Boehringer-Deutschlandchef: Alarmglocken wurden gehört
Der Pharmastandort Deutschland bekommt Druck von mehreren Seiten,
sagt Schoenmaeckers. Auch bei Boehringer Ingelheim gebe es keine
Garantie, dass immer alle Investitionen in deutsche Standorte gehen.
Ingelheim (dpa/lrs) - Der neue Boehringer-Deutschlandchef wünscht
sich in Deutschland beschleunigte Zulassungsverfahren für
pharmazeutische Produkte ähnlich wie in den USA. «Es braucht Systeme,
die viel mehr auf Evidenz basieren und damit auch schnellere
Verfahren erlauben», sagte Médard Schoenmaeckers der Deutschen
Presse-Agentur. Der Marktzugang müsse in Deutschland agiler werden.
Auch innerhalb Europas habe Deutschland Boden verloren, etwa
gegenüber Frankreich und Spanien, wo schnellere klinische Studien und
Genehmigungen möglich seien. Sei Deutschland vor zehn Jahren bei
klinischen Studien noch die Nummer zwei der Welt hinter den USA
gewesen, sei es jetzt nur noch Siebter.
Von Aufholbedarf und Chancen
«Es gibt Aufholbedarf», betonte der Niederländer, der zum 1. April
Vorsitzender der Geschäftsführung der Boehringer Ingelheim
Deutschland GmbH und damit Nachfolger von Fridtjof Traulsen geworden
ist. Einst war Schoenmaeckers im Investmentbanking aktiv, vor seinem
Wechsel an die Spitze des Deutschlandgeschäfts leitete er bei
Boehringer die Corporate-Affairs-Division, die sich um Kommunikation,
Politik und die Unternehmensmarke kümmert.
Wünschen würde er sich europaweit einheitliche Standards. Wie groß
der Unterschied zwischen den USA und Deutschland sein könne, zeige
das Beispiel eines Boehringer-Präparats zur Behandlung von
Lungenkrebs. Dazu laufe in den Vereinigten Staaten ein
Fast-Track-Verfahren, eine beschleunigte Zulassung.
China längst nicht mehr nur Land für Nachahmerprodukte
«So einen Prozess gibt es in Deutschland nicht», sagte
Schoenmaeckers. «Wir erwarten jede Woche, dass wir eine Genehmigung
in den USA bekommen.» In Deutschland werde es noch drei Jahre dauern.
«Es ist schwierig, Patienten das zu erklären, Patienten, die diese
Zeit nicht haben.»
Druck auf Europa und Deutschland gebe es von gleich zwei Seiten - aus
den USA wegen der Zolldebatten und aus China, weil das Land längst
nicht mehr nur eines für Pharma-Nachahmerprodukte sei. «Ich denke, es
ist eine Frage der Zeit, bis China nicht mehr nur für den
chinesischen oder asiatische Märkte produziert, sondern auch darüber
hinaus verkaufen möchte.»
«Müssen wettbewerbsfähiger werden»
Eine Studie im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen hatte
kürzlich betont, dass eine Eskalation des Zollkonflikts mit den USA
deutliche negative Folgen für die deutsche Wirtschaft und bestimmte
Branchen hätte. Bei einem «Zollkrieg» würden insbesondere die
Pharma-, die Automobil- und die Maschinenbauindustrie
überdurchschnittlich stark verlieren, hieß es.
«Wir müssen wettbewerbsfähiger werden auf Deutschland- und auf
Europaebene», mahnte Schoenmaeckers. Er habe den Eindruck, dass in
Europa und von der Bundesregierung die Alarmglocken gehört wurden.
«Jetzt müssen wir noch verstehen, wie wir aus dem Bett kommen.»
Schoenmaeckers: Arzneimittel nicht nur als Kostenstelle sehen
Kritisch sieht Schoenmaeckers in Deutschland auch diverse Rabatte
oder Abschläge, die Pharmaunternehmen in Deutschland gewähren müssen.
Als Beispiel nannte er den Herstellerabschlag für erstattungsfähige
Arzneimittel. «Es hat verschiedene Maßnahmen gegeben, womit man die
Preise der Pharmaindustrie immer weiter gesenkt hat, auch um das
gesamte Gesundheitssystem finanzieren zu können.» Das passe aber
nicht dazu, dass Deutschland und Europa zum innovativsten Pharmamarkt
werden wollten.
«Pharma und Arzneimittel dürfen nicht nur als Kostenstellen gesehen
werden, man muss den Wert von Arzneimitteln sehen», sagte
Schoenmaeckers. Viele Medikamente hätten eine präventive Wirkung,
könnten Kosten für spätere Behandlungen senken oder dazu beitragen,
dass Menschen gar nicht erst krank werden. «Das bringt die
Krankenhaustage runter, da geht es um die wirklich hohen Kosten.»
Menschen könnten länger im Arbeitsprozess bleiben oder schneller
zurückkehren. «Es hat also auch einen wirtschaftlichen Wert.»
Deutsche Standorte in hartem Wettbewerb
Er sage das als Deutschlandchef auch mit Blick darauf, dass sich die
deutschen Boehringer-Standorte Ingelheim und Biberach
unternehmensintern im Wettbewerb mit anderen Standorten in anderen
Ländern befinden. Sicher ließen sich solch große Standorte nicht
einfach verlagern und Boehringer habe in beide bewusst in den
vergangenen Jahren viel Geld investiert.
«Das heißt aber nicht, dass das in den nächsten Jahren so weitergeht,
dass es eine Selbstverständlichkeit ist, dass jede Investition von
Boehringer nach Deutschland fließt.» Boehringer Ingelheim sei ein
global aufgestelltes Unternehmen und müsse sich immer fragen, ob
nicht auch vor Ort in anderen Märkten investiert werden müsse, zum
Beispiel in den USA.
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