Koalitionsstreit um Richterwahl - direktes Treffen? Von Basil Wegener, Stefan Heinemeyer und Michael Fischer, dpa

Wird die parlamentarische Sommerpause für CDU/CSU und SPD zur
Hängepartie? Die geplante Wahl neuer Verfassungsrichter ist
danebengegangen. Jetzt suchen die Spitzen eine Lösung.

Berlin (dpa) - Im Koalitionsstreit um die Neubesetzung am
Bundesverfassungsgericht ist eine schnelle Lösung nicht in Sicht.
Allerdings wollen die Spitzen von CSU/CDU und SPD den Schaden
begrenzen. Bei internen Beratungen sprachen SPD-Vorstand und
-Fraktion über die Möglichkeit eines direkten Gesprächs zwischen der

SPD nominierten Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf und der
Unionsfraktion. 

Zuvor war die Wahl von Brosius-Gersdorf und zwei weiteren neuen
Richtern für Karlsruhe kurzfristig von der Tagesordnung des
Bundestags abgesetzt worden. Seit Tagen hatten sich die schwarz-roten
Turbulenzen zum Start der Sommerpause wegen Widerstands in der
Unionsfraktion gegen Brosius-Gersdorf abgezeichnet.

SPD-Fraktionsvize Sonja Eichwede begrüßte im Fernsehsender Welt,
«dass Frau Professorin Frauke Brosius-Gersdorf auch bereit wäre, sich
bei der Unionsfraktion persönlich vorzustellen, um eben Zweifel
auszuräumen». SPD-Fraktionschef Matthias Miersch machte bei der
digitalen SPD-Sitzung am Freitagabend deutlich, dass man rasch von
Angesicht zu Angesicht sprechen müsse, wie die Deutsche
Presse-Agentur aus Fraktionskreisen erfuhr. «Bild» und «Tagesspiegel
»
hatten zuerst über die Videokonferenz berichtet.

CSU-Landesgruppenchef will sich Zeit nehmen 

CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann plädierte dafür, nichts zu
überstürzen. «Wir stehen als Koalition in der Verantwortung, uns auf

ein gemeinsames Kandidaten-Paket für das Bundesverfassungsgericht zu
verständigen. Dazu gehört, dass wir uns jetzt Zeit nehmen und uns
nicht verrennen», sagte Hoffmann der dpa. 

Zum Vorschlag der SPD, dass Brosius-Gersdorf sich persönlich den
Unionsfragen stellt, gab es in der Unionsfraktionsführung zunächst
keine direkte Zustimmung. Der Parlamentarische Geschäftsführer
Steffen Bilger sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Jetzt sollten
erst mal alle etwas runterkommen und dann besprechen wir in Ruhe mit
der SPD das weitere Verfahren.» Auch Eichwede sagte, dass es noch
keinen Termin für so ein mögliches Treffen gibt.

Nach einer von gegenseitigen Vorwürfen geprägten Debatte hatte der
Bundestag am Freitag die bereits angesetzten Wahlen der zwei
Richterinnen und des Richters mit den Stimmen von Linken, Grünen, SPD
und Union abgesetzt. Nominiert gewesen waren von der Union Günter
Spinner vom Bundesarbeitsgericht und von der SPD auch die Professorin
Ann-Katrin Kaufhold. 

Bereits dem Vorschlag für Spinner ging längeres Hin und Her voraus;
für einen anderen Kandidaten hatte die Union keine Mehrheit sicher.
Nun fehlte die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für
Brosius-Gersdorf.

Kanzleramtschef: «Tragfähige Lösung»

Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) sagte der «Neuen Osnabrücker
Zeitung»: «Ich bin sicher, dass die Koalitionsfraktionen über den
Sommer eine tragfähige Lösung finden werden.» Die SPD will an
Brosius-Gersdorf festhalten, wie Eichwede, selbst Richterin,
bekräftigte. «Wir haben einen guten Vorschlag, eine herausragende
Wissenschaftlerin, die in Karlsruhe sehr gut arbeiten kann.»
Kritikerinnen und Kritikern warf Eichwede vor, Brosius-Gersdorf teils
falsch darzustellen. «So kann man in einer Demokratie nicht
miteinander umgehen.»

Vorbehalte gegen die 54-Jährige von konservativer Seite werden unter
anderem damit begründet, dass sie in einem Bericht einer
Expertenkommission zum Thema ungeborenes Leben und Abreibung
geschrieben haben soll: «Es gibt gute Gründe dafür, dass die
Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.» Auch ein Punkt ist
demnach, dass sie bei Corona für eine Impfpflicht gewesen sei. Dabei
hatte die Union sie im Richterwahlausschuss mit nominiert und die
Unionsfraktionsführung sich für ihre Wahl ausgesprochen. 

