Studie: Millionen Kinder sind Opfer von sexueller Gewalt Von Basil Wegener, dpa
11 Jahre alt sind Kinder laut einer Studie im Schnitt, wenn sie das
erste Mal Opfer von sexualisierter Gewalt werden. Die Tatorte sind
unterschiedlich.
Berlin (dpa) - Jede fünfte Frau in Deutschland ist im Kindes- und
Jugendalter Opfer von sexualisierter Gewalt geworden. Insgesamt haben
einer neuen Studie zufolge 12,7 Prozent der 18- bis 59-Jährigen
solche Taten als Minderjährige bereits erlebt - das sind 5,7
Millionen Menschen. Bei den Frauen liegt die Betroffenenrate bei
20,6, bei den Männern bei 4,8 Prozent. Das Ausmaß solcher Taten in
Deutschland sei «erschreckend groß», sagte der Mannheimer Psychiater
und Studienkoordinator Harald Dreßing.
Erstmals zeigt die großangelegte Erhebung unter Mitarbeit mehrerer
Forschungseinrichtungen das Ausmaß der Taten und deren Verteilung auf
einschlägige Tatorte auch jenseits der katholischen und evangelischen
Kirche. Dort war in den vergangenen Jahren immer mehr Missbrauch
bekanntgeworden. Die neue, federführend am Zentralinstitut für
Seelische Gesundheit in Mannheim entstandene Studie, deckt «ein
erhebliches Dunkelfeld» solcher Taten insgesamt auf.
Oft dauert der Missbrauch Jahre
11,2 Jahre - so alt waren die Betroffenen im Schnitt zum Zeitpunkt
der ersten Tat. Dabei erlebte rund jede und jeder zweite Betroffene
sexualisierte Gewalt nicht nur einmal. Mehrfach zum Opfer wurden vor
allem jene, an denen so eine Tat schon in besonders jungen Jahren zum
ersten Mal verübt worden war. Bei den von Mehrfachtaten betroffenen
Personen dauerte der Missbrauch durchschnittlich 3,4 Jahre.
«Sehr unterschiedliche Tatbereiche»
Dreßing, der durch die Erforschung verbreiteten sexuellen Missbrauchs
in der katholischen und evangelischen Kirche bekannt ist, berichtete
von insgesamt «sehr unterschiedliche Tatbereichen» in der deutschen
Gesellschaft. Mit 27,4 Prozent berichten junge Frauen zwischen 18 und
29 Jahren besonders oft davon, sexuelle Übergriffe erlebt zu haben.
Mädchen seien dabei häufiger im Familien- und Freundeskreis betroffen
- mit rund einem Drittel insgesamt der häufigste Tatkontext.
Im Schnitt sind Mädchen zum Zeitpunkt der Taten laut Dreßing etwas
älter und Jungen etwas jünger. Jungen erleben sexualisierte Gewalt
demnach häufiger in Sport- und Freizeiteinrichtungen, im kirchlichen
Kontext und im Rahmen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe.
«Überall dort, wo Kinder und Eltern eigentlich einen Schutzraum für
Kinder erwarten dürfen, passieren Sexualdelikte», stellte Dreßing
fest.
Ungewollter Kontakt mit Pornografie
Über das Internet und soziale Medien haben nach eigenen Angaben
bereits fast 32 Prozent sexualisierte Gewalt erlebt. Hier berichteten
Betroffene am häufigsten über ungewollte Kontakte mit pornografischem
Material (18 Prozent) sowie über ungewollte Fragen nach sexuellen
Informationen und ungewollten Gesprächen sexuellen Inhalts (jeweils
rund 10 Prozent).
Penetration in fast jedem vierten Fall
«Die Tathandlungen sind gravierend», stellen die Forscherinnen und
Forscher fest. Ihre Befragung ergab, dass in mehr als 95 Prozent der
Fälle Berührungen stattfanden - in 23,7 Prozent der Fälle sogar eine
Penetration. 95 Prozent der Täter sind laut der Studie männlich.
Insgesamt haben die Forscherinnen und Forscher nach allen Taten
gegenüber Unter-14-Jährigen gefragt sowie nach Taten gegenüber
Unter-18-Jährigen gegen deren Willen. Gefragt wurde etwa nach
sexueller Belästigung oder Nötigung, aber auch nach Annähern im
Internet für spätere sexuelle Übergriffe.
Schweigen aus Scham
Dreßing sagte: «Wenn ein Kind Opfer sexualisierter Gewalt wird, dann
ist das ein schweres Trauma. Es kann ein Leben zerstören.» Laut der
Studie schweigen viele Opfer - aus Scham- und Schuldgefühlen sowie
aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird, wie der Psychiater
erläutert. Mehr als 37 Prozent der Betroffenen berichteten gegenüber
den Mannheimer Forschenden zum ersten Mal über die erlittenen Taten.
56 Prozent hatten bereits jemand anderem davon erzählt. Strafanzeige
hatten 7 Prozent erstattet. 14 Prozent gaben an, sich wegen
sexualisierter Gewalt bereits in psychotherapeutischer Behandlung
befunden zu haben.
Um die Zahlen zu senken, forderte Dreßing weitere Forschung, so dass
in Einrichtungen und Heimen speziell abgestimmte Schutzkonzepte
erstellt werden könnten. Für die vielen Fälle von Taten im
Familienkreis drang der Forscher auf wachsende Sensibilisierung und
Aufklärung. Wichtig sei, dass Informationen über Hilfsangebote eine
stärkere Verbreitung erführen.
Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK
Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.