Urteil für vierfachen Solinger Feuermord erwartet Von Frank Christiansen, dpa

Dem geständigen Solinger Daniel S. droht wegen vierfachen Mordes und
Mordversuchen an 20 Menschen die Höchststrafe. An diesem Mittwoch
dürfte ein spektakulärer Prozess enden.

Wuppertal (dpa) - Nachbarn beschrieben ihn als freundlich und
hilfsbereit. Doch der psychiatrische Gutachter hält ihn für
hochgefährlich. Wer ist Daniel S. (40)? Er hat den vierfachen
Feuermord von Solingen, weitere Brandstiftungen in Wohnhäusern und
eine Macheten-Attacke auf einen langjährigen Freund gestanden. 

Der Staatsanwalt hat am Montag die Höchststrafe für ihn beantragt:
lebenslange Haft, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld
und anschließende Sicherungsverwahrung. Mehrere Nebenkläger haben
sich dem angeschlossen. An diesem Mittwoch (30. Juli) wird das Urteil
erwartet. 

«Wir rechnen damit, dass unser Mandant die volle Packung bekommt»,
hatte Verteidiger Marc Françoise gesagt. Damit nähert sich ein
spektakulärer Prozess dem Ende. Trotz des raschen Geständnisses kamen
immer wieder neue Wendungen ans Licht. Die Polizei musste umfangreich
ermitteln.

Zweifel am behaupteten Motiv

Vor allem die Zweifel am behaupteten Motiv des 40-Jährigen nahmen im
Prozessverlauf zu. War es tatsächlich Stress mit der ehemaligen
Vermieterin, obwohl er doch schon lange nicht mehr in dem Haus
wohnte? Und welches Motiv war es dann bei einem weiteren Haus, in dem
er Feuer legte? 

Oder hat es sich um einen weiteren rassistisch motivierten
Mordanschlag in Solingen gehandelt? Nebenklage-Vertreterin Seda
Ba?ay-Yildiz brachte in den vergangenen Monaten durch eigene
Recherchen einiges zutage, dass auf eine rechte Gesinnung des
Angeklagten deutete. Sogar ein später überarbeiteter Aktenvermerk kam
ans Licht, wonach die Polizei zwischenzeitlich selbst diesen Verdacht
hegte.

Indizien für rechtsradikale Einstellung

Die Indizien: Ein Zettel mit einem rassistischen Gedicht in einer vom
Angeklagten genutzten Garage, ein rassistischer Chat mit seiner
Freundin und 166 rechtsextreme Dateien auf einer Festplatte, von
denen nicht klar ist, wem sie zuzurechnen sind. In einer
leerstehenden Wohnung des Hauses, in dem der Angeklagte wohnte, wurde
Literatur über NS-Größen gefunden. Der Sohn hatte Zugang, aber wem
gehören die Bücher?

Für die Staatsanwaltschaft sind das alles «Spekulationen ohne echten
Beweiswert», schließlich seien in der Garage auch Materialien der
eher links zu verortenden Satirepartei «Die Partei» entdeckt worden.
Das digitale Leben des Angeklagten sei zehn Jahre rückwirkend
durchleuchtet worden, ohne Kontakte zu rechten Gruppen oder Hinweise
auf eine stille Radikalisierung zu entdecken. 

Bei dem tödlichen Feuer am 25. März 2024 starb in Solingen eine
bulgarische Familie im Dachgeschoss - die 28 und 29 Jahre alten
Eltern und ihre beiden Töchter im Alter von drei Jahren sowie wenigen
Monaten. Der geständige S. wohnte selbst früher im Hinterhaus des
Brandhauses. Nach einem Streit mit seiner Vermieterin musste er
ausziehen. 

Erschütternde Szenen

Feuerwehrleute, Anwohner und Überlebende hatten erschütternde Szenen
aus der Brandnacht geschildert. Das Feuer habe sich rasant über das
hölzerne Treppenhaus durch die Etagen in die Höhe gefressen: «Mein
Fenster war genau gegenüber. Ich habe gesehen, wie die gebrannt
haben», berichtete ein Nachbar.

