«Unschuldige getötet»: Solingen-Attentäter gesteht Von Frank Christiansen und Volker Danisch, dpa
Auf dem «Festival der Vielfalt» wütete in Solingen ein Messerstecher.
Kurz danach reklamiert die Terrorgruppe Islamischer Staat den
Anschlag für sich. Der Strafprozess beginnt mit einem Geständnis.
Düsseldorf (dpa) - Die Opfer lauschten der Live-Musik, zum Teil mit
geschlossenen Augen. Einige nahmen eine Unruhe wahr, dann traf sie
schon die Klinge. Im Strafprozess um den mutmaßlich islamistischen
Terroranschlag von Solingen mit drei Toten hat der Angeklagte die
Messerattacke gestanden. In einer Erklärung, die seine Verteidiger
für ihn abgaben, räumte der Syrer Issa al H. (27) den Angriff ein,
bei dem drei Menschen starben. «Ich habe schwere Schuld auf mich
geladen. Drei Menschen sind durch meine Hand gestorben. (...) Ich bin
bereit, das Urteil entgegenzunehmen.» Weiter ließ er verlesen: «Ich
habe Unschuldige getötet, keine Ungläubigen.»
Lediglich zum Tatvorwurf der IS-Mitgliedschaft schweige ihr Mandant,
erklärten die Verteidiger. Der Strafprozess gegen den Syrer begann am
Düsseldorfer Oberlandesgericht neun Monate nach der blutigen
Messerattacke auf dem Solinger Stadtfest.
Bundesanwaltschaft: Suchte gezielt Kontakt zum IS
Die Bundesanwaltschaft wirft dem Angeklagten dreifachen Mord und
zehnfachen versuchten Mord vor. Außerdem soll er IS-Terrorist sein
und wenige Stunden vor der Tat am Abend des 23. August 2024 dem
sogenannten Islamischen Staat in Videos die Treue geschworen haben.
Videos davon habe er zum Teil wenige Minuten vor der Tat seinem
IS-Kontaktmann geschickt.
Er habe in islamistisch-dschihadistischen Foren gezielt Kontakt zum
IS gesucht, so die Bundesanwaltschaft. Bereits seit 2019 habe sich
Issa al H. mit der Ideologie des Salafismus beschäftigt und die
freiheitliche Lebensweise abgelehnt. Im Messengerdienst Telegram habe
er den Kontakt zu führenden Mitgliedern des IS gesucht. Ideologische
Operateure des IS hätten ihn dann - auch bei der Auswahl der Tatwaffe
- angeleitet.
Seine völlig überraschten Opfer habe er mit einem Messer meist von
hinten attackiert und mit einem gezielten Stich in den Hals verletzt.
Mehrfach habe er dabei «Allahu akbar» gerufen. Erst das letzte Opfer
habe Widerstand geleistet, ihn getreten und abgewehrt. Der Angeklagte
betrat den Gerichtssaal bekleidet mit einem blauen T-Shirt und hielt
den Kopf auf der Anklagebank überwiegend gesenkt.
Psychiater: Angeklagter bezeichnete sich nicht als streng religiös
Der psychiatrische Gutachter berichtete, ihm habe der Syrer erzählt,
dass ihn Bilder des Gaza-Konflikts von getöteten palästinensischen
Kindern sehr bewegt hätten. Er habe diese Bilder auf seinem
Telegram-Kanal weiterverbreitet und sei daraufhin von einem
Unbekannten angeschrieben worden, der ihn aufgefordert habe, einen
Anschlag in Deutschland zu begehen. Die Deutschen seien
mitverantwortlich. Dieser Mann habe ihm das Gehirn gewaschen, er sei
hereingelegt worden und letztlich selbst ein Opfer, habe der
Angeklagte ihm erklärt.
Im Gegensatz zur Anklage führte der Psychiater aus, Issa al H. habe
sich selbst nicht als streng religiös oder salafistisch bezeichnet.
