Zu viele Urlauber? Wie die Nordseeküste die Balance sucht Von Lennart Stock, dpa
An Niedersachsens Nordseeküste stören sich manche an zu vielen
Urlaubsgästen. Touristiker nehmen die Sorgen von Einwohnern ernst.
Eine neue Studie legt dazu Daten vor - und gibt Lösungsvorschläge.
Wilhelmshaven/Greetsiel (dpa/lni) - Volle Strände, lange
Warteschlangen im Supermarkt oder ausgebuchte Restaurants - wer im
Sommer für den Urlaub an die niedersächsische Nordseeküste reist,
bekommt mitunter den Eindruck: ganz schön viel los. Auch manche
Einheimische fühlen sich angesichts vieler Urlauberinnen und Urlauber
in besonders beliebten Ferienorten überlastet oder gar gestört - ein
Phänomen, das bislang eher von Mallorca oder aus Venedig bekannt ist.
Eine neue Studie zeigt nun aber, die Tourismusakzeptanz an der
niedersächsischen Küste ist trotz hoher Gästezahlen mehr als
vorhanden.
«Die Tourismusakzeptanz ist tatsächlich nicht nur in Venedig und auf
Mallorca ein Thema, sondern überall», sagt Mario Schiefelbein,
Geschäftsführer der Tourismus-Agentur Nordsee (Tano). «Unsere Region
trifft es auch mal mehr und mal weniger.» Die Agentur vermarktet die
niedersächsische Nordseeküste von der Ems bis zur Elbe samt der
Ostfriesischen Inseln.
Was die Studie zeigt
Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Tourismusforschung an der
FH Westküste haben repräsentativ untersucht, wie es um die
Tourismusakzeptanz an den Küsten von Niedersachsen und
Schleswig-Holstein steht. Bislang gebe es für Niedersachsen keine
vergleichbare Untersuchung, sagt Schiefelbein.
Das Ergebnis: Die niedersächsische Küstenbevölkerung steht dem
Tourismus überwiegend positiv gegenüber - auch wenn an einigen Orten
Ballungen wahrgenommen werden. Wenn man auf die gesamte Region
schaue, gebe es demnach kein Akzeptanzproblem, sagt der Tano-Chef.
«Da sind wir im grünen Bereich. Es gibt natürlich vereinzelte
Hotspots und die sind auch nicht so neu.» Beliebte Urlaubsorte, wie
beispielsweise Greetsiel in Ostfriesland, seien besonders
nachgefragt. Auch die Inseln seien im Sommer stark frequentiert.
Eine Mehrheit der Einwohner erkennt der Studie zufolge an, dass der
Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Dass der Tourismus
auch zum Wohlbefinden der Einwohnerinnen und Einwohner beitrage, dem
stimmt jedoch weniger als die Hälfte zu (45 Prozent). Etwa ein
Drittel der Befragten antwortete neutral.
Unterm Strich halten etwa sechs von zehn befragte Einwohner die Zahl
der Touristen an der Küste für genau die richtige Menge (59 Prozent),
ein Viertel (25 Prozent) empfindet sie als zu gering. Weitere 10
Prozent empfinden die Zahl als zu hoch.
Wie viele Touristen aktuell kommen
Niedersachsens Nordseeküste verbuchte im vergangenen Jahr 8,2
Millionen Übernachtungen und zählte damit zu den wichtigsten
Urlaubsregionen des Landes. An die Top-Werte aus den Jahren vor der
Corona-Pandemie reichten die Zahlen noch nicht heran. Und auch bei
den Gesamtmarktanteilen lag die niedersächsische Küste gemessen an
den Übernachtungen im Vergleich zu den Küsten Mecklenburg-Vorpommerns
und Schleswig-Holsteins zuletzt zurück.
Braucht es also eher mehr Urlauberinnen und Urlauber an der
Nordseeküste? Nein, sagt Tano-Chef Schiefelbein. Lange Zeit habe im
Vordergrund gestanden, mehr Gäste an die Küste zu holen. Heute gehe
es um Qualität. «Wir als Tano möchten, dass die Wertschöpfung durch
den Tourismus größer wird - nicht, dass die Quantität des Tourismus
zunimmt.» Dafür müssten Zielgruppen und Angebote aufeinander
abgestimmt werden, sagt der Manager.
