Arbeitgeberverband Pflege sind sie
eine zentrale Säule der in der Pflege arbeitenden Geflüchteten.
Welche Rolle spielt das Bürgergeld?
Aus Sicht von IAB-Forschungsbereichsleiter Weber hat es sich bewährt,
die Menschen eher mit deutscher Sprache und Qualifizierung in Arbeit
zu bringen als so schnell wie möglich. Dafür stand auch das
Bürgergeld, mit dem der vorherige Vermittlungsvorrang 2023
abgeschafft wurde. Eine Qualifizierungsmaßnahme begonnen haben vom
vergangenen Januar bis Juni laut Arbeitsagentur rund 56.700
Teilnehmende mit syrischer Staatsangehörigkeit, wie eine Antwort der
Regierung auf eine AfD-Anfrage zeigt.
518.000 syrische Staatsangehörige erhielten im Sommer 2024
Bürgergeld, darunter 353.000 Personen im erwerbsfähigen Alter und
rund 165.000 Kinder. 2018 bekamen noch mehr als 80 Prozent die
Sozialleistung - nun sind es noch mehr als jeder und jeder Zweite.
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