Die Schocktherapie: Als die D-Mark in die DDR kam Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

Drei Monate vor der Deutschen Einheit begann am 1. Juli 1990 die
Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion von Bundesrepublik und DDR.
Erst herrschte Partystimmung. Doch die Sache lief nicht rund.

Berlin (dpa) - Auf dem Ostberliner Alexanderplatz sangen sie
«Halleluja D-Mark», Raketen und Sektkorken flogen in die Nacht.
Einige waren entsetzt über das Gedränge Tausender Menschen vor den
Schaltern der Deutschen Bank, die ab Mitternacht als erste die neue
Währung ausgab. 13 Leute erlitten vor lauter Schieben und Drücken und
Aufregung einen Kreislaufkollaps. Aber da war diese unglaubliche
Euphorie. «Die D-Mark ist gekommen», rief eine Passantin in ein
Radiomikrofon. Und eine andere: «Die Stunde Null für uns. Es beginnt
ein neues Leben, und das ist schön.»

Tatsächlich begann an diesem 1. Juli 1990 das beispiellose
volkswirtschaftliche Experiment der Währungs-, Wirtschafts- und
Sozialunion von DDR und Bundesrepublik. DDR-Bürger tauschten ihr
Erspartes teils eins zu eins, teils zwei zu eins in D-Mark. Alle
Löhne, Renten und Mieten wurden eins zu eins umgestellt. Drei Monate
vor der Deutschen Einheit galten plötzlich die westdeutschen Regeln
der sozialen Marktwirtschaft in der DDR, und das nach vier
Jahrzehnten Planwirtschaft. 35 Jahre später ist klar: Die Sache lief
nicht rund. Die Folgen dieses dramatischen Umbruchs sind bis heute
spürbar, politisch und ökonomisch. Aber gab es eine Alternative?

Die Bundesbank warnte

Joachim Ragnitz vom Ifo Institut in Dresden erinnert daran, dass es
durchaus Warner und Mahner gab und andere Ideen. Die Bundesbank etwa
habe nach der friedlichen Revolution in der DDR vom Herbst 1989 einen
Stufenplan zur wirtschaftlichen Annäherung gewollt. Davon sprach
anfangs auch Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). Aber schon im Februar
1990 gab Kohl das Ziel einer Währungsunion aus. Am 18. Mai
unterzeichneten beide Regierungen einen Vertrag. Sechs Wochen später
galt er. Eine «Schocktherapie», sagt Ragnitz.

Kohl stimmte zwar in seiner Fernsehansprache zum 1. Juli 1990 auf
eine «gewiss nicht einfache Zeit des Übergangs» ein. Aber letztlich
verbreitete der Kanzler fast so viel Euphorie wie die DDR-Bürger auf
dem Alexanderplatz. «Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns
gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg,
Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu
verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt.»
Blühende Landschaften, Kohls bekanntestes Schlagwort auf dem Weg zur
deutschen Vereinigung am 3. Oktober 1990.

Produktion weg, Jobs weg

Sehr schnell aber sahen viele eher eine wirtschaftliche
Trümmerlandschaft. «Schon in den wenigen Monaten seit Einführung der

D-Mark haben die Betriebe der ehemaligen DDR ihre Produktion
drastisch einschränken müssen», hielten die Wirtschaftsweisen im
Jahresgutachten 1990/91 fest. «Allein seit Juni hat
sich die Industrieproduktion um rund ein Drittel vermindert. Viele
Betriebe werden ganz aus dem Markt scheiden, weil ihre Produkte im
Wettbewerb mit den besseren und preiswerteren westlicher Anbieter
nicht bestehen können.» Auch in der DDR wollte vorerst niemand mehr
Trabbis, Spee oder Spreewaldgurken. Es lockte eine neue Glitzerwelt
im Supermarktregal. 

Aufwertung hätte auch Westbetriebe kaputt gemacht

In der DDR brach die Zahl der Beschäftigten in Industrie und
Bauwirtschaft im dritten Quartal 1990 - also direkt nach der
Währungsunion - um 17 Prozent ein. Und das war erst der Anfang. Es
begannen die für viele so traumatischen Jahre der Entlassungen,
Umschulungen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Zeitweise erreichten
die Arbeitslosenquoten 20 bis 25 Prozent.

