Missbrauch in der Physio-Praxis - «Das kann nicht sein»
Über Jahre verging sich ein Physiotherapeut an Patientinnen - die
jüngste war 15 Jahre, die älteste 83. Der Mann gab die Taten bereits
zu. Nächste Woche wird das Urteil gesprochen.
Rostock (dpa/mv) - Es war keine Physiotherapie, die an der jungen
Frau Ende 2024 in einer Praxis bei Rostock vorgenommen wurde.
Vielmehr berührte der Physiotherapeut die Patientin, die wegen
Nackenschmerzen zu ihm gekommen war, eindeutig im Intimbereich. «Ich
dachte, das geht doch nicht. Das kann nicht sein», erinnerte sich die
19-Jährige in ihrer Aussage bei der Polizei. Doch sie war nicht die
Einzige, die eine solche oder noch schlimmere Erfahrung machte, wie
sich herausstellte. Der Physiotherapeut mit Praxis in
Elmenhorst-Lichtenhagen steht seit Anfang September vor dem Rostocker
Landgericht. Die Plädoyers sind gehalten, das Urteil wird nächste
Woche erwartet.
Der Angeklagte hatte gleich zum Beginn des Prozesses die Taten
umfassend zugegeben. Es geht um 17 Frauen und 18 Fälle. Die Vorwürfe
wiegen schwer: Vergewaltigung in fünf Fällen, sexuelle Übergriffe in
elf Fällen und sexuelle Belästigung in zwei Fällen, wie die
Staatsanwältin in ihrem Schlussvortrag auflistete. Der Mann habe
seine Stellung als Therapeut missbraucht und die Patientinnen massiv
ausgenutzt. Die Taten hätten sich über fünf Jahre erstreckt und seien
letztlich nur durch die Festnahme des Angeklagten im vergangenen März
beendet worden. «Jeder hätte potenzielles Opfer des Angeklagten
werden können», so die Staatsanwältin, die eine Haftstrafe von vier
Jahren und sechs Monaten forderte.
«Wie gelähmt, verstummt»
Die 19-Jährige haderte lange mit sich, ob sie Anzeige erstatten
sollte oder nicht. Sie sei völlig verunsichert gewesen, berichtete
sie der Kriminalpolizistin in der rund einstündigen Vernehmung, die
mit dem Einverständnis der jungen Frau als Videoaufnahme in der
Gerichtsverhandlung gezeigt wurde. «Ich war wie gelähmt, verstummt.»
Sie habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass sie das Opfer sei,
und dass ihr Unrecht geschehen sei. Dann habe sie sich aber zur
Anzeige entschlossen, vor allem um zu verhindern, dass weitere
Patientinnen diese Erfahrung machen müssten.
Der 45-Jährige selbst nutzte das Schlusswort, um sich bei den
Betroffenen zu entschuldigen. «Nichts kann das Geschehene rückgängig
machen, auch wenn das mein sehnlichster Wunsch wäre», sagte der
Angeklagte, dem die Bezeichnung Physiotherapeut aberkannt wurde. «Mit
der Verhaftung und der U-Haft bin ich am tiefsten Punkt meines Lebens
angekommen. Ich empfinde tiefe Reue und schäme mich für meine Taten.»
Die Tatvorwürfe erstreckten sich laut Anklage auf den Zeitraum von
März 2020 bis März 2025.
«Opfer auf Rezept»
Verteidigerin Beate Falkenberg verwies auf das «umfassende und
qualifizierte» Geständnis ihres Mandanten, durch das eine aufwendige
Beweisaufnahme habe vermieden werden können. Dadurch seien auch
betroffenen Frauen Aussagen vor Gericht erspart worden. Ihr Mandat
habe insgesamt 115.000 Euro an Schadenersatz gezahlt, was auch nicht
alle Tage vorkomme. Falkenberg betonte, ihr Mandat wolle in Haft eine
Therapie machen. Sie plädierte auf eine Freiheitsstrafe zwischen
dreieinhalb und vier Jahren.
Die Nebenklage-Vertreterin, die für vier der geschädigten Frauen
sprach, konnte sich dagegen eine höhere Strafe als die von der
Staatsanwaltschaft geforderten viereinhalb Jahre Gefängnis
vorstellen. Die Patientinnen hätten die Praxis wegen gesundheitlichen
oder medizinischen Problemen aufgesucht, um Hilfe und Linderung für
ihre Leiden zu erfahren. «Alle Geschädigten sind dabei Opfer auf
Rezept geworden.»
Jede der Frauen haben ihre eigene Leidensgeschichte in der Praxis
erfahren und auch ihren eigenen Weg, damit umzugehen. Mit Blick auf
die Altersspanne der Opfer zwischen 15 und 83 Jahren sagte die
Anwältin: «Da fragt man sich: Was stimmt mit dem Angeklagten nicht?»
Das Gericht will am 4. November sein Urteil verkünden.
Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK
Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.