Wohin mit dem kranken Kind? Von Sandra Trauner, dpa

Die Erkältungswelle rollt, das Kind fiebert. Eltern klagen, dass sie
keinen Kinderarzt finden. Was sind die Gründe für den gefühlten
Versorgungsengpass? Und wie groß ist die Lücke wirklich?

Frankfurt/Main (dpa/lhe) - In Frankfurt kommt es für Eltern mit
kranken Kindern gerade Schlag auf Schlag: Ein Medizinisches
Versorgungszentrum macht Ende November seine Pädiatrie dicht, der
Kinderärztliche Bereitschaftsdienst am Universitätsklinikum ist seit
Oktober geschlossen. Eltern berichten, dass Praxen niemanden mehr
aufnehmen. 

Dennoch sagt Ralf Moebus, der Landesverbandsvorsitzende des
Berufsverbands der Kinder und Jugendärzt*innen in Hessen: «Wir hatten
noch nie so viele niedergelassene Kinderärzte wie jetzt.» Der
Versorgungsengpass sei «ein Narrartiv, das nicht der Realität
entspricht». Wie geht das zusammen?

Kündigungen oder Kostengründe?

Gehen wir der Sache nach. Die Firma Medicover betreibt an 30
Standorten Medizinische Versorgungszentren (MVZ). In Frankfurt gibt
es neben einem hausärztlichen MVZ auch eines für Kinderheilkunde.
4000 Kinder werden dort von vier Ärzten betreut - oder wurden, denn
spätestens Ende November ist Schluss. Wieso? «Alle vier Ärzte haben
gekündigt und wir finden keine neuen», sagt ein Sprecher. Das Aus
habe «definitiv keine monetären Gründe». 

Genau das vermuten dennoch viele, die sich mit dem Thema
beschäftigen. «Die Kinderheilkunde ist nicht lukrativ», sagt Ralf
Moebus, der für Kinderärzte spricht, die in einer Praxis arbeiten.
«Die Pädiatrie ist unterfinanziert», stimmt ihm Jürgen Graf zu, der

Ärztliche Direktor der Frankfurter Uniklinik mit Blick auf die
Kinderärzte in Kliniken.

Videosprechstunde als Ersatz 

Wer außerhalb der Praxisöffnungszeiten - also nachts oder am
Wochenende - zum Arzt muss, kann sich an den Ärztlichen
Bereitschaftsdienst wenden. Speziell für Kinder gab es in Frankfurt
bislang zwei pädiatrische Bereitschaftsdienst-Zentralen. Ende
September wurde die Praxis an der Uniklinik geschlossen. Nun gibt es
nur noch die am Klinikum Höchst.

«Hauptgrund ist der Personalmangel», erklärt ein Sprecher der
Kassenärztlichen Vereinigung, die diese Zentren betreibt, «und zwar
sowohl bei den Medizinischen Fachangestellten als auch bei den
Ärzten». Als Ersatz werden Videosprechstunden angeboten. «Wir wissen,

dass 40 Prozent der Erkrankungen, die die Eltern in die Zentralen
führen, per Videosprechstunde abschließend behandelt werden können.
»

Kinderarzt Moebus findet die Videosprechstunden super. «Gerade für
die Versorgung auf dem Land hat das große Vorteile. Da spart man sich
oft 30 bis 50 Kilometer Anfahrt.» Laut KV wird die Videosprechstunde
gut angenommen, das Angebot soll hessenweit weiter wachsen.

Auch die Politik sieht die Videosprechstunde positiv: Sie gebe Eltern
Sicherheit, entlastet die Notdienststandorte und helfe, unnötige Wege
und Ansteckungsrisiken zu vermeiden, sagte Familienministerin Diana
Stolz (CDU). 
«Mit der kinderärztlichen Videosprechstunde leistet die
Kassenärztliche Vereinigung einen wichtigen Beitrag zu einer
modernen, familienfreundlichen medizinischen Versorgung in Hessen.»

Jetzt und sofort und hier

Für die Uniklinik ist die Schließung des Bereitschaftsdienstes - der
ein partnerschaftlicher Untermieter war - dennoch eine
Herausforderung. Denn die Eltern mit den kranken Kindern kommen
trotzdem, wie der Ärztliche Direktor berichtet. Was also tun mit
Eltern, die unbedingt jetzt und sofort und hier Hilfe wollen? «Wir
schauen sie natürlich an und behandeln sie natürlich auch, wenn das
nötig ist», sagt Graf. 

Das Problem ist nur: Wenn ein Arzt in der Kinder-Notfallambulanz
eines Universitätsklinikums mit seiner gesamten Infrastruktur einen
kleinen Patienten begutachtet, kostet das ein Vielfaches von dem, was
der gleiche Fall in einer Kinderarztpraxis kosten würde. Im
Zweifelsfall wird vielleicht auch eine teure Spezialuntersuchung
gemacht oder das Kind muss über Nacht bleiben.

Eltern mit «Anspruchshaltung»

Dahinter liegt ein grundlegendes Problem unseres Gesundheitssystems.
Graf nennt es «fehlende bedarfsgerechte Steuerung»: Ein Kind mit
Erkältung muss nicht in eine Uniklinik, das ist den meisten Eltern
vermutlich klar, aber dort finden sie eben rund um die Uhr eine
offene Tür vor, auch wenn die Kinderarztpraxis zu hat oder keine neue
Patienten aufnimmt.

Wie viele andere Ärzte kritisiert auch Moebus eine gewisse
«Anspruchshaltung» der Eltern. Sie würden «immer häufiger mit
Banalitäten» in die Praxen kommen, sagt der niedergelassene
Kinderarzt: «Es gibt da eine gewisse 24/7-Erwartung». 

Was sagen die Daten?

Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hessen gibt es im
Bundesland 650 Kinderärztinnen und Kinderärzte in 300
Praxisstandorten. Der sogenannte Versorgungsauftrag liegt bei 460.
Der Versorgungsauftrag definiert, wie viele Stunden ein Arzt in einer
Praxis zur Verfügung stehen muss. 

Aktuell gibt es laut KV in Hessen nur acht freie kinderärztliche
Arztsitze: 4,5 im Schwalm-Eder-Kreis, 2 im Odenwaldkreis, 1 im
Rheingau-Taunus-Kreis und 0,5 im Landkreis Waldeck-Frankenberg. 

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der niedergelassenen Pädiater
in Hessen kontinuierlich gewachsen, vor zehn Jahren gab es 116
Kinderärzte weniger als heute, wie aus Daten der KV hervorgeht.

«So groß kann der Mangel nicht sein»

Den Mangel an Kinderärzten, den Eltern in den sozialen Medien und in
der lokalen Presse gern beklagen, hält Moebus für ein gefühltes
Problem. Manchmal müsse man vielleicht ein bisschen länger fahren.
Das werde sich in den kommenden Jahren noch verschärfen: «Der Weg zur
kinder- und jugendärztlichen Versorgung wird weiter werden.»

Wer dringend einen Termin brauche, könne sich auch an die
Bereitschaftsdienstnummer 116117 wenden. Das Callcenter helfe dann
bei der Suche. Diese Möglichkeit werde aber selten genutzt, sagt
Moebus: «So groß kann der Mangel also nicht sein.»

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