Ifo-Experte Ragnitz nennt eine Reihe von Gründen für diesen Kollaps.
Der «produktive Kapitalstock» sei veraltet gewesen, also die
Maschinen und Anlagen, die Produktivität viel geringer als im Westen.
Und die Einführung der D-Mark großteils im Verhältnis eins zu eins
machte alles schlagartig teurer. «Der wahre Wert der DDR-Mark wäre
vier zu eins gewesen», sagt Ragnitz. Die DDR habe Waren im Wert von
einer Mark exportiert und damit 25 Pfennige erlöst. Nach der
Währungsunion sollten diese Produkte dann eine D-Mark kosten. Eine so
große Aufwertung hätte auch jedes Unternehmen im Westen kaputt
gemacht, sagt der Experte.

«Keine ökonomische Entscheidung»

Aber warum hat man es dann nicht anders gelöst - in kleineren
Schritten, mit einem sanfteren Übergang? «Es bestand die Gefahr, dass
die DDR ausblutet», sagt der Historiker Robert Grünbaum von der
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Der damals oft
zitierte Spruch «Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht,
gehen wir zu ihr» zeigte sich schwarz auf weiß in der Statistik: Im
Januar 1990 seien 200.000 Menschen von der DDR in die Bundesrepublik
gezogen, sagt Grünbaum, auch danach immer noch Tausende pro Woche. 

«Es ging darum, den DDR-Bürgern ein glaubhaftes Zeichen zu geben, das
sie zum Bleiben bewegt», sagt Grünbaum. «Das war keine ökonomische,

sondern letztlich eine politische Entscheidung, ein Signal zur
Beruhigung.» Das hätte man bei offenen Grenzen weder verschieben
können, noch wäre politisch ein schlechterer Wechselkurs möglich
gewesen. Auf Demos wurde Augenhöhe eingefordert: «Eins zu eins, oder
wir werden niemals Eins.» Grünbaum ist sicher, der wirtschaftliche
Kollaps wäre so oder so gekommen, wenn auch vielleicht etwas
langsamer: «Die DDR war schlicht und einfach bankrott.» 

Im Westen ein Boom

Die Westdeutschen erlebten das alles sehr anders. Die Sehnsucht der
DDR-Bürger nach Westprodukten, die nahezu unbegrenzte Zahl neuer
Arbeitskräfte aus dem Osten, all das beflügelte in der Bundesrepublik
einen Boom. Die Wirtschaftsweisen vermerkten für 1990 ein Wachstum im
Westen von 4 Prozent - im Vergleich zu 2,8 Prozent im Durchschnitt
der Jahre davor. Die Sonderkonjunktur hielt nicht sehr lange. Aber
die wirtschaftliche Kluft blieb jahrzehntelang. Lücken gibt es bis
heute etwa bei Produktivität, Löhnen, Renten und Vermögen.

Liegt hier der Keim für Bitterkeit und Zweifel, für das Gefühl vieler

Ostdeutscher, über den Tisch gezogen worden zu sein? Grünbaum
widerspricht. «Das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, das ist
etwas, was die DDR-Bürger aus der DDR mitgenommen haben», meint der
Historiker. Man habe schon vor der Wende den Wohlstand im
Westfernsehen gesehen, habe im Urlaub in Ungarn gespürt, dass
Westdeutsche mit ihrer harten D-Mark anders behandelt worden seien. 

«Das hat man richtig genossen»

Das zumindest schien nach dem 1. Juli 1990 vorbei. «Die Westmark, das
war irgendwie ein euphorisches Gefühl», erinnert sich der Magdeburger
Wolfgang Tonn auf der Plattform Zeitzeugen.de. «Jetzt sind wir wer,
jetzt haben wir dasselbe Geld, was praktisch in der Bundesrepublik
zum Wirtschaftswunder geführt hat. Und das hat man richtig genossen.»

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