Ehrenpreis für Jazz auf dem Bauernhof Von Sebastian Kahnert und Jörg Schurig , dpa
«Ein Leben ohne Saxofon ist möglich, aber sinnlos.» So könnte der
abgewandelte Sinnspruch Loriots für Eckard