ADHS-Reha für Jugendliche: Hilfe in der Edelsteinklinik Von Bernadette Winter und Harald Tittel , dpa
In Bruchweiler finden Jugendliche Hilfe im Umgang mit ADHS. Ein
Einblick in den Alltag der jungen Patienten und wie sie lernen, mit
ihrer Störung umzugehen.
Bruchweiler (dpa/lrs) - Wie es in Yannicks Kopf aussieht oder was
darin vorgeht, kann er nicht in Worte fassen. «Ich bin früher häufig
ausgerastet und konnte mich nicht konzentrieren», erzählt der
16-Jährige aus Sachsen. Nur wenn ihn in der Schule etwas wirklich
interessiert, bleibt er aufmerksam. Beim Fußballspielen oder
Fahrradfahren fühlt er sich wohl.
Seit rund acht Jahren weiß Yannick, dass er ADHS hat, eine
Aufmerksamkeitsdefizitstörung mit Hyperaktivität. Seine Hoffnung:
Eine Besserung seiner Lage mit einer Reha in der Edelsteinklinik in
Bruchweiler im Landkreis Birkenfeld. Diese Klinik der Deutschen
Rentenversicherung Rheinland-Pfalz bietet unter anderem
psychosomatische und psychische Rehabilitation für Kinder und
Jugendliche an.
Permanente Erwartungshaltung
In Bruchweiler soll Yannick lernen, sich zu konzentrieren, weniger
häufig aggressiv zu reagieren und insgesamt mit ADHS besser
umzugehen. Lässt sich nachvollziehen, wie man sich mit dieser Störung
fühlt? «Stellen Sie sich vor, sie sind 24 Stunden in aufgeregter
Erwartungshaltung, so geht es ADHS-Patientinnen und Patienten
permanent», schildert Tigran Nersisyan, Facharzt für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und Leitender Oberarzt in der
Edelsteinklinik.
Wie häufig Kinder und Jugendliche von ADHS betroffen sind, lässt sich
nur schätzen. «Die Forschung geht von 5,5 bis 8 Prozent der
Bevölkerung aus», sagt Nersisyan. Fest steht, dass inzwischen mehr
Kinder und Jugendliche eine Reha in Anspruch nehmen als früher.
2014 gab es bei der Rentenversicherung in ganz Deutschland insgesamt
31.384 Reha-Maßnahmen, davon 7.546 für psychosomatische und
psychische Störungen. 2024 stieg die Zahl auf 32.222 Reha-Maßnahmen,
davon 10.771 für psychosomatische und psychische Störungen. In
Rheinland-Pfalz sind die absoluten Zahlen in den vergangenen zehn
Jahren aber leicht gesunken.
Die Studienlage zeige keine Zunahme von ADHS bei Kindern und
Jugendlichen, erklärt Sabine Maur. Sie ist Präsidentin der
Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz und hat eine Praxis in
Mainz mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Die
größere Zahl an Kindern und Jugendlichen in den Praxen führt sie auf
größere Bekanntheit und Akzeptanz der Störung in der Bevölkerung
zurück, vor allem bei Eltern und Lehrkräften. «Eine Behandlung ist
nicht mehr so stigmatisiert wie früher», sagt die Psychologische
Psychotherapeutin.
ADHS wird bedeutsamer werden
Neben Yannick sind im August 16 Patienten und Patientinnen mit ADHS
in Bruchweiler untergebracht. Im vergangenen Jahr behandelte die
Klinik 149 Kinder und Jugendliche wegen dieser Störung. «Wir stellen
uns darauf ein, dass ADHS in der Reha bei Kindern und Jugendlichen
künftig eine stärkere Rolle spielen wird», sagt Hans-Georg Arnold,
Sprecher der DRV Rheinland-Pfalz.
Medikamente gegen Reizüberflutung
Die Reha dauert in der Regel vier bis sechs Wochen. Medikamente sind
ein wichtiger Baustein der Behandlung und haben Maur zufolge einen
besseren Effekt als Psychotherapie auf die Konzentrationsfähigkeit.
Denn das AD(H)S-Gehirn leidet unter ständiger Reizüberflutung, die
Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin sind im Ungleichgewicht. «ADHS
ist keine Reaktion auf ein Trauma oder belastende Lebensumstände,
sondern eine neurobiologische Störung, die angeboren und auch erblich
ist», sagt Maur. Insbesondere die Abschnitte im Gehirn seien
beeinträchtigt, die für eine Steuerung des Verhaltens oder von
Emotionen, aber auch für alltägliche organisatorische Aufgaben
zuständig sind.
Angehörige können eine wichtige Unterstützung im Alltag sein.
Deswegen machen gut zwei Drittel der jungen ADHS-Patienten und
Patientinnen die Reha in Begleitung ihrer Eltern, eine Besonderheit
der Edelsteinklinik.
In Bruchweiler ist es möglich, mit oder ohne Eltern anzureisen. Die
Eltern nehmen an Schulungen teil und erhalten Tipps und Ratschläge,
wie sie mit dem Verhalten ihrer Kinder umgehen können. Von den Ärzten
gibt es Anweisungen zur medikamentösen Behandlung. Bei jüngeren
Kindern gibt es nach den Therapieeinheiten auch Reflexionsgespräche
mit den Eltern. Ältere Jugendliche kommen meist ohne Begleitung, da
sie lernen sollen, selbstständig mit der Störung umzugehen.
Von Ergo- bis Psychotherapie
Immer wieder sonntags bekommt Yannick einen festen Therapieplan.
Darin: Ergotherapie, Konzentrationstraining, Psychotherapie, Sport
beziehungsweise Bewegungstherapie, Ernährungstherapie und außerhalb
der Ferienzeit Schulunterricht. Die Kinder und Jugendlichen kochen
zusammen oder machen mit ihren Therapeutinnen und Therapeuten
Entspannungsübungen.
Im Konzentrationstraining lernen die Jugendlichen, sich selbst verbal
anzuleiten. Sie schaffen eine innere Struktur und sprechen sich die
einzelnen Schritte vor, um Aufgaben zu lösen. Mit der Zeit soll dies
nur noch innerlich gedacht werden.
Yannick berichtet, dass ihm der Kontakt zu anderen Jugendlichen mit
ADHS gut tut. «Einerseits hilft es, weil man sich nicht so alleine
fühlt, andererseits ist es auch anstrengend, weil alle unkonzentriert
sind.»
Die Edelsteinklinik ist nicht die einzige Reha-Klinik für Kinder und
Jugendliche in Rheinland-Pfalz, es gibt noch zwei weitere: das
Viktoriastift in Bad Kreuznach, das zum Landeskrankenhaus gehört, und
die privat geführte Katharina-Schroth-Klinik in Bad Sobernheim, die
sich auf Orthopädie spezialisiert hat. Deutschlandweit bietet neben
der Edelsteinklinik auch die Fachklinik Gaißach in Oberbayern ein
ADHS-Programm für Kinder und Jugendliche an.
Yannick nimmt nicht nur neue Erfahrungen, sondern auch seine
ADHS-Skills mit nach Hause - das sind Strategien, die er sich mit
seinen Sozialpädagogen erarbeitet hat. Dazu gehört Musik hören oder
in ein Kissen boxen, sollte er wieder ausrasten. «Wenn man weiß wie,
kann man mit ADHS gut umgehen», sagt der Jugendliche.
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