«Wenn ich nervös bin, ist es schlimmer» Von Stefanie Järkel, dpa
Nicolas Will aus Baden-Württemberg ist sportlich, arbeitet als
Logistiker in einem Wissenschaftsverlag, kocht gern - und stottert.
Mit Sprach- und Entspannungsübungen macht er sich fit für den Alltag.
Weinheim (dpa) - «Mein Name ist Nnnnnicolas Will, ich bin 32 Jahre
alt, bin hier in Wweinheim geboren und auch g-groß geworden», stellt
sich Nicolas Will vor. Er sitzt in der Küche seiner Zweizimmerwohnung
in Weinheim, einer 46.000-Einwohner-Stadt im Norden
Baden-Württembergs. Will stottert seit seiner Kindheit. Er hat
jahrelang mit Logopäden gearbeitet und übt täglich für ein
flüssigeres Sprechen. Der Mann im weißen Hemd, Jeans und kurzen
blonden Haaren sagt: «Ich versuche, mein Sprechen nicht unbedingt
mehr als Defizit wahrzunehmen, sondern auch als Teil von mir.»
Rund ein Prozent der Bevölkerung stottert laut der Bundesvereinigung
Stottern und Selbsthilfe - in Deutschland sind das knapp 840.000
Menschen. Im Kindesalter liegt der Anteil noch deutlich höher: Rund
fünf Prozent der Mädchen und Jungen stottern demnach, doch bei 70 bis
80 Prozent von ihnen legt sich das Problem wieder. Stottern ist eine
Störung des Redeflusses, die laut Experten hauptsächlich genetische
Ursachen hat.
Mit 16 Jahren Intensivtherapie in Kassel
Bei Will fing das Stottern als Kleinkind an - als er begann zwei,
drei Sätze hintereinander zu sprechen, wie er erzählt. Er blieb an
Worten hängen, wiederholte Silben. Der Kinderarzt testete sein
Sprechvermögen und überwies den Jungen an einen Logopäden. Mit dem
übte er regelmäßig über längere Zeit - allerdings nicht besonders
erfolgreich, sagt Will. «Das hat bei mir jetzt nicht so angeschlagen,
wie es eigentlich gewünscht wäre.»
Mit 16 Jahren machte er zwei Wochen lang eine Intensivtherapie in
Kassel. «Direkt danach war das Sprechen super.» Doch im stressigen
Alltag verloren sich die eingeübten Strategien wieder - und das
Sprechen wurde wieder schlechter.
Fußball als Hobby: Da muss man nicht so viel sprechen
In der Schule sei es manchmal schwierig gewesen, erzählt Will. Wenn
er die Antwort auf die Frage des Lehrers gewusst habe, sich aber
nicht getraut habe, vor der Klasse zu sprechen. «Das kann schon sehr
frustrierend sein, und die mündliche Note hat darunter natürlich auch
gelitten.» Seinen Realschulabschluss habe er mit einem Schnitt von
etwa 2,5 gemacht.
Mit seinen Mitschülern ist Will nach eigenen Angaben gut
zurechtgekommen. Früh fängt er an, Sport zu treiben. «Ich habe ein
Leben lang Fußball gespielt. Da hat man jetzt auch nicht so viel
sprechen müssen», sagt Will und lacht. Natürlich sei er das eine oder
andere Mal von Mitschülern nachgemacht worden. «Aber im Großen und
Ganzen war mein engeres Umfeld doch schon sehr tolerant.»
Mit Familie und Freunden hat er weniger Probleme
Grundsätzlich sei es auch so, dass er mit Familie und Freunden
weniger Probleme mit dem Stottern habe - wenn er entspannt sei, sich
wohlfühle. «Wenn ich etwas nervös bin oder bei fremden Personen, bei
vielen Personen, ist es halt dann schon etwas schlimmer», erzählt der
junge Mann.
Einen Ausbildungsplatz zum Speditionskaufmann habe er nach der Schule
allerdings ziemlich problemlos gefunden. Die Personalleiterin habe
damals zu ihm gesagt, «dass sie das toll findet, dass ich einen
kaufmännischen Beruf erlernen will, wo man natürlich auch
telefonieren muss, ein bisschen mehr reden muss». Er habe sich
bewusst für den Beruf entschieden, habe immer schon gern am Computer
gearbeitet und sei ein organisierter Mensch, sagt Will. Im
Fernstudium habe er zudem einen Abschluss als Fachwirt im
Logistikmanagement gemacht.
Erfolgreich im Beruf
Seit acht Jahren arbeitet er nun als Logistiker bei einem
Wissenschaftsverlag. Will kontrolliert den Warenfluss und steht in
Kontakt mit Druckereien. «Ich kenne Herrn Will bereits seit seinem
Vorstellungsgespräch, bei dem er noch sehr nervös war und sein
Stottern deutlich ausgeprägter war», sagt seine Chefin Tanja Keller.
Doch über die Jahre habe er deutliche Fortschritte gemacht. «In
ruhigen, wertschätzenden Arbeitsumgebungen fällt sein Stottern kaum
noch auf, und es stellt für ihn im Arbeitsalltag keine Einschränkung
mehr dar.» Will werde sich nun mit Fortbildungen auf eine
Führungsaufgabe vorbereiten.
Täglich Sprach- und Entspannungsübungen
Jeden Morgen macht Will 20 Minuten Entspannungs- und Sprachübungen,
wiederholt Worte, übt für ihn schwierige Sätze. «Man hat für den
Tag
ein bisschen mehr Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein», sagt Will, der
auch regelmäßig zu einer Logopädin geht. Über die Bundesvereinigung
hat er zudem Kontakt zu anderen Menschen gefunden, die stottern. «Das
tut gut, wenn man sich mit Betroffenen austauschen kann», betont er.
Neben beruflichem Erfolg und Verbesserungen beim Sprechen wünscht
Will sich auch eine Partnerin an seiner Seite. Als er in der Jugend
angefangen habe, sich für Mädchen zu interessieren, sei das Stottern
nicht hilfreich gewesen, erzählt er. «Es gibt natürlich immer
Charaktere, die besser darauf reagieren und Charaktere, die
schlechter darauf reagieren.» Heute gehe er sehr offen mit seinem
Stottern um und schreibe auf einer Dating-App frühzeitig, dass er
stottert. «Es gab bisher noch keine Partnerin, die aktiv gesagt hat:
«Mich stört es.»»
Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK
Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.