Solinger Anschlag: Kurs Richtung Höchststrafe Von Frank Christiansen, dpa

Sie wollten tanzen, er wollte töten: Der geständige Attentäter vom
Solinger Stadtfest muss mit der Höchststrafe rechnen. Am kommenden
Mittwoch soll das Urteil verkündet werden.

Düsseldorf (dpa) - Ein Ehemann hält seine sterbende Frau in den
Armen, Menschen kämpfen um ihr Leben. Kurz vor Ende der
Beweisaufnahme wird der Schrecken von Solingen im Gerichtssaal noch
einmal präsent. Das Oberlandesgericht spielt einen Notruf ab, der
unmittelbar nach dem Terroranschlag auf dem Solinger Stadtfest vor
gut einem Jahr aufgezeichnet wurde. Zu hören sind Schreie, Panik,
eine Sanitäterin berichtet von sechs Menschen mit Verletzungen am
Hals. «Hilfe, die verbluten!», ruft jemand aus dem Hintergrund. 

Auf der Anklagebank wirkt Issa al H. unbeteiligt. Das ist nicht immer
so. Er ist oft impulsiv, äußert sich - zur Verzweiflung seiner
Verteidiger - spontan, redet bei den Plädoyers mehrfach dazwischen
und muss ermahnt werden. 

Urteil am Mittwoch erwartet

Schneller als ursprünglich geplant befindet sich der Prozess gegen
den Syrer auf der Zielgeraden. Bundesanwaltschaft und sämtliche
Nebenklägeranwälte haben bereits die Höchststrafe für ihn beantragt
:
lebenslange Haft mit besonderer Schwere der Schuld und anschließender
Sicherungsverwahrung. Die Anklagevorwürfe - dreifacher Mord,
zehnfacher versuchter Mord und Mitgliedschaft in der Terrorgruppe IS
- hätten sich voll bestätigt. 

Am Dienstag sind die Verteidiger mit ihren Plädoyers an der Reihe. Am
Mittwoch soll das Urteil verkündet werden. 

Kein Zweifel an Täterschaft

An der Täterschaft des Syrers besteht kein Zweifel. Die Beweislage
wäre auch ohne sein Geständnis erdrückend: Es gibt seine Spuren an
der Tatwaffe, Opferblut an seiner Kleidung, zahllose Zeugenaussagen,
ein Bekennervideo, aufgenommen mit seinem Handy, dazu eins mit einem
Treueschwur auf den IS-Kalifen, ein weiteres für seine Eltern. 

Welche Strafe für ihn denn gerecht wäre, fragte Psychiater Johannes
Fuß den 27-Jährigen bei der Untersuchung. Ihn sollte man zwei, drei
Jahre beobachten, aber seinen Telegram-Kontaktmann, den sollte man
hinrichten, war die Antwort. 

«Ich bin Issa, ich habe drei Leute umgebracht»

Dass es so nicht kommen wird, davon geht der 27-Jährige wohl selbst
aus. Jedenfalls stellte er sich dem Psychiater mit den Worten vor:
«Ich bin Issa, ich habe drei Leute umgebracht. Da bekommt man 80
Jahre. Ich warte auf den Tod.»

Lange hatte al H. sich als Opfer der Manipulationen seines
Telegram-Chatpartners dargestellt. Doch die Indizien für seine
IS-Nähe, seine jahrelange Radikalisierung und seinen islamistisch
geprägten Hass summierten sich von Prozesstag zu Prozesstag. 

So bescheinigte der Islam-Sachverständige Guido Steinberg dem
Angeklagten, mit der speziellen Terminologie des IS sehr vertraut zu
sein. Bereits seit Ende 2019, also noch bevor er nach Deutschland
kam, habe er sich radikalisiert, bilanzierte die Bundesanwaltschaft.
Nachdem er zunächst immer mehr islamistische Inhalte konsumiert habe,
habe er sie später auch selbst verbreitet. Die Behörden bekamen davon
offenbar nichts mit. 

«Sein wahres Gesicht gezeigt»

Seine Tat hatte er zunächst als Rache für die Massaker «der
Kreuzzügler» an Muslimen in Bosnien, dem Irak und weiteren Ländern
bezeichnet, ein anderes Mal waren es die toten Kinder im
Gaza-Streifen und die Waffenlieferungen Deutschlands an Israel, die
ihn zu der Tat getrieben hätten. 

Eigentlich habe er ja einen Brandsatz auf die israelische Botschaft
in Berlin werfen wollen, aber dann habe er in Solingen die
Vorbereitungen zum Stadtfest wahrgenommen. Tanzen, während in Gaza
die Kinder sterben? Das habe er nicht hinnehmen können.

«Erst kurz vor Ende der Beweisaufnahme hat er sein wahres Gesicht
gezeigt: das des Dschihadisten und Islamisten», sagt Antje Groenewald
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft über den Angeklagten. Er habe
darauf gedrungen, dass der IS den Anschlag für sich reklamiert, wie
es dann auch geschehen war.

Hohes Rückfallrisiko 

Der Psychiater sieht bei dem Mann ein hohes Rückfallrisiko. Zur
islamistischen Ideologie komme bei ihm ein Mangel an Empathie und
eine Faszination für Gewalt. Daraufhin hatte das Gericht den Hinweis
gegeben, dass für Issa al H., immerhin nicht vorbestrafter Ersttäter,
dennoch die Sicherungsverwahrung in Betracht komme. 

Trotz eines Intelligenzquotienten von nur 71 hatte der Psychiater
keine Einschränkung der Schuldfähigkeit festgestellt. Ab 69 oder
niedriger gilt man als geistig behindert und könnte mit einer
Feststellung der verminderten Schuldfähigkeit rechnen. In Syrien
liege man mit 71 aber noch im unteren Normbereich, sagte Psychiater
Fuß. 

«Mehr Heimtücke geht nicht»

Nebenklage-Vertreter Simon Rampp sagte, der Angeklagte habe 13
friedlich feiernde Besucher des «Festivals der Vielfalt» im Dunkeln
und von hinten mit einem Messer angegriffen. «Mehr Heimtücke geht
nicht.» Die Version des Angeklagten, während der Tat unter einer
Wahnvorstellung gelitten zu haben, sei eine plumpe Schutzbehauptung.

Seit der Attacke auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 war der
Anschlag von Solingen der erste in Deutschland, zu dem sich der IS
bekannt hatte. In der Folge wurden Sicherheitspakete geschnürt und
beschlossen. Ein Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags prüft zudem,
wieso die Abschiebung von Issa al H. nach Bulgarien scheiterte. Das
erwartete Urteil im Prozess wird nun ein weiterer Punkt bei der
Aufarbeitung der Tat sein.

Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK

Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.

Jetzt der TK beitreten





Zur Startseite