Ein Beispiel sei, sagt Schiefelbein, die Nebensaison breiter
aufzustellen. In den Sommerferien kämen vor allem Familien mit
Kindern an die Nordsee, außerhalb dieser Zeit gebe es noch andere
Zielgruppen. In der Studie seien etwa Gäste mit Hund eher als «zu
viel» eingestuft worden. «Ich denke, das wäre eine klasse Zielgruppe
gerade für die Nebensaison», sagt Schiefelbein.
Wo der Tourismusverband eine Lösung sieht
Auch der Vorsitzende des Tourismusverbandes Niedersachsen (TVN),
Holger Heymann, setzt auf mehr Wertschöpfung durch höhere Standards
statt mehr Gäste. «Es gibt sicherlich Momente, individuell, regional
unterschiedlich, da wird es mancherorts echt voll. Zum Beispiel bei
bestimmten Veranstaltungen.»
Einen Lösungsansatz sieht Heymann, der auch Landrat von Wittmund in
Ostfriesland ist, in mehr Digitalisierung zum Beispiel durch eine
digitale Gästecard, mit der Urlauber vom Strandkorb bis zum
Restaurantbesuch alles buchen können. Bei der Besucherlenkung könne
Künstlicher Intelligenz helfen. «Dabei darf es nicht darum gehen,
mehr Gäste zu bekommen, sondern darum, die Aufenthaltsqualität zu
steigern», sagt der TVN-Chef.
Und: Von touristischer Infrastruktur, einem Museum oder einem
Schwimmbad, profitierten auch Einwohnerinnen und Einwohner einer
Urlaubsregion dauerhaft, betont Heymann. Aber weder Kommunen noch
Region und Land hätten das bislang so richtig auf dem Schirm. «Wir
müssen ins Bewusstsein bekommen, dass Unternehmen, Gäste und
Einheimische gleichsam etwas vom Tourismus haben. Wenn das gelingt,
werden wir auch immer Akzeptanz bekommen.»
Was eine Gemeinde in Ostfriesland untersuchte
Die vorteilhaften Effekte von Tourismus zu sehen und zu fördern,
dafür plädieren auch Tourismusforscher. Viele dächten beim Tourismus
vor allem an Hotellerie und Gastgewerbe, sagte Enno Schmoll,
Professor für Tourismusentwicklung an der Jade Hochschule in
Wilhelmshaven im Winter bei einer Diskussionsrunde in Greetsiel. Die
Gemeinde Krummhörn, zu der der Urlaubsort gehört, hatte 2024 eine
eigene Studie zur Tourismusakzeptanz erheben lassen und die
Ergebnisse danach mit Einwohnern diskutiert.
Am Tourismus hingen weitere Branchen, machte Schmoll deutlich:
Handwerker, die die Ferienhäuser reparierten, Bäcker, die Touristen
und Einheimische mit Backwaren versorgten. «Es gibt viele Dinge, die
man sich nicht so bewusst macht, die durch den Tourismus positiv aber
trotzdem da sind.» Gerade in ländlichen Regionen hätten Touristenorte
damit auch einen Standortvorteil.
An der nicht repräsentativen Befragung nahmen in der Gemeinde
Krummhörn fast 800 Haushalte teil. Die übergroße Mehrheit der
Befragten (94,2 Prozent) erklärte, gern in ihrer Gemeinde zu leben.
Zeitgleich gaben aber auch rund 60 Prozent der Befragten an, dass die
Menge der Touristen in der Gemeinde zu hoch oder eher zu hoch sei.
Etwa ein Drittel hielt die Zahl für passend. Vor allem in den
Sommermonaten fühlten sich Einwohner durch zu viele Gäste gestört.
Welche weiteren Lösungsansätze es gibt
Touristenzahlen ließen sich nicht wie Licht dimmen, sagte Schmoll.
Greetsiel etwa sei nun mal ein malerischer Ort, den viele Urlauber
sehen wollten. Es gebe aber Steuerungsmöglichkeiten, erklärte der
Forscher und verwies etwa auf die Möglichkeit, Parkraum zu
verringern, um Tagestourismus zu steuern.
Ein Ergebnis der Akzeptanzstudien sowohl in Greetsiel als auch für
die gesamte Küste ist der Wunsch nach Kommunikation und Transparenz.
Etwa dreiviertel der Befragten in der nordseeweiten Studie wünschen
sich mehr Informationen über touristische Entwicklungspläne. Aufgabe
der Tourismusorganisationen vor Ort sei es daher, mit der Bevölkerung
zu kommunizieren, sagt Schiefelbein. «Wir müssen die Einwohner
mitnehmen. Das ist ganz, ganz wichtig.»
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