Oft reicht eine Hand - Hilfe für Demente in der Notaufnahme Von Maurice Dirker und Swen Pförtner , dpa

In der Notaufnahme ist es oft hektisch und unübersichtlich. Das kann
demente Patienten überfordern und ihre Heilungschancen schmälern.
Drei Kliniken erproben eine mögliche Lösung.

Göttingen (dpa/lni) - Hektik und Stress sind in der Notaufnahme keine
Seltenheit. Sanitäter schieben Patienten auf Tragen in das Gebäude,
Ärztinnen und Betreuer huschen zum nächsten Patienten. Für ältere u
nd
vor allem demente Menschen kann das überfordernd sein - und ihre
Heilungschancen verschlechtern. Ehrenamtliche Notfallaufnahmelotsen
wollen das an drei deutschen Klinikstandorten in Göttingen, Mannheim
und Berlin verhindern.

Die größte Gefahr sei, dass es bei Patienten oder Patientinnen zu
einem sogenannten Delir kommt - das ist ein Zustand akuter
Verwirrtheit, für den demente Menschen besonders anfällig sind, wie
die Direktorin der Klinik für Geriatrie an der Universitätsmedizin
Göttingen, Christine von Arnim, erklärt. Ein Delir tritt plötzlich
auf, beispielsweise nach Operationen und hält meist mehrere Tage an. 

Offene Gespräche

Damit es dazu nicht kommt, sind Ehrenamtler wie Kerstin Schneider an
der Unimedizin im Einsatz. «Ihre Aufgabe ist es, die Menschen im Hier
und Jetzt zu halten», sagt von Arnim. Schneider berichtet: «Viele
suchen einfach nur wen zum Reden. Das beruhigt sie bereits.» Häufig
reiche auch einfaches Handauflegen. Eine demente Frau habe etwa nur
aufgehört zu schreien, wenn sie neben ihr gesessen habe, sagt
Schneider.

«Ich trage bewusst keinen Kittel; spreche die Menschen einfach an,
ohne dass Pflegerinnen oder Pfleger mich vorstellen», berichtet
Schneider. So werde sie nicht mit dem ärztlichen Personal in
Verbindung gebracht, mit dem die Menschen nicht immer etwas Gutes
verbinden. Wie das ärztliche Personal unterliegen aber auch die
Lotsen der Schweigepflicht.

Team der Ehrenamtlichen soll wachsen 

In Göttingen ist Schneider eine von derzeit zwei
Notaufnahmelotsinnen. Acht weitere Ehrenamtliche sollen bald zum Team
hinzustoßen - Studierende wie Senioren. Eine medizinische
Vorausbildung braucht es nicht. Schneider allerdings ist gelernte
Krankenpflegerin, inzwischen aber Rentnerin und auch für andere
ehrenamtliche Organisationen tätig. Als Notfalllotsin arbeitet sie
meist zweimal im Monat für sechs bis sieben Stunden an
selbstgewählten Tagen.

Etwas zu tun gebe es immer. «Däumchen habe ich noch nie gedreht»,
sagt Schneider. Wenn niemand in der Notaufnahme oder der Station der
Notaufnahme betreut werden müsse, kümmere sie sich um Menschen in der
Geriatrie. Für ihre Arbeit als Lotsin hat sie eine Schulung zu Themen
wie Demenz, Delir und Hygiene absolviert. Das wichtigste aber sei,
auf die Betroffenen unvoreingenommen zuzugehen.

Uniklinik Göttingen überzeugt

In Göttingen ist man bisher von dem Angebot überzeugt - auch wenn zu
Beginn nicht jeder daran glaubte. Das Pflegepersonal in der
Notaufnahme sei zunächst skeptisch gewesen, fürchtete noch mehr
Menschen, die auf den engen Fluren im Weg stehen, sagt
Geriatrie-Direktorin von Arnim. «Inzwischen freuen sich die Kollegen,
wenn wir kommen, weil wir ihnen Arbeit abnehmen», sagt Lotsin
Schneider.

Seit September sind die Lotsinnen in Göttingen im Einsatz. 30 bis 50
Betroffene wurden seitdem betreut. Das Potenzial sei aber viel
größer, sagt die ärztliche Leiterin der Zentralen Notaufnahme an der

UMG, Sabine Blaschke. Laut Statistiken seien fünf bis zehn Prozent
der Menschen in Notaufnahmen von Demenz oder Delir betroffen -
Tendenz steigend. 

Angebot auch an anderen deutschen Kliniken denkbar

Das aktuelle Projekt baut auf ein erstes Pilotprojekt auf, das 2019
an der Berliner Charité durchgeführt wurde. Ziel ist es,
Heilungschancen zu verbessern. Denn etwa bei Menschen, die in einen
Delir verfallen, besteht ein deutlich höheres Sterberisiko. Bei
regelmäßigen Feedbackrunden mit Fragebögen bewerten Lotsinnen und
Pflegepersonal das Projekt, erklärt Blaschke. Kleinigkeiten seien
bereits verbessert worden. So gebe es inzwischen eine Tasche mit
Büchern und Spielen als Beschäftigung für Patienten und Lotsen.

In Göttingen gibt es bereits Pläne, die bis 2025 laufende Testphase
auch danach weiter anzubieten. Auch an der Charité überzeugt das
Projekt. Man werde «alles daran setzen, es auch weiterzuführen», hie
ß
es. Notaufnahmelotsin Schneider hofft sogar: «Vielleicht gibt es
ähnliche Angebote ja schon bald in ganz Deutschland.» Bisher wird das
allerdings nicht von den Krankenkassen bezahlt.

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz hält das Projekt für
sinnvoll. Es sei allerdings nur die zweitbeste Lösung, sagte Vorstand
Eugen Brysch. Besser wären hauptamtliche Fachkräfte. Darüber hinaus
wünscht er sich, dass Krankenkassen verpflichtet werden, schon in der
Notaufnahme für die Klinik-Unterbringung von Angehörigen zahlen, wenn
das medizinisch notwendig sei.

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