Ein Jahr nach dem Hochwasser: Wie Rudersberg wieder aufsteht Von Martin Oversohl, dpa

Unterspülte Straßen, zerstörte Brücken und ungezählte überflute
te
Keller: Vor einem Jahr setzte Starkregen die Gemeinde Rudersberg
unter Wasser. Was ist seitdem geschehen? Und welche Spuren bleiben?

Rudersberg/Schorndorf (dpa) - Dort, wo Werner Diggelmann vor einem
Jahr um sein Leben gekämpft hat, steht jetzt ein Kirmes-Schaukelpferd
aus Holz. Früher war hier das Arbeitszimmer des 83-Jährigen. In einem
Wandschrank bewahrte er seine Dia-Sammlung und seine Unterlagen auf -
sauber geordnet, von der Steuer bis zu den Versicherungen. Jetzt ist
der Raum frisch verputzt, er soll wieder belebt werden. 

Als das Wasser am 2. Juni 2024 durch das Tal schoss, sich an der
Brücke neben Diggelmanns Haus staute und schließlich durch die
Fenster drängte, hatte der Rentner kaum eine Chance. Die Decke zum
komplett überfluteten Keller brach ein, er wurde mit in die Fluten
gerissen und erst im letzten Moment von seiner Frau aus den
Wassermassen im Untergeschoss gezogen. 

Zwei Rentner im Nachbarort Miedelsbach ertranken in ihrem
überfluteten Keller. Auch in Oberschwaben schwollen die Zuflüsse von
Bodensee und Donau an.

Ein Jahr ist das nun her. Ein Jahr, in dem Diggelmann, seine Nachbarn
und das ganze Rudersberger Tal nordöstlich von Stuttgart versucht
haben, Schlamm, Scherben und Schutt, aber auch die Erinnerungen an
jene nächtlichen Stunden beiseite zu räumen. Ein Jahr, in dem sie
geputzt und aufgebaut, sich getröstet, Mut gemacht, kritisiert - und
zum Teil auch aufgegeben haben.

«Ich hatte den totalen Kontrollverlust»

«Viele sind stolz darauf, was sie in dieser Zeit geschafft haben»,
sagt der Rudersberger Metzger Werner Hinderer. «Bei anderen tut es
weh. Und bei einigen ist auch Ärger dabei, weil es nicht so schnell
geht, wie sie das wollen.» Seine Metzgerei hatte Hinderer damals
gerade frisch renoviert, dann zog das Wasser durch und hinterließ
einen Millionenschaden. «Ich hatte anfangs einen kompletten
Kontrollverlust über meine Existenz», sagt der Unternehmer - und
packte an. 

«Rational war das Quatsch, es wäre meine Chance gewesen, mit 61
Jahren auszusteigen. Aber ich führe den Laden in siebter Generation,
da habe ich auch eine Verantwortung.» Keine sechs Monate später wurde
wieder Fleisch über die Theke verkauft, heute ist der Laden ein
wichtiger Treffpunkt. 

Zwischen Containern und Hoffnung

«Ein starkes Zeichen war das für den Ort», sagt Raimon Ahrens, der
Bürgermeister der 11.700-Einwohner-Gemeinde im Rems-Murr-Kreis beim
Spaziergang durch den Ort. Die Spuren jener Nacht sind auch ein Jahr
später nicht zu übersehen. Hier sind noch Scheiben abgeklebt, dort
zeugen helle Streifen auf dem Putz oder Schaufenster des Hauses vom
Wasserstand in der Hochwasser-Nacht.  

Volksbank und Kreissparkasse arbeiten weiter in Containern. Die
Sparkasse will im Juli ins sanierte Geschäft zurück. Der Bäcker
verkauft noch aus dem Wagen heraus - es hakt bei der Versicherung.
Die Apotheke ist nach der Kernsanierung bereits weiter und hat
geöffnet. Andere haben es nicht geschafft, der Schreibwarenladen, der
Friseur, die Kneipe. Am Dachstuhl eines Fachwerkhauses in der
Hauptstraße frisst gerade ein Bagger.

