Noch viele Hindernisse für eine naturnahe Lahn

Malerische Landschaften, romantische Städtchen - die Lahn ist bei
Wassersportlern, Wanderern und Radfahrern beliebt. Ein EU-Projekt
soll den Fluss naturnäher machen - seine Umsetzung ist mühsam.

Gießen/Lahnstein (dpa) - Ein Fluss - viele Begehrlichkeiten: Die Lahn
ist Lebensraum für Wassertiere und Pflanzen, zieht Freizeitsportler
und Touristen an und soll als Bundeswasserstraße auch der Schifffahrt
dienen. Doch nach wie vor geht es dem Fluss nicht besonders gut. Vor
zehn Jahren startete das EU-Projekt «Living Lahn», zu Deutsch
«Lebendige Lahn», mit dem das Gewässer ökologisch aufgewertet und d
ie
Lebensqualität der Menschen in seinem Umfeld verbessert werden
sollte. Seither wurden zahlreiche Maßnahmen diskutiert und teils auch
angestoßen - und trotzdem bleibt noch ein weiter Weg, wie
Projektleiter Stephan von Keitz vom hessischen
Landwirtschaftsministerium sagt. Das hat auch mit der Vielzahl der
Akteure und widerstreitenden Interessen zu tun. 

Welche Ziele verfolgt «Living Lahn»?

Die Ökologie und auch die Nutzung des Flusses für Lahn-Anrainer,
Wassersportler, Ausflügler und Schifffahrt unter einen Hut bringen -
das steht im Fokus des Projektes mit einem Gesamtvolumen von 15,7
Millionen Euro. Die EU fördert «Living Lahn» mit 8,7 Millionen Euro.

Zu den konkreten Maßnahmen gehört, wieder naturnahe Ufer und
Auenbereiche zu schaffen und Fischen und anderen Wasserlebewesen
Wanderungen zu ermöglichen. Die Gewässergüte der Lahn soll sich
verbessern, etwa durch modernere Kläranlagen, Feuchtgebiete sollen
reaktiviert werden. Parallel wird ein Lahnkonzept erstellt, das neben
zahlreichen Nutzungsinteressen die ökologische Aufwertung des Flusses
und den Hochwasserschutz berücksichtigt. 

Das am 1. Dezember 2015 gestartete Projekt hat Pilotcharakter und
sollte ursprünglich bis 30. November dieses Jahres laufen. Nun ist
eine Verlängerung um ein Jahr vorgesehen, wie von Keitz sagt.

Wie ist der aktuelle Zustand der Lahn?

Gemessen an den umfassenden Zielen klingt die Bilanz, die von Keitz
zieht, eher bescheiden: Schon vor zehn Jahren, als das Projekt
startete, sei der Zustand der Lahn schlecht gewesen, «und er ist nach
wie vor nicht gut», sagt er. Wandernde Fischarten wie der Lachs oder
Aal könnten viele der Staustufen nicht überwinden. Die Wehre hemmten
zudem weiterhin die Fließgeschwindigkeit, so dass sich vor allem im
Sommer Algen in dem Gewässer bilden. Hinzu kämen eine Überdüngung
durch Phosphat und Probleme mit Medikamentenrückständen im Abwasser.
Hier soll die Einführung einer weiter verbesserten Reinigungsleistung
bei Kläranlagen Entlastung bringen.

Welche konkreten Maßnahmen wurden bisher umgesetzt?

Von Keitz verweist auf die erfolgreiche Wiederansiedlung der beiden
Fischarten Äsche und Nase. Dazu hat auch die Renaturierung der
sogenannten Gisselberger Spannweite südlich von Marburg beigetragen.
Auf einer Länge von 1,5 Kilometern wurden rund 100.000 Kubikmeter
Boden bewegt, Kiesdepots angelegt und Totholz eingebaut, damit sich
neue Strömungsverhältnisse und Verzweigungen an dem Fluss bilden und
so neue Lebensräume entstehen. Dort brütet jetzt etwa der Eisvogel
wieder, der mit seinem leuchtend blau-orangen Gefieder ein echter
Hingucker ist. Im Gießener Lahnfenster, einem vom Regierungspräsidium
Gießen betriebenen Gewässer-Informationszentrum, wurde der sogenannte
«Vaki-Counter» eingerichtet, der Fische registriert, die über die
dortigen Fischtreppen wandern. 

