Museumsbesuch auf Rezept - bald auch in Deutschland? Von Sabine Glaubitz, dpa
Cézanne oder Picasso auf Rezept? In einigen Ländern ist das längst
Realität. Vielleicht führt auch in Deutschland der Weg zur Genesung
bald nicht mehr in die Apotheke - sondern ins Museum.
Paris/Berlin (dpa) - Statt Tabletten ein Ticket: Vor über zehn Jahren
begann in Großbritannien ein Experiment, das heute weltweit Nachahmer
findet - von Kanada über Belgien bis Frankreich. Ärztinnen und Ärzte
verschreiben kostenlos Museumsbesuche - gegen Stress, Depressionen
und andere psychische Erkrankungen. Und Deutschland? Hier steckt die
Idee noch in den Anfängen.
Europa: Großbritannien als Vorreiter
Was in Deutschland noch wie Zukunftsmusik klingt, ist in
Großbritannien längst Realität. Dort läuft der Museumsbesuch unter
dem Dach des «Social Prescribing» - also der Verschreibung sozialer
oder kultureller Aktivitäten zur Gesundheitsförderung - einem festen
Baustein des staatlich finanzierten Gesundheitssystems NHS (National
Health Service).
Die ersten Museumsrezepte - «Museums on Prescription» - starteten
2014 in einem dreijährigen, preisgekrönten Pilotprojekt - zunächst
für ältere, sozial isolierte Menschen. Heute sind Kunst- und
Museumsbesuche fest im Gesundheitssystem verankert - und die Wirkung
ist messbar: 37 Prozent weniger Hausarztbesuche, 27 Prozent weniger
Krankenhauseinweisungen. Die Zahlen stammen aus den 2023 erhobenen
Daten der «Culture Health & Wellbeing Alliance», ein landesweites
Netzwerk kreativer Gesundheitsinitiativen.
Von Montreal bis Belgien und Frankreich
Auf Großbritannien folgte Kanada. Seit 2018 verschreiben Ärztinnen
und Ärzte in Montreal Besuche im Museum of Fine Arts (MMFA). Pro Jahr
kann jeder Arzt bis zu 50 Rezepte ausstellen, die von der
Krankenkasse übernommen werden. Studien des dortigen AgeTeQ-Labors
belegten: Wer auf Rezept kommt, zeigt messbar höhere Lebensqualität
und psychisches Wohlbefinden.
Das Konzept fand schnell weitere Anhänger. In Brüssel begann 2021 ein
ähnliches Programm: Gestartet mit fünf Museen und 33 Medizinerinnen
und Medizinern, sind heute mehr als zehn Museen und 18 medizinische
Einrichtungen beteiligt. Den Eintritt in die Brüssler Museen
übernimmt die Stadt.
In Frankreich wird die Idee landesweit umgesetzt - von Rennes in der
Bretagne bis an die Côte d'Azur. In Nizza erlaubt ein «L'art c'est la
santé»-Rezept («Kunst ist Gesundheit») auch den Besuch des
renommierten Matisse-Museums. Parallel erforschen im ganzen Land
zahlreiche Forschungsprojekte, welchen Einfluss Kunstbesuche auf das
Wohlbefinden haben.
Kultur als Sport des 21. Jahrhunderts?
Kunsthistorikerin Nathalie Bondil, Ex-Direktorin des Museum of Fine
Arts (MMFA) und heute Leiterin des Institut du Monde Arabe in Paris,
ist überzeugt: Kultur wird im 21. Jahrhundert für unsere Gesundheit
das, was Sport im 20. Jahrhundert war.
Im Radiosender «France Info» erklärte sie: «Der Mensch ist biologis
ch
darauf ausgelegt, von Schönheit berührt zu werden und dadurch
Wohlbefinden zu empfinden.» In Montreal setzte Bondil die Idee 2018
schließlich praktisch um.
Den Erfolg solcher Museumsbesuche beschreibt Dr. Catherine Hanak,
leitende Psychiaterin an der Uniklinik Brugmann in Brüssel
anschaulich in der Wochenzeitung «Le Nouvel Obs»: «Wenn wir etwas
Angenehmes tun, reagiert unser Gehirn wie bei einem kleinen Feuerwerk
- Dopamin wird freigesetzt, und wir fühlen uns sofort wohl. Das
passiert beim Sport, bei einem Spaziergang im Wald - und genauso,
wenn uns ein Kunstwerk berührt.»
Deutschland: Forschung, aber kein offizielles Ticket
Auch in Deutschland zeigt die Forschung, dass Museumsbesuche
Depressionen, Demenz und Einsamkeit lindern können - und das oft
wirksamer und günstiger als Medikamente. Ein Bericht der TU Dresden
empfahl daher die Besuche in die Regelversorgung aufzunehmen. Darin
heißt es: «Eine Jahreskarte fürs Museum wirkt offenbar deutlich
wirksamer als Medikamente - besonders bei der Linderung depressiver
Symptome von Menschen mit Demenz.»
Gemeinsam mit der Charité erprobt das Bode-Museum das Projekt «Das
heilende Museum». Es will die Achtsamkeit vor Kunstwerken erzielen.
Dafür steht ein eigens dafür hergerichteter Raum zur Verfügung, in
dem verschiedene Meditationstraditionen präsentiert werden. Wer
teilnehmen möchte, kann die Übungen per Audioguide, Smartphone oder
Website abrufen; dabei fallen Museumseintritt und ein
Teilnehmerbeitrag an.
Von Kunsttherapie zur Museumstherapie
Schon 2019 wertete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) über 3.000
Studien aus - mit klarem Ergebnis: Kunst- und Kulturangebote stärken
die psychische und physische Gesundheit - sie helfen, Leiden zu
verarbeiten und den Genesungsprozess zu fördern.
Darauf basiert die Museumstherapie. Anders als die bekanntere
Kunsttherapie erfordert sie kein künstlerisches Talent - nur die
Bereitschaft, Kunst bewusst zu erleben, etwa nach dem
Slow-Art-Prinzip, bei dem man sich Zeit für einzelne Werke nimmt. Neu
ist die Erkenntnis: Schon die reine Begegnung mit Kunst kann heilsam
sein - ganz ohne eigenes kreatives Schaffen.
Wachsende Debatte, aber offene Fragen
Seit 2014 nehmen die Initiativen Fahrt auf, und die Museumstherapie
erlebt laut Forscherin Leslie Labbé ihren Moment des Aufbruchs. Doch
so verlockend die Idee klingt, bleibt eine Hürde: Im Gespräch mit
«France Culture» räumte Labbé ein, dass der medizinische Nutzen noc
h
nicht abschließend wissenschaftlich belegt sei.
Trotzdem machte sie deutlich, warum Museumsbesuche so wertvoll sein
können: «Wer eine Krankheit behandelt, therapiert nicht nur die
Symptome, sondern begleitet den Menschen als Ganzes - und dazu bietet
ein Museum unzählige Ansatzpunkte, die sich therapeutisch nutzen
lassen.»
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