Eine 21-Jährige sagte, sie habe mit ansehen müssen, wie ihr Bruder
aus dem dritten Stock in die Tiefe sprang. Ihre Cousine sei auch
gesprungen und auf einem Auto aufgeprallt. 

Der Mann mit dem Rucksack

Aufnahmen aus Überwachungskameras hatten die Ermittler auf die Spur
des 40-Jährigen gebracht: Sie hatten den früheren Mieter in der
Brandnacht gleich mehrmals in der Nähe des Brandhauses mit Rucksack
aufgezeichnet - als einzigen in der fraglichen Zeit. 

Die Ermittler hatten bereits einen Durchsuchungsbeschluss für seine
Wohnung beantragt, als sich in Solingen am 8. April 2024 ein weiteres
unheimliches Verbrechen ereignete: Mit einer Machete und zwei
wuchtigen Hieben hatte der Deutsche auf den Kopf eines Freundes
eingehackt. Das Opfer überlebte lebensgefährlich verletzt.

Im Keller des Arbeitslosen fanden die Ermittler dann ein Arsenal aus
Brandbeschleunigern und Utensilien für Zünder. Die Anklage legt
Daniel S. auch noch zwei ältere Brandstiftungen zur Last - im
November 2022 und im Februar 2024. In beiden Gebäuden hielten sich
zur jeweiligen Tatzeit Menschen auf. Deswegen könnte er für
Mordversuche an insgesamt 20 Menschen verurteilt werden. 

Zwei weitere Taten?

Während des Prozesses geriet Daniel S. sogar noch für zwei weitere
Brandstiftungen in Verdacht, die nicht Teil der Anklage sind. So soll
er nach einem Streit mit einem marokkanischen Nachbarn im Wohnhaus
seiner Freundin in Wuppertal Feuer gelegt haben, kurz nachdem diese
ausgezogen war. Auch das Auto einer Ex-Freundin wurde Ziel eines
Brandanschlags.

Die Ermittlungen zum Feuer im Wuppertaler Wohnhaus waren mit der
vermeintlichen Brandursache «technischer Defekt» schnell eingestellt
worden, obwohl an zwei Stellen im Haus gleichzeitig Feuer
ausgebrochen war. 

Inzwischen geht ein Gutachter von einem Brandanschlag aus. Gegen
Daniel S. wird deswegen inzwischen gesondert ermittelt. Wäre damals
richtig ermittelt worden, hätte dies vielen Menschen viel Leid
ersparen können, sagte ein Anwalt der Nebenkläger am Montag. 

Angehörige wollen Gerechtigkeit

Der psychiatrische Gutachter hatte ein drittes Motiv ins Spiel
gebracht: Die Brandstiftungen von Daniel S. hätten weniger den
betroffenen Menschen gegolten, sondern seien sein destruktiver Umgang
mit Druck und Stress. «Es geht um ihn selbst, um seine
Selbststabilisierung», erläuterte der Psychiater vor Gericht. Er
werte andere Menschen ab, um sich aufzuwerten. Dies sei «in hohem
Maße gefährlich». 

Ein Bruch in seiner Biografie sei die Trennung seiner Eltern gewesen,
die ihn als Grundschüler aus seiner vertrauten Umgebung in Solingen
nach Mecklenburg-Vorpommern katapultiert habe, berichtete Psychiater
Pedro Faustmann. Dort sei er in die Drogenszene geraten und
inzwischen langjähriger Drogenkonsument von Amphetaminen.

Tränen im Gerichtssaal

Beim Prozessbeginn trugen die Angehörigen im Gerichtssaal schwarze
T-Shirts mit dem Foto der ermordeten Familie und dem Schriftzug
«Adalet», türkisch für «Gerechtigkeit». Es flossen immer wieder

Tränen. 

Die Nebenkläger sind in der Frage eines rassistischen Motivs
gespalten: «Es gibt eine ganze Reihe von Indizien, die für eine
rechte Gesinnung des Angeklagten sprechen», sagt einer ihrer Anwälte.
«Aber das reicht nicht aus.» Ein anderer sieht einen rassistischen
Mord naheliegend: «Er wollte die Menschen in diesem Haus töten und
das tat er auch. Sie wurden Opfer, weil sie Ausländer waren.»

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