Das lange Hoffen auf eine neue Niere Von Sebastian Fischer, dpa
Am 17. Juni 1950 wird erstmals eine Niere von Mensch zu Mensch
übertragen. Sie arbeitet damals nur einige Monate. Nun ist die
Medizin weiter. Doch in Deutschland gibt es seit Jahrzehnten ein
Problem.
Berlin (dpa) - «Bis ans Lebensende, hoffe ich doch!» Bettina Lange
aus dem brandenburgischen Brieselang ist zuversichtlich, dass ihre
Niere noch eine ganze Weile weiterarbeiten wird. Es ist nicht ihre
eigene, sondern die ihres Mannes. Er spendete ihr Anfang 2009 eines
seiner beiden Organe. Damals war Lange 52 Jahre alt, über Jahrzehnte
nierenkrank und schon länger an der Dialyse. «An der Dialyse ging es
mir nicht gut, teilweise sehr schlecht», sagt sie.
Bei einer Dialyse wird bei den meisten Patienten das Blut außerhalb
des Körpers von Schadstoffen gereinigt, weil die eigenen Nieren das
nicht mehr schaffen. Das Verfahren wurde erstmals vor bald 80 Jahren
in den Niederlanden erfolgreich eingesetzt.
In Deutschland unterziehen sich heute bis zu 100.000 Menschen
dauerhaft dieser Prozedur. Das heißt in der Regel: dreimal die Woche
über jeweils mehrere Stunden unter ärztlicher Beobachtung an der
Maschine hängen. Nur so wird das Überleben gesichert.
Die Behandlung ersetzt die körpereigene Funktion aber nicht
vollständig, so dass sich der Gesundheitszustand der Betroffenen
schleichend verschlechtert. Der einzige Ausweg: eine fremde Niere.
Sie ist in Deutschland das am häufigsten benötigte Organ.
Als die Transplantation in ihren Kinderschuhen steckt
Vor 75 Jahren wird am 17. Juni 1950 in einem kleinen US-Krankenhaus
in einem Vorort von Chicago weltweit erstmals erfolgreich eine Niere
von Mensch zu Mensch übertragen. Der Chirurg Richard H. Lawler setzt
einer 44-jährigen Patientin in einem 45-minütigen Eingriff das Organ
einer Verstorbenen ein. Das Transplantat funktioniert zunächst, muss
aber nach zehn Monaten entfernt werden, weil der Körper es abstößt.
Lawler führt nie wieder diese Art von Operation durch. «Ich wollte
einfach nur anfangen», sagt er später.
In Deutschland erfolgt ein erster solcher Eingriff 1963: In
West-Berlin setzen Wilhelm Brosig und Reinhold Nagel einer
21-Jährigen das Organ ein. Nur wenige Tage darauf stirbt sie. Ein
halbes Jahr später gelingt denselben Urologen ein erster
langfristiger Erfolg bei einer 25-Jährigen, die eine Spende ihrer
Mutter erhält. In der DDR gibt es solche Transplantationen ab 1966.
Bis heute fanden in Deutschland rund 100.000 Nieren neue Besitzer.
Wie Patienten zu einer neuen Niere kommen
Es gibt die Möglichkeit, dass ein gesunder Partner, Verwandter oder
eine emotional nahestehende Person freiwillig eine Niere spendet. So
wie bei Bettina Lange. Oder auch bei Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier, der 2010 diesen Schritt für seine Frau Elke Büdenbender
ging.
Lange und ihr Mann haben sich ungefähr ein Jahr auf die Operation
vorbereitet. Sie musste behandelt werden, damit das Organ auch zu
ihren Körperwerten passt. «Nach der Operation hat man zwei chronisch
kranke Menschen», sagt die 68-Jährige. Regelmäßig geht das Paar zum
Gesundheitscheck.
Empfänger nehmen danach heftige Medikamente ein, die das Immunsystem
runterfahren, damit die Niere vom Körper nicht abgestoßen wird.
Dadurch haben sie ein höheres Infektionsrisiko. Sie sollten auf ihre
Ernährung achten und etwa Blauschimmelkäse oder gewisse Zitrusfrüchte
meiden.
