Merz: Zurückweisung von Asylsuchenden bleibt möglich

Der Kanzler und sein Innenminister halten am harten Grenzregime fest,
trotz einer Eilentscheidung, die Zweifel nährt. Hubig sagt, es werde
wohl nicht einfach werden, die Gerichte zu überzeugen.

Berlin (dpa) - Kanzler Friedrich Merz (CDU) hält an der Zurückweisung
Asylsuchender an der Grenze auch nach einer
Verwaltungsgerichtsentscheidung fest, die dies im konkreten Fall für
rechtswidrig erklärt hat. Vom Koalitionspartner SPD kommt dazu kein
Widerspruch, jedoch die Aufforderung, das Urteil des Berliner
Gerichts ernst zu nehmen. 

Die Entscheidung des Berliner Gerichts enge die Spielräume zwar
möglicherweise noch einmal etwas ein, sagte Merz beim
Kommunalkongress des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in Berlin.
«Aber die Spielräume sind nach wie vor da. Wir wissen, dass wir nach
wie vor Zurückweisungen vornehmen können.» 

Deutschland werde dies «selbstverständlich im Rahmen des bestehenden
europäischen Rechts tun», betonte er. «Aber wir werden es tun, auch
um die öffentliche Sicherheit und Ordnung in unserem Lande zu
schützen und die Städte und Gemeinden vor Überlastung zu bewahren.»
 

Miersch: Folgen der Entscheidung sorgfältig prüfen

Die Entscheidung des Gerichts sei grundsätzlich, aber nicht
letztinstanzlich, sagte SPD-Fraktionschef Matthias Miersch. Es müsse
nun sehr genau geprüft werden, welchen Einfluss die Entscheidung auf
das weitere Vorgehen an den Grenzen habe. 

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) sagte: «Ich habe keine
Zweifel, dass die Bundesregierung die Gerichtsentscheidungen befolgen
wird.» Die drei Antragsteller würden in Deutschland nun ein Verfahren
nach den sogenannten Dublin-Regeln erhalten. Diese Regeln legen fest,
welcher EU-Staat für das Asylverfahren eines Schutzsuchenden
zuständig ist.

Merz unterstrich, bis sich die Lage an den europäischen Außengrenzen
mit Hilfe von neuen gemeinsamen europäischen Regeln deutlich
verbessert habe, «werden wir die Kontrollen an den Binnengrenzen
aufrechterhalten müssen». Bundesinnenminister Alexander Dobrindt
(CSU) hatte am 7. Mai eine Intensivierung der Grenzkontrollen verfügt
und angeordnet, auch Asylsuchende an der Grenze zurückzuweisen -
allerdings mit Ausnahmen, etwa für Kinder und Schwangere. 

Somalier wurden nach Polen zurückgeschickt

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte am Montag in einer
Eilentscheidung festgestellt, die Zurückweisung dreier Somalier bei
einer Grenzkontrolle am Bahnhof Frankfurt (Oder) sei rechtswidrig.
Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für einen Asylantrag der
Betroffenen zuständig sei, dürften sie nicht abgewiesen werden. Die
drei Betroffenen, die von Pro Asyl unterstützt werden, waren nach
Polen zurückgeschickt worden.

Dobrindt: Zurückweisungen wegen Überforderung

Dobrindt sagte in Berlin: «Wir sind der Überzeugung, dass das, was
wir tun, dass diese Zurückweisungen, dass die im Einklang mit dem
Recht sind.» Dabei berief er sich erneut auf Artikel 72 des Vertrags
über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Diese sogenannte
Notlagenklausel erlaubt Ausnahmen, wenn es um die Aufrechterhaltung
der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit geht.
Dobrindt sagte, es gebe durch irreguläre Migration eine Überforderung
bei der Integrationsfähigkeit, in den Kitas, den Schulen bis zum
Gesundheitswesen. Dies könne man vor Gericht gegebenenfalls
ausführlich nachweisen und damit auch die Zurückweisungen von
Asylsuchenden begründen.

«Ob man von der Lage in einzelnen Kommunen auf ganz Deutschland
schließen kann, ist aber sehr fraglich», gab Winfried Kluth,
Professor für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg, zu bedenken.

Nach Darstellung des Verwaltungsgerichts Berlins gibt es zudem eine
Reihe juristischer Hürden. Eine Beschwerde gegen den Beschluss des
Gerichts in der nächsthöheren Instanz, dem Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg, ist nach dem Gesetz nicht möglich. 

«Das Asylgesetz trifft für Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz
in Eilverfahren eine Sonderregelung», erklärte eine
Gerichtssprecherin. Demnach ist eine Beschwerde nicht vorgesehen.
«Diese Regelung des Bundesgesetzgebers bezweckt die Beschleunigung
gerichtlicher Eilverfahren in Rechtsstreitigkeiten nach dem
Asylgesetz», so die Sprecherin. In Asylverfahren befasse sich ein
Gericht daher bereits im Eilverfahren tiefer mit dem Fall. 

Gericht: Zurückweisung bei Grenzkontrollen rechtswidrig

In ihrem Beschluss gehen die Berliner Richter davon aus, dass das
Ziel der Klage regelmäßig bereits mit dem Eilverfahren erreicht wird.
Im konkreten Fall ging es um zwei Männer und eine junge Frau aus
Somalia. Die Frau hatte nach Gerichtsangaben neben dem Eilantrag auch
Klage eingereicht. Da sie im Eilverfahren Recht bekommen hat, tritt
voraussichtlich eine «Erledigungssituation» ein. Um unnötige Kosten
zu sparen, könnte die Klägerin eine sogenannte Erledigungserklärung
abgeben. Dem könnte sich das Bundesinnenministerium anschließen -
oder aber auch widersprechen. 

«In dem Fall beschäftigt sich das Gericht aber lediglich mit der
Frage, ob der Rechtsstreit erledigt ist oder nicht», erklärte die
Sprecherin. Eine weitere inhaltliche Prüfung erfolge erst, wenn das
Gericht zu dem Ergebnis komme, dass dies nicht der Fall sei. 

Innenministerium: Keine weiteren Verfahren bekannt

Nach der Gerichtsentscheidung sagte Dobrindt, er wolle die Praxis an
der Grenze nicht ändern und ein Hauptsache-Verfahren anstreben. Über
die drei von der Entscheidung des Berliner Gerichts umfassten
Verfahren hinaus sind dem Bundesinnenministerium nach Auskunft eines
Sprechers keine weiteren anhängigen Verfahren von zurückgewiesenen
Asylsuchenden bekannt.

Justizministerin Hubig erklärte, das Verwaltungsgericht habe nicht
abschließend geklärt, ob Zurückweisungen von Asylsuchenden an den
Binnengrenzen mit europäischem Recht vereinbar seien. «Es wird aber
nicht einfach werden, die Justiz davon zu überzeugen, dass diese
Zurückweisungen rechtmäßig sind», vermutet die SPD-Politikerin. Das

letzte Wort habe der Europäische Gerichtshof. 

Die Grünen-Fraktion würde Dobrindt gerne während der Sitzung des
Innenausschusses am Mittwoch persönlich zu den rechtlichen Grundlagen
und Auswirkungen der Kontrollen und Zurückweisungen befragen.
«Entscheidungen von Gerichten mit demonstrativer Ignoranz zu
übergehen, sollte hierzulande keine Schule machen», sagte
Grünen-Innenpolitiker Lukas Benner.

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