Er rauche, ziehe Actionfilme der Koranlektüre vor und habe schon
manches Freitagsgebet verschlafen. Deutschland sei für ihn ein
schönes Land. «Hier kann man ein Leben führen, wie man es möchte»
,
habe er gesagt. Er wäre nicht nach Deutschland geflüchtet, wenn er
die Menschen hier als Ungläubige abgelehnt hätte. Nur Freunde habe er
hier nicht gefunden.
Bei der Tat habe er erstmals in seinem Leben unter einer
Wahrnehmungsstörung gestanden und auf der Bühne die Leichen
palästinensischer Kinder gesehen, sagte der Psychiater weiter. In der
Vorstellung des Angeklagten habe ein israelischer Polizist dazu
gelacht - diesen habe er attackiert und sei dann in einen Wald
geflüchtet. Am nächsten Tag habe er sich einer Polizeistreife
gestellt.
Vom Bürgerkrieg in Syrien geprägt
Wenn es die Kinder nicht gegeben hätte und die religiöse
Indoktrinierung, hätte er es nicht getan, habe der Angeklagte dem
Psychiater gesagt. An weitere Tote und Verletzte könne er sich nicht
erinnern. Der Angeklagte habe die Tat ihm gegenüber als Dummheit
bagatellisiert, die er begangen habe, er sei hereingelegt worden.
Seine Videos, die im Prozess vorgeführt wurden, sprechen eine andere
Sprache: «Ich werde Euch in Stücke reißen», sagt er dort. Er werde
«Rache nehmen für unsere Familien in Palästina. (...) Deswegen werde
ich sie zerstückeln - aus Rache für ihre Massaker (...)». In einem
Chat äußerte er sich stark abfällig über Deutschland und
Homosexuelle.
Der Psychiater sagte weiter, die Zeit des Angeklagten in Syrien mit
sieben Geschwistern sei vom Bürgerkrieg geprägt gewesen. Er sei mit
seiner Familie vertrieben worden, habe die Schule nur bis zur
sechsten oder siebten Klasse besucht. Der Angeklagte habe angegeben,
ein schwacher Schüler gewesen zu sein, er habe lieber Fußball
gespielt. Über die Türkei und Bulgarien sei er für 6.800 Euro, die er
an Schlepper gezahlt habe, nach Deutschland gekommen, sagte der
Psychiater.
Prozess im Hochsicherheitstrakt
Der Prozess findet im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts
Düsseldorf statt. Sowohl Verletzte als auch Angehörige von
Todesopfern des Anschlags treten als Nebenkläger auf. Insgesamt sind
es zwölf Nebenkläger.
Bei den Todesopfern handelt es sich um zwei Männer (56 und 67 Jahre
alt) und eine Frau (56). Acht Menschen wurden verletzt. Zwei Besucher
soll der Angreifer knapp verfehlt, aber ihre Kleidung zerfetzt haben.
Auch diese Attacken wertet die Bundesanwaltschaft als Mordversuche.
Einen Tag später reklamierte der IS den Anschlag für sich. Es war das
erste Bekenntnis dieser Art seit dem Anschlag auf den Berliner
Weihnachtsmarkt 2016.
Ein Abschiebungsversuch
Der Anschlag hatte die politische Diskussion um Abschiebungen, das
Dublin-System und die innere Sicherheit in Deutschland befeuert.
Sicherheitspakete wurden geschnürt und verabschiedet. Ein
Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag befasst sich derzeit
unter anderem mit der Frage, warum die Abschiebung des späteren
mutmaßlichen Attentäters scheiterte.
Das Düsseldorfer Oberlandesgericht hat bis zum 24. September 22
Verhandlungstage angesetzt.
Philipp Müller, der Mitorganisator des Stadtfestes, plant unterdessen
ein neues Fest, das fast ein Jahr nach dem Anschlag in Solingen
gefeiert werden soll. «Damit soll dieser Attentäter wissen: In dieser
Situation hat er nicht gewonnen.»
Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK
Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.