Psychiater: Zwangseinweisungen sollten öfter genutzt werden Mia Bucher, dpa

Schwer psychisch kranke Menschen haben ein statistisch erhöhtes
Risiko, eine Gewalttat zu begehen. Fachleute schlagen nun konkrete
Präventionsmaßnahmen vor - und sagen, was nicht hilft.

Berlin (dpa) - In Aschaffenburg tötet ein Mann zwei Menschen mit
einem Messer. Am Hamburger Hauptbahnhof sticht eine Frau auf
zahlreiche Menschen ein. In München verletzt ein Mann mit einem
Messer zwei Männer am Oberkörper. Immer wieder kommt es in
Deutschland zu schweren Gewalttaten durch psychisch kranke Menschen.
Und immer wieder stellt sich die Frage: Hätten die Taten verhindert
werden können?

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,
Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hat nun ein ausführliches
Positionspapier mit Empfehlungen zur Gewaltprävention bei psychisch
kranken Menschen veröffentlicht. Eine der Kernforderungen der
Expertinnen und Experten: Die rechtliche Möglichkeit, Betroffene mit
erkennbarem Gewaltpotenzial auch gegen ihren Willen in einer
Psychiatrie zu behalten oder neu einzuweisen, müsse häufiger genutzt
werden. 

Psychiaterin: Autonomie der Patienten hat hohen Stellenwert

«Die Autonomie der Menschen ist ein hohes und schützenswertes Gut»,
sagt Psychiaterin und DGPPN-Präsidentin Euphrosyne
Gouzoulis-Mayfrank. Es müsse aber immer wieder zwischen der
individuellen Autonomie und der Sicherheit der Gemeinschaft abgewogen
werden. «Ich habe den Eindruck, dass wir uns in den letzten Jahren
sehr weit auf die Seite der Autonomie gestellt haben, und damit
vermutlich höhere Risiken in Kauf genommen haben.»

Wenn ein akutes Gefährdungspotenzial nach einer Behandlung nicht mehr
eindeutig nachgewiesen werden könne, würden potenzielle Gefährder zum

Teil relativ schnell wieder aus der Psychiatrie entlassen, erklärte
Gouzoulis-Mayfrank. Das passiere zum Teil auch, wenn sich der Zustand
noch nicht ausreichend stabilisiert habe. «Wenn eine Person rasch
entlassen und die Behandlung nicht weitergeführt wird, ist die
Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Person bald wieder in einen
akuten Krankheitszustand gerät.»

Die 39-jährige Frau, die Ende Mai auf dem Hamburger Hauptbahnhof 18
Menschen mit einem Messer verletzte, war erst tags zuvor aus einer
psychiatrischen Klinik in Niedersachsen entlassen worden und bereits
zuvor durch Gewalttaten aufgefallen.

Entlassung gegen Auflagen sollte häufiger genutzt werden

Die DGPPN fordert zudem, Patientinnen und Patienten häufiger gegen
Auflagen zu entlassen. Das können zum Beispiel eine regelmäßige
medizinische Behandlung oder Drogenabstinenz sein. Wenn ein Patient
dagegen verstößt, wird geprüft, ob er wieder eingewiesen wird. Diese

Möglichkeit sollte zumindest bei Fällen mit wiederholten aggressiven
Vorfällen genutzt werden, heißt es in dem DGPPN-Positionspapier.
Aber: «Das gehört zu den Möglichkeiten, die derzeit kaum genutzt
werden», sagt Gouzoulis-Mayfrank. 

Risiko bei bestimmten Erkrankungen erhöht

Die überwiegende Mehrheit der Menschen mit psychischen Erkrankungen
ist laut DGPPN nicht gewalttätig. Für bestimmte Erkrankungen gibt es
den Expertinnen und Experten zufolge aber ein statistisch erhöhtes
Risiko, Gewalttaten zu begehen. Eindeutig gesichert sei dies für
Schizophrenien und andere Psychosen, Drogenabhängigkeit und schweren
Persönlichkeitsstörungen. «Aber wir können nicht mit Sicherheit
vorhersagen, wer von diesen Menschen tatsächlich eine Straftat
begeht», erklärt Gouzoulis-Mayfrank.

Zuletzt wurde deshalb auf politischer Ebene darüber diskutiert,
Sicherheitsbehörden stärker einzubringen und beispielsweise ein
Register für Gefährder und Straftäter mit psychischen Erkrankungen zu

erstellen. 

«Das beste Mittel der Gewaltprävention ist Therapie.»

Die DGPPN lehnt das in ihrem Positionspapier entschieden ab.
Gewalttätiges Verhalten im Zusammenhang mit einer psychischen
Erkrankung ließe sich durch eine polizeiliche Ansprache oder
Überwachung nicht beeinflussen. Außerdem würde eine Lockerung der
ärztlichen Schweigepflicht zur Erfassung von potenziell gefährlichen
Personen das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient massiv
beeinträchtigen. Sie könnte dazu führen, dass Betroffene aus Angst
vor einer Meldung an die Behörden mit den Behandelnden nicht offen
über ihre Gedanken und ihr Erleben sprächen. Im schlimmsten Fall
nähmen sie gar keine psychiatrische Behandlung mehr in Anspruch. Die
DGPPN schreibt: «Das beste Mittel der Gewaltprävention ist Therapie.»


Die Versorgung sei allerdings nicht ausreichend und müsse
insbesondere im ambulanten Bereich ausgebaut werden, sagt
Gouzoulis-Mayfrank. «Die Behandlung, die in der Regelversorgung
angeboten wird, ist für schwer erkrankte Menschen nicht intensiv
genug und dadurch verliert man die Menschen.» 

Patienten brauchen komplexe Behandlung

Eine Psychotherapie mit wöchentlichen Sitzungen sei für diese
Patienten nicht angemessen. «Sie brauchen eine umfassendere, viel
komplexere Behandlung.» Dazu gehörten neben psychotherapeutischen
Elementen etwa auch eine Behandlung mit Medikamenten und die
Unterstützung durch Sozialdienste oder Pflegekräfte.

Um das konsequenter umzusetzen, braucht es der Psychiaterin zufolge
neue Finanzierungsmodelle, die es zum Beispiel Kliniken ermöglichen,
die Behandlung flexibler zu gestalten - vor allem auch außerhalb der
Einrichtungen. «Es kann und darf keine Lösung sein, die Menschen ewig
in der Klinik zu behalten - oder sie als sogenannte Drehtürpatienten
immer wieder zu sehen.» 

Auch sogenannte Präventionsambulanzen, wie es sie in Bayern gibt,
sollte es flächendeckend geben. Die Präventionsambulanzen richten
sich an psychisch kranke Menschen mit erhöhtem Aggressions- und
Gewaltpotenzial, die ein Rückfallrisiko haben. Neben der regulären
ambulanten Behandlung bekommen Patienten dort eine intensive
Betreuung nach sozialpsychiatrischen Ansätzen wie etwa Hilfe bei der
Wohnungssuche, bei Verschuldung oder insgesamt im Lebensumfeld.

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