Traumatherapeut: Aufarbeitung des Erlebten ist wichtig
Die Zeit heilt alle Wunden. Gilt das auch für furchtbare Ereignisse
wie den Amoklauf in Graz? Bei den meisten Menschen nicht ohne Hilfe,
meint ein erfahrener Trauma-Spezialist.
Berlin (dpa) - Nach dem Amoklauf in Graz ist es dem Traumatherapeuten
Georg Pieper zufolge für Betroffene sehr wichtig, über das Erlebte zu
reden. «Die Schule ist ein sicherer Ort für die meisten Menschen»,
sagte Pieper der Deutschen Presse-Agentur (dpa). «Es ist ein Ort, an
dem man lernen will, an dem man Freunde treffen will, an dem man sich
geborgen fühlt.» Wenn dort so etwas Schlimmes passiere, sei das für
viele schwer zu fassen. Aufgabe der psychosozialen Teams vor Ort sei
es darum zunächst, darüber zu reden, was eigentlich passiert ist.
Dabei gelte es, auch die eigenen Emotionen, die Todesangst, die
körperlichen Reaktionen zu benennen.
Oft sei mittel- und langfristige psychologische Betreuung nötig. «Wir
wissen aus Erfurt, dass dort circa 42 Prozent der Schülerinnen und
Schüler traumatisiert waren und etwa die Hälfte der Lehrerinnen und
Lehrer», erklärte Pieper. Menschen könnten in solchen Situationen
nicht einfach da weitermachen, wo sie am Tag vor dem Amoklauf waren.
«Das Ereignis, das hat sie so geprägt und so erschüttert, dass sie
lernen müssen, damit umzugehen.»
Schulbegleitende Traumaverarbeitung
In der betroffenen Schule sei Traumaverarbeitung als quasi neues
Schulfach nötig - wobei mit Widerstand zu rechnen sei, sagte der
Therapeut. Es gebe nach solchen Ereignissen stets zwei Meinungen:
Manche Lehrerinnen und Lehrer meinten, man müsse so schnell wie
möglich wieder zum Alltag zurück und wieder ganz normale Schule sein.
Andere seien der Ansicht, dass das gar nicht möglich sei und es erst
einmal Aufarbeitung geben müsse. «Und das wird sicherlich auch ein
Kampf sein.» So zumindest sei es bei anderen Schulmassakern in Europa
gewesen.
Die Erfahrung lehre bei diesem Konflikt eindeutig: «Man muss sich
Zeit nehmen für diese Aufarbeitung, sonst gibt es langfristige,
schlimme psychische Folgewirkungen.» Zwar sei etwas daran, dass Zeit
Wunden heile - «aber von alleine passiert das nicht bei solchen
schlimmen Ereignissen». So schreckliche Szenen wie in Graz gingen
nicht aus dem Kopf, indem man nur auf Zeit setze.
Folgestörungen können auch nach Jahrzehnten noch auftauchen
«Wir wissen aus der Forschung sehr genau, dass Menschen, die sich
eben keine Zeit gönnen, das Ereignis psychologisch,
psychotherapeutisch aufzuarbeiten, dass sie häufig auch viele Jahre
nach dem Ereignis noch schwere psychische Folgestörungen entwickeln
können.» In seiner Praxis habe er es häufig mit Menschen zu tun, die
versucht hätten zu vermeiden, über ein schlimmes Ereignis
nachzudenken oder darüber zu sprechen. Ausgelöst zum Beispiel durch
ein Ereignis wie den aktuellen Amoklauf kämen sie dann teils
Jahrzehnte später und erklärten, mit dem einst Erlebten nicht
zurechtzukommen.
«Und das ist unser Ziel in der Traumatherapie, dass wir den Menschen
klarmachen: «Ja, es gibt einen Weg, damit weiterzuleben, aber die
Lösung besteht nicht darin, das Ganze zu verdrängen und zu versuchen,
zu vergessen».» Zu beachten sei dabei, dass auch Menschen, die nicht
unmittelbar betroffen waren, traumatisiert sein können. Speziell bei
Graz gelte das nicht nur etwa für Eltern oder Geschwister: Viele
Menschen der Stadt hätten eine Beziehung zu dieser Schule.
In dem Gebäude hatte ein 21-Jähriger am Dienstag um sich geschossen.
Er tötete neun Schüler zwischen 14 und 17 Jahren sowie eine Lehrerin.
Anschließend erschoss er sich selbst. Mehrere Menschen lagen mit
Verletzungen im Krankenhaus.
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