SPD: «Bewusste Demontage unseres höchsten deutschen Gerichts»

In der Koalition prallen die Sichtweisen nach dem vorläufigen
Scheitern der Neubesetzung in Karlsruhe aufeinander. «Was wir heute
aber auch erleben mussten, ist die bewusste Demontage unseres
höchsten deutschen Gerichts und unserer demokratischen
Institutionen», schrieb SPD-Fraktionschef Miersch in einer
persönlichen Erklärung. «Das ist brandgefährlich.» Er erwarte,
dass
die Mehrheit steht.» 

Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) räumte ein, «dass man sich
einen anderen Prozess oder ein anderes Ergebnis im Prozess gewünscht
hätte». Gerichtskandidaten würden allerdings öffentlich betrachtet.

«Dann gibt es auch Diskussionen und Debatten dazu. (...) Und dann
läuft es eben nicht wie vorhergesehen», sagte er im
Deutschlandfunk-«Interview der Woche». 

Krisenstimmung zum Start in die Sommerpause

«Alles, was nicht zu einem ganz bestimmten Ergebnis führt, ist
automatisch eine Beschädigung des Bundesverfassungsgerichts: Dieser
Sichtweise kann ich mich nicht anschließen», sagte Dobrindt. Die
Grünen-Vorsitzende Franziska Brantner sprach in den Zeitungen der
Mediengruppe Bayern davon, dass das Vertrauen in das höchste Gericht
«fahrlässig beschädigt» worden sei.

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk
Wiese, zeigte sich verwundert, dass die Unionsfraktion weder der
ursprünglichen Empfehlung ihres Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn
gefolgt sei noch der von Kanzler Friedrich Merz. «Da gibt es ein
Autoritätsproblem.»

Merz-Stellungnahme am Sonntag erwartet

Spahn und Merz (beide CDU) äußerten sich zunächst nicht. Spahn ist
erneut Zielscheibe teils heftiger Kritik vor allem der Opposition,
nachdem er bereits wegen massenhaft zu viel bestellter
Corona-Schutzmasken in seiner Zeit als Gesundheitsminister unter
Druck geraten ist. Am Sonntag wird Merz im ARD-Sommerinterview zu
aktuellen Vorgängen Stellung beziehen. 

Bereits jetzt kommt Kritik an der verpatzten Wahl auch aus den
eigenen Reihen. Der frühere CDU-Ministerpräsident des Saarlands und
Verfassungsrichter Peter Müller sagte der «Süddeutschen Zeitung»,
Vorbehalte gegen Personalvorschläge seien nichts Neues. «Dass eine
Richterwahl jedoch nicht zustande kommt, nachdem bereits der
Wahlausschuss des Bundestags dem Plenum einen Vorschlag gemacht hat -
das gab es noch nie. Dies ist ein eklatantes Führungsversagen der
Union.» Dies dürfe nicht passieren. «Das geht in erster Linie mit dem

Fraktionsvorsitzenden nach Hause.»

Zuvor hatte schon die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann im ZDF
gesagt: «Dafür trägt Jens Spahn die Verantwortung.» Haßelmann
bekräftigte die Forderung einer Sondersitzung des Bundestags für
einen Neuanlauf kommende Woche. «Wir wollen doch keine Hängepartie
über den ganzen Sommer.»

Werden lange Verfahren in Karlsruhe aufgeschoben?

Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand
Kirchhof, sieht durch die geplatzte Wahl Folgen für die Arbeit des
Gerichts. Zwar seien dessen Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit
nicht gefährdet, weil ausscheidende Richter ihr Amt fortführen
müssen, bis ein Nachfolger gewählt ist, wie er bei «ZDFheute live»

sagte. Jedoch werde das Gericht voraussichtlich nur noch kurze
Verfahren durchführen können.

Brosius-Gersdorf hat sich bisher nicht geäußert. Aus
Teilnehmerkreisen der SPD-Schalte hieß es laut «Tagesspiegel» aber,
die gebürtige Hamburgerin stehe für ein offenes und klares Gespräch
mit der Spitze der Union bereit. 

Die 16 Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts werden
jeweils zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat mit jeweils
mindestens zwei Dritteln gewählt. Brosius-Gersdorf leitet an der
Universität Potsdam den Lehrstuhl für Öffentliches Recht,
insbesondere Verfassungsrecht und Sozialrecht.

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