Viele gesunde Spenderinnen oder Spender können trotz regelmäßiger
Untersuchungen bald nach der Transplantation ihr bisheriges Leben
weiterführen. Sie verfügen nach Angaben des Bundesinstituts für
Öffentliche Gesundheit (BIÖG) über noch etwa 70 Prozent der
ursprünglichen Nierenleistung, was für ein normales Leben ausreiche.
Fremdspenden machen etwa zwei Drittel aus
Die meisten Dialysepatienten sind aber auf die Organe Verstorbener
angewiesen. Von den 2.075 hierzulande transplantierten Nieren im Jahr
2024 kam nach Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation
(DSO) rund ein Drittel aus Lebendspenden, die restlichen 1.433 von
Gestorbenen.
Guido Lambrecht aus Chemnitz lebt mittlerweile mit seiner dritten
fremden Niere. «Die erste hat bei mir acht Jahre gehalten, die zweite
fünfeinhalb Jahre. Seit 2018 lebe ich mit der dritten», sagt der
57-Jährige.
Schon im Teenageralter wird bei ihm eine chronische
Niereninsuffizienz festgestellt, mit 22 kommt er an die Maschine.
«Ich habe die Dialyse nie als Last gesehen, sondern als eine
Notwendigkeit. Dann ist das für mich okay, und ich kann damit leben
und weitermachen.»
24 Jahre alt ist er bei der ersten Transplantation in
Berlin-Friedrichshain. Als sich nach der Operation herausstellt, dass
die Niere funktioniert, hätten ihn «Glücksgefühle sondergleichen»
durchströmt, sagt er. «Ja, das ist dann schon Wahnsinn. Dasselbe war
auch 2018.» Nachdem die beiden ersten Spenderorgane versagt hatten,
musste er zwischenzeitlich wieder an die Dialyse.
Mangel an Freiwilligen
In Deutschland ist die Spendenbereitschaft seit Jahrzehnten
überschaubar. 2024 gab es nach DSO-Angaben 953 Gestorbene, denen
2.855 Organe - davon 1.391 Nieren - entnommen wurden. Mit 11,4
Spenderinnen und Spendern pro Million Einwohner nimmt die
Bundesrepublik im europäischen Vergleich einen hinteren Platz ein. In
Portugal etwa liegt der Wert rund dreimal so hoch, in Spanien noch
höher.
Verteilt werden die Organe nach festgelegten medizinischen Kriterien
über die Vermittlungsstelle Eurotransplant, der acht europäische
Länder angehören. Deutschland erhält von dort mehr Transplantate, als
es hineingibt.
Das Warten kann sich hinziehen
Fast 6.400 als transplantabel eingestufte Patienten standen nach
DSO-Angaben Ende 2024 auf der Warteliste für eine neue Niere. Manche
Mediziner schätzen den tatsächlichen Bedarf sogar auf bis zu 30.000
Menschen.
Die Wartezeit zwischen Dialysebeginn und Operation dauert lange. Bei
18- bis 64-Jährigen sind es einer Studie des Universitätsklinikums
Kiel von 2024 zufolge rund sieben Jahre. Kranke Kinder, die Nieren
junger Menschen benötigen, werden bevorzugt behandelt, bei ihnen geht
es schneller. Genauso bei über 65-Jährigen, da sie über das Programm
«Alt für Alt» Organe von über 65-Jährigen erhalten können. Weil
mehr
Ältere sterben, ist das Angebot hier höher, doch haben diese
Transplantate eine kürzere Lebensdauer.
Eine Ursache der langen Wartezeiten: der fortwährende ausgeprägte
Mangel an Spendern. Nach aktueller Gesetzeslage nämlich sind in
Deutschland Organentnahmen nur mit ausdrücklicher Zustimmung
zulässig. Teile in Politik und Gesellschaft unterstützen daher die
Einführung einer Widerspruchslösung. Damit würden alle als
Organspender gelten, solange sie nicht widersprechen.
Eine solche Regelung galt über Jahrzehnte in der DDR - und auch nach
der Wende zunächst in den ostdeutschen Kliniken, bevor eine
bundesweite Gesetzgebung dem ein Ende machte.
Guido Lambrecht erhielt 1992 nach den alten Regeln seine erste Niere
bereits nach zwei Jahren Wartezeit, bei der zweiten waren es schon
fünfeinhalb, und bei der dritten sieben Jahre. Er sagt:
«Kurioserweise habe ich immer die durchschnittliche Wartezeit
eingehalten.»
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