120 Millionen Euro - und jede Menge offener Wunden

«Vom Gefühl her hat sich viel getan seitdem», sagt Ahrens. «Aber es

gibt auch ein Jahr danach noch allerhand zu tun.» Schule,
Kindergarten, Gemeindehaus - alles war stark betroffen. «Von der
Kläranlage bis zum Jugendhaus hat praktisch alles Schaden genommen»,
sagt er.

Die wenigen Stunden jener Nacht verursachten einen Schaden in Höhe
von mehr als 120 Millionen Euro - eingerechnet kommunale Gebäude
ebenso wie die beschädigten Flussläufe im Tal der Wieslauf sowie die
Schäden von Gewerbetreibenden und privaten Haushalten. Auch die
Wieslauftalbahn musste monatelang repariert werden, Landes- und
Kreisstraßen rissen auf. Allein 1,2 Millionen Euro zahlte die
Gemeinde zudem, um die Müllberge nach der Katastrophennacht
abzutragen. 

Ein Schutz für alle 100 Jahre - doch das war mehr

Die Stadt schätzt, dass rund 90 Prozent der Menschen in der Gemeinde
eine Elementarschadenversicherung besitzen, die - anders als eine
normale Gebäudeversicherung - auch bei Starkregen, Hochwasser oder
anderen Naturgefahren greift. Grund ist die bis 1994 gültige
landeseigene Versicherungspflicht.

«Bei Hausrat ist das allerdings nicht der Fall», sagt Hauptamtsleiter
Achim Laidig. «Da braucht man ausdrücklich einen Zusatz - und den
haben die meisten nicht.» Sie bleiben auf den Kosten sitzen - und
müssen auch den Verlust ihrer oft im Keller gelagerten
Erinnerungsstücke verkraften: Fotoalben, Antiquitäten, Erbstücke der

Eltern.

Hochwasserschutz habe in Rudersberg immer eine Rolle gespielt, sagt
Ahrens. Kurz vor jener Nacht sei auch der neue Damm eröffnet worden,
der wahrscheinlich noch Schlimmeres verhindert habe. Man könne eine
Gemeinde aber auch nur vor einem Hochwasser schützen, wie es im
Durchschnitt alle 100 Jahre kommen könne. «Ein Ereignis wie das
jüngste, das ein 5000-jähriges Hochwasser gewesen sein soll, da kann
man sich nicht schützen. Sonst könnte man in diesem Tal nichts mehr
aufbauen.» 

Das Wasser ist weg - die Angst bleibt

So hat die Nacht, als das Wasser kam, seine Spuren im Ort
hinterlassen. An Gebäuden, im Haushalt und in den Köpfen der
Menschen. Es sei leider nur wenig geblieben vom Zusammenhalt, der
Rudersberg nach der Katastrophe gestärkt habe, sagt Metzger Hinderer.
Er will nun versuchen, eine Anlaufstelle für all diejenigen
aufzubauen, die auch ein Jahr später noch mit der Bürokratie
kämpfen. 

Und Ahrens? «Wer die Nacht überstanden hat, dem wird sicher noch
mulmig, wenn es mal wieder ein bisschen stärker regnet», sagt er.
«Und ich greife schneller zum Handy und schaue auf die
Wetter-Vorhersage.»

Auch Rentner Diggelmann hat eine Konsequenz gezogen: «Wir haben
keinen Keller mehr. Den haben wir zubetoniert», sagt er. Und hat er
mal überlegt, die Koffer zu packen und das Tal zu verlassen? «Nie»,
sagt er. «Finanziell ist das nicht machbar - und wir haben hier schon
wieder viel erreicht.» Bald feiert Klaffenbach, der nordöstlichste
Ortsteil von Rudersberg, ein Straßenfest - ein bisschen stolz
vielleicht, ein wenig auch zum Mutmachen.

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