Einige Vorhaben jedoch konnten bisher nicht angepackt werden, räumt
von Keitz ein. Dass mit Hessen und Rheinland-Pfalz zwei Bundesländer
sowie die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung mit jeweils
unterschiedlichen Interessen und Denkweisen betroffen sind,
verkompliziere das Projekt. Man sitze im selben Boot, rudere aber
nicht immer in dieselbe Richtung, beschreibt er die Konflikte.

Was bedeutet Living Lahn für den Tourismus?

Der Fluss ist ein beliebtes Ziel für Kanu- und andere Wassersportler.
Vor allem an Sommer-Wochenenden tummeln sich Viele um und auf dem
Fluss, was auch zu Problemen mit Müll und Lärm sowie Störungen in
sensiblen Uferbereichen führen kann. Um diesen «Overtourism» zu
entschärfen, wurde die Zahl der Wasserwanderer erfasst und ein
Besucherlenkungskonzept entwickelt, das vor allem in der Hochsaison
bei der Stau-Vermeidung und Tour-Planung helfen soll und in Apps,
etwa für Kanufahrer, eingebunden wurde.

Welche Hindernisse gibt es?

Vom Badenburger Wehr bei Gießen bis zur Mündung ist die Lahn eine
Bundeswasserstraße und durchfließt eine Vielzahl von Wehranlagen,
Schleusen und Wasserkraftwerke. Umweltschützer sehen genau darin ein
Kernproblem der Lahn: Im Prinzip sei der Fluss eine Kette von
Staustufen, frei fließende Bereiche gebe es fast nicht, sagt Mark
Harthun, Geschäftsführer Naturschutz des Umweltverbandes Nabu Hessen.
Er ist überzeugt: Nur über höhere Fließgeschwindigkeiten könnte m
ehr
Sauerstoff in das Wasser gelangen und der Artenreichtum gefördert
werden. Ein Öffnen oder «Schleifen» von Wehren wäre deshalb das A u
nd
O, um den Gewässerzustand zu verbessern. 

Dem stehen jedoch nicht nur Rechte für die Wasserkraftnutzung
entgegen. Auch der Arbeitskreis Pro Lahn, der sich aus
Wassersportvereinen, Vertretern der Personenschifffahrt, Städten und
Gemeinden sowie aus Unternehmen und Privatpersonen zusammensetzt,
macht sich für den Erhalt der Wehre stark. Die seien für den
Hochwasserschutz wichtig, und nur mit ihnen bleibe die Schiffbarkeit
des Flusses erhalten, argumentiert der Verein. Frachtschiffe sind auf
der Lahn allerdings seit über 40 Jahren nicht mehr unterwegs, wie von
Keitz sagt. Und Hochwasserschutz lasse sich auch mit der
Renaturierung von Flussauen und der Schaffung von Rückhalteflächen
betreiben.

Wie argumentiert das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt?

Die Behörde steht zum Status der Lahn als Bundeswasserstraße - er
gewähre den Infrastruktur-Erhalt für die Freizeitschifffahrt, und
auch die ökologische Durchgängigkeit werde berücksichtigt - etwa beim

Ersatz von sechs Wehren am Unterlauf des Flusses zwischen Lahnstein
und Runkel in Mittelhessen, wie Michaela Teusch vom Wasserstraßen-
und Schifffahrtsamtes Mosel-Saar-Lahn erklärt. Vorgesehen sei, dass
die Staustufen am Unterlauf des Flusses erhalten werden. Zwischen
Runkel und dem Badenburger Wehr bei Gießen bestehe dagegen nach
derzeitigem Stand «durchaus mehr Spielraum für die ökologische
Aufwertung der Lahn und ihrer Aue, inklusive des Rückbaus von
Staustufen».

Wie geht es jetzt weiter?

Ein Entwurf des Lahnkonzepts soll voraussichtlich am 7. August
vorgestellt werden. Die Ergebnisse des Projekts sollen zudem in eine
Lahn-Deklaration einfließen, die dann von Hessen, Rheinland-Pfalz und
vom Bund unterzeichnet und als politische Willenserklärung der EU
vorgelegt werden soll. Fest stehe: Mit der Erstellung des
Lahnkonzepts seien dessen Ziele noch nicht erreicht, so Teusch. «Die
Umsetzung der Maßnahmen zur Erreichung der Ziele ist eine
Generationenaufgabe.»

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