«Die Beweislage ist erdrückend»: Prozess um Solingen-Anschlag startet Von Frank Christiansen, dpa

Auf dem «Festival der Vielfalt» wütete in Solingen ein Messerstecher.

Kurz danach reklamiert die Terrorgruppe Islamischer Staat den
Anschlag für sich. Nun beginnt der Strafprozess.

Düsseldorf/Solingen (dpa) - Es sollte ein rauschendes «Festival der
Vielfalt» werden: Auf drei Bühnen wollte die Stadt Solingen im
vergangenen August ihr 650-jähriges Bestehen feiern. 75.000 Menschen
wurden an dem Wochenende erwartet. Doch schon am ersten Abend um
21.37 Uhr beginnt das Grauen, gellen erste Schreie des Schmerzes und
des Entsetzens. Kurz darauf wird das Fest abgebrochen.

Der Syrer Issa al H. (27) soll sich am 23. August 2024 mit Messern in
die Menge geschlichen und vor einer der Bühnen drei Besucher
erstochen und versucht haben, zehn weitere zu ermorden. Bei den
Todesopfern handelt es sich um zwei Männer (56 und 67 Jahre alt) und
eine Frau (56). Acht Menschen werden verletzt. Zwei Besucher verfehlt
der Angreifer knapp, zerfetzt aber ihre Kleidung. Auch diese Attacken
wertet die Bundesanwaltschaft als Mordversuche.

Am kommenden Dienstag (27. Mai) muss Issa al H. nach neun Monaten
Untersuchungshaft im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer
Oberlandesgerichts auf die Anklagebank. Zwei Pflichtverteidiger
wurden ihm zur Seite gestellt. Sie möchten sich vor dem Prozess nicht
zu den Tatvorwürfen äußern, die die Bundesanwaltschaft auf 95 Seiten

ausführt.

Wenige Stunden vor der Tat soll der inzwischen 27-Jährige der
Terrorgruppe Islamischer Staat die Treue geschworen haben. Einen Tag
später bekennt sich der IS zu der Attacke - das erste Bekenntnis
dieser Art seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016.

«Beweislage erdrückend»

Auf der Gegenseite werden die Verteidiger es nicht nur mit der
Bundesanwaltschaft zu tun bekommen, sondern auch mit einer Reihe von
Nebenklägern. Der Solinger Rechtsanwalt Simon Rampp vertritt acht
Betroffene - sowohl Verletzte als auch Angehörige von Todesopfern des
Anschlags.

«Aus meiner Sicht ist die Beweislage erdrückend. Die Ermittler haben
extrem gute Arbeit geleistet», sagt er. Lebenslange Haft, besondere
Schwere der Schuld, Sicherungsverwahrung: Er werde sich für die
Höchststrafe einsetzen, sollten sich die Vorwürfe bestätigen. Es gehe

als Nebenklage-Vertreter aber auch darum, den Opfern emotional
beizustehen. Mit einer materiellen Entschädigung könnten seine
Mandanten nicht rechnen: «Schmerzensgeld wird bei ihm nicht zu holen
sein», sagt der Anwalt.

Dreifacher Mord, zehnfacher Mordversuch

Die Bundesanwaltschaft hat den mutmaßlichen Attentäter wegen
dreifachen Mordes und zehnfachen versuchten Mordes angeklagt. Zudem
wird ihm vorgeworfen, IS-Terrorist zu sein. Als radikaler Islamist
habe Issa al H. eine möglichst große Anzahl aus seiner Sicht
«Ungläubiger» töten wollen.

Über den Messenger-Dienst Telegram soll er vor der Tat in Kontakt zu
einem IS-Mitglied gestanden und den Anschlag abgesprochen haben. Ihm
soll er auch sein kurz vor dem Anschlag aufgenommenes Video geschickt
haben, das der IS dann verbreitete.

Issa Al H. erstellte laut Anklage auch Videos, in denen er den
Treueschwur des IS verlas und seine Tat ankündigte. Die Videos
übermittelte er demzufolge am Tatabend des 23. August 2024 an den IS.

Wie der «Spiegel» berichtete, war Issa al H. nur einen Tag vor dem
Anschlag zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen. Damit hätte er die
Chance gehabt, aus der Flüchtlingsunterkunft herauszukommen. Auf
einen Integrationshelfer habe er dabei aber depressiv gewirkt und
kein Interesse gezeigt.

Der Angeklagte hat sich gegenüber den Ermittlern und dem Haftrichter
nicht zu den Vorwürfen geäußert. Gegenüber einem Psychiater soll er

allerdings behauptet haben, während der Tat von Wahnvorstellungen und
Halluzinationen getrieben gewesen zu sein. Eine Gerichtssprecherin
betont dagegen, der Angeklagte gelte derzeit als voll schuldfähig.

Ein Abschiebungsversuch

Der Anschlag hatte die politische Diskussion um Abschiebungen, das
Dublin-System und die innere Sicherheit befeuert. Sicherheitspakete
wurden geschnürt und verabschiedet. Ein Untersuchungsausschuss im
Düsseldorfer Landtag befasst sich unter anderem mit der Frage, warum
die Abschiebung des späteren mutmaßlichen Attentäters scheiterte.

Issa Al H. sollte schon 2023 den EU-Asylregeln zufolge ins
Erstaufnahmeland Bulgarien abgeschoben werden. Als er aus der
Flüchtlingsunterkunft abgeholt werden sollte, war er aber nicht
aufzufinden. Ein weiterer Rückführungsversuch wurde nicht
unternommen. Die Frist verstrich und er bekam dadurch subsidiären
Schutz in Deutschland. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht hat bis 24.
September 22 Verhandlungstage angesetzt.

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