Wie Suizide verhindert werden könnten Von Sandra Trauner, dpa

Mit wenig Aufwand könnte man viele Menschenleben retten, sagt
Deutschlands einzige Professorin für Suizidprävention. Und empfiehlt
konkrete Maßnahmen.

Frankfurt/Main (dpa) - Depressionen gut zu behandeln ist einer der
wichtigsten Hebel, um Suizide zu verhindern. Davon ist Ute Lewitzka
überzeugt - die Psychiaterin der Frankfurter Goethe-Universität ist
Deutschlands erste und einzige Professorin für Suizidforschung. Zum
Internationalen Welttag der Suizidprävention am 10. September spricht
sie über kleine Schritte mit großer Wirkung,
Elektrokonvulsionstherapie, Lithium und den Unternehmer Wolfgang
Grupp.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts starben im Jahr 2023 in
Deutschland etwa 10.300 Menschen durch einen Suizid - deutlich mehr
Männer als Frauen. Das entsprach demnach etwa einem Prozent aller
hiesigen Todesfälle.

«Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, und

sie haben das höchste Risiko für einen Suizid», sagt Lewitzka. Der
Fall des Unternehmers Wolfgang Grupp zeige, dass die Krankheit jeden
treffen könne. Der Trigema-Gründer hatte im Juli öffentlich gemacht,

dass er an einer Altersdepression leide und mit 84 Jahren versucht
habe, sein Leben zu beenden.

Wolfgang Grupp und die Supermarkt-Verkäuferin

«Alle Prominenten, die Depressionen haben, sollen sich outen - das
ist sehr hilfreich», sagt Lewitzka, die sich für eine
Entstigmatisierung dieser Krankheit einsetzt. «Aber sie sollen bitte
auch mit dafür sorgen, dass zum Beispiel auch eine Verkäuferin vom
Supermarkt genauso schnell ins Hilfesystem kommt und den besten
Psychiater findet.»

Neben den bewährten Methoden, Depressionen zu behandeln -
hauptsächlich Medikamente und Psychotherapie - gebe es weitere
Optionen, die aus Lewitzkas Sicht bislang zu wenig genutzt werden.
Eine ist die sogenannte Elektrokonvulsionstherapie (EKT), bei der
unter kurzer Narkose mit Strom ein Krampfanfall im Gehirn ausgelöst
wird. «Das wirkt wie ein Gewitter im Gehirn, das Prozesse,
Botenstoffe und Nervenverbindungen zurücksetzt.»

Gewitter im Gehirn - mit Strom

Aus den dunklen Anfangszeiten der Psychiatrie hätten viele Menschen
Vorbehalte gegen den Einsatz von Elektrizität, räumt Lewitzka ein.
Das sei aber unbegründet. «EKT ist heute eine sehr sichere und sehr
effektive Methode, gerade für Patienten, bei denen bereits viele
andere Therapien fehlgeschlagen sind.»

Eine Übersichtsstudie aus Basel, die in der Fachzeitschrift
«Neuroscience Applied» veröffentlicht wurde, zeigte kürzlich, dass

Menschen mit schwerer Depression nach einer solchen Behandlung ein um
34 Prozent geringeres Risiko hatten, durch Suizid zu sterben -
verglichen mit jenen, die mit herkömmlichen Alternativen wie
Antidepressiva behandelt wurden. 

Lithium zu selten eingesetzt

Noch weniger eingesetzt wird Lewitzka zufolge Lithium, ein natürlich
vorkommendes Salz, das - als Medikament verabreicht - krankhaft
schwankende Stimmungen ausgleichen kann. Lithium kommt in minimalen
Spuren auch im Trinkwasser vor - und kann Suizide möglicherweise
verhindern. 

Eine im «Australian & New Zealand Journal of Psychiatry»
veröffentlichte Metaanalyse von 2020, die Studien aus verschiedenen
Ländern zusammenfasst, legt diesen Zusammenhang nahe: Je höher der
Lithium-Anteil im Trinkwasser, desto niedriger war die Suizidrate.
Die Autoren hatten dafür die Daten von 113 Millionen Menschen in
2.678 Regionen verglichen. 

In Deutschland finde eine reguläre Behandlung mit Lithium in der
Psychiatrie kaum statt, kritisiert Lewitzka. «Lithium ist ein
unterverordnetes Medikament.»

Die effektivste Suizidprävention: Methodenrestriktion

«Die effektivste Methode der Suizidprävention ist die
Methodenrestriktion», sagt die Psychiaterin. Auf Deutsch: Menschen,
die sich das Leben nehmen wollen, den Zugang zur Methode ihrer Wahl
so schwer wie möglich machen. Lewitzka sieht hier einen Ansatz, der
nicht viel kosten muss und viel bringt. 

Als Beispiele nennt sie das Sichern von Bahngleisen oder
Hochhausdächern. Zudem könnten Medikamente in kleineren Packungen
abgegeben werden. Am zweitwichtigsten findet die Expertin, dass
Menschen in Krisen Hilfe finden: Es müsse genug niedrigschwellige
Angebote geben, Ärzte sollten ein mögliches Suizidrisiko gut erkennen
können.

«Die Gruppe, um die ich mir am meisten Sorgen mache»

Bei wie vielen Menschen, die ihr Leben beenden, eine psychische
Erkrankung vorliegt, ist nicht bekannt. Einige Studien gehen von 90
Prozent aus, Lewitzka hält diese Zahl für zu hoch. «Es gibt immer
wieder Menschen, wo selbst die engsten Angehörigen sagen, es habe
keinerlei Hinweis auf eine Veränderung gegeben», erläutert sie. «Da
s
ist die Gruppe, um die ich mir am meisten Sorgen mache, weil wir
nicht wissen, wie wir diese Menschen vorher erreichen können.»

Hat das Umfeld Sorge, dass jemand an Suizid denkt, sei Schweigen der
falsche Weg, sagt Lewitzka. «Es ist ein Mythos, dass man mit einem
Gespräch jemanden erst auf diesen Gedanken bringt oder ihn bestärkt.»

Die Botschaft, die man vermitteln sollte, lautet: «Ich mache mir
Sorgen. Ich möchte für Dich da sein.»

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