Nach Tod eines Jugendlichen in JVA ist Betroffenheit groß
Warum starb ein 15-Jähriger in der Justizvollzugsanstalt Ottweiler im
Saarland? Es gibt Vorwürfe. Im Landtag beginnt die Aufklärung. Worum
es geht.
Saarbrücken (dpa) - Nach dem Tod eines Jugendlichen in der
Justizvollzugsanstalt (JVA) Ottweiler nordöstlich von Saarbrücken
beschäftigen Vorwürfe von Gewalt und Rassismus Politik und Justiz im
Saarland. Der Justizausschuss des Landtags kam zu einer nicht
öffentlichen Sondersitzung zusammen, um umfassend von Landesregierung
und Staatsanwaltschaft informiert zu werden. Der Tenor danach: Alle
Parteien wollen Aufklärung. Und: Es gibt eine große Betroffenheit.
Was ist passiert?
Ein 15-jähriger Gefangener hat sich in der JVA Ottweiler am 1. August
das Leben genommen. Nach Angaben des CDU-Landtagsabgeordneten
Christopher Salm war der Jugendliche zunächst gesondert und «sicher
verwahrt» untergebracht - auch mit Videoüberwachung. Er sei von
Psychologen, Arzt und Sozialdienst engmaschig betreut worden. An dem
Tag, an dem man seine Verlegung in einen normalen Haftraum
beschlossen habe, habe er sich dann dort das Leben genommen.
Einen Tag später kam es zum Protest in der Haftanstalt: 17 Gefangene
des Jugendvollzugs weigerten sich nach der Freistunde, in ihre
Hafträume zurückzukehren - und erhoben Vorwürfe wegen der
Haftbedingungen sowie gegen einzelne Bedienstete. Es gab einen
längeren Polizeieinsatz vor Ort.
Um welche Vorwürfe geht es?
Die Gefangenen werfen Justizbeamten vor, den schwarzen 15-Jährigen
vor seinem Tod verletzt zu haben. Dazu laufen Vorermittlungen in
einem sogenannten Verdachtsprüfungsverfahren, wie die
Staatsanwaltschaft Saarbrücken mitteilte. Darin werde überprüft, ob
ein Anfangsverdacht «hinsichtlich etwaigen Körperverletzungen zu
Lasten des verstorbenen Inhaftierten» vorliege.
Was für Ermittlungen gibt es?
Aufgrund weiterer erhobener Vorwürfe sind laut Staatsanwaltschaft
gegen zwei Justizbeamte insgesamt drei Ermittlungsverfahren
eingeleitet worden. Darin gehe es um Körperverletzung im Amt. Weitere
Angaben zu den Ermittlungen dringen aus dem Ausschuss nicht nach
außen.
Die Obduktion des Jugendlichen ergab «keine Hinweise auf
Fremdeinwirkung» und «keine äußeren Verletzungszeichen», hatte di
e
Staatsanwaltschaft mitgeteilt. Der CDU-Politiker Salm sagte nach der
Sitzung, es gebe bisher keinerlei Anhaltspunkte für
Rassismus-Vorwürfe gegen Justizbedienstete.
Wie reagieren die sozialen Medien?
In den sozialen Medien wird rassistische Gewalt für den Tod des
15-Jährigen verantwortlich gemacht. «Er war schwarz, minderjährig -
und zuvor Gewalt durch Justizbeamte ausgesetzt», heißt es in einem
Spendenaufruf für die Familie. Es gebe «Hinweise, dass Nelson kurz
vor seinem Tod getreten und geschlagen wurde - angeblich wegen eines
gestohlenen Snacks».
Die Vorwürfe wiegen demnach schwer: «Wie kann es sein, dass ein
junger schwarzer Mensch so verzweifelt ist, dass er keinen anderen
Ausweg sieht, als sich das Leben zu nehmen? Was für rassistischer
Gewalt muss Nelson ausgesetzt gewesen sein?», heißt zu der Aktion
unter dem Titel «Gerechtigkeit für Nelson».
Warum war der Jugendliche im Gefängnis?
Laut Gerichtspressestelle war der Jugendliche aufgrund eines
Sicherungshaftbefehls in der JVA. Ein solcher Haftbefehl wird
beispielsweise ausgestellt, wenn die Bewährung für eine vorherige
Verurteilung rückgängig oder voraussichtlich rückgängig gemacht wir
d.
Öffentlich gibt es keine Angaben über vorherige Verurteilungen oder
Beschuldigungen.
CDU-Politiker Salm sagte nach der Sondersitzung im Landtag: «Die
Umstände, die dazu führen, dass ein 15-Jähriger überhaupt in der JV
A
in Deutschland oder im Saarland landet, die sind schon sehr, sehr
hoch.» Dafür seien «sehr viele Straftaten innerhalb kürzester Zeit
von Körperverletzungen bis Wohnungseinbruchsdiebstählen» nötig.
Die Staatsanwaltschaft gab an, sie könne dazu «sowohl aus Gründen des
Persönlichkeits- als auch des Verfahrensschutzes» keine Auskünfte
erteilen.
Wie reagiert die Politik auf den Fall?
Die saarländische Justizministerin Petra Berg (SPD) verspricht eine
«vollständige und lückenlose Aufarbeitung der Geschehnisse: Die im
Raum stehenden Vorwürfe sind sehr gravierend, und wir nehmen sie
ernst.» Auch die oppositionelle CDU im Saarland fordert «eine
schnellstmögliche und objektive Aufarbeitung und Aufklärung der
tragischen Ereignisse» in der Haftanstalt.
Die Saar-Grünen wollen ebenfalls eine «lückenlose Aufklärung». De
r
Fall werfe schwerwiegende Fragen zum Zustand des saarländischen
Justizvollzugs auf. «Der Tod eines Jugendlichen in staatlicher Obhut
ist eine menschliche Tragödie», sagte Grünen-Landeschef Volker Morbe.
Wenn sich der Verdacht auf «institutionellen Rassismus» erhärte,
müssten politische und strukturelle Konsequenzen folgen.
Was tun Haftanstalten, um Suizide zu verhindern?
Zur Prävention sei das allgemeine Vollzugspersonal ebenso geschult
wie Sozialarbeiter und Psychologen, sagte der Vorsitzendes des Bundes
Saarländischer Justizvollzugsbediensteter (BSJ), Sascha Klein. Wenn
es «nur das kleinste Anzeichen» gebe, dass sich ein Gefangener
umbringen wolle, würden besondere Sicherungsmaßnahmen eingeleitet.
Dazu zähle auch eine 24-Stunden-Überwachung mit einer Kamera im
Haftraum.
Zu den besonderen Maßnahmen könne auch gehören, dass dem Gefangenen
alle gefährlichen Gegenstände entzogen würden. Er bekomme dann
Besteck aus Plastik oder Holz und keine normalen Teller. Gürtel und
Schnürsenkel würden ihm auch weggenommen, sagte Klein. Es gebe in
diesen Fällen dann auch Unterwäsche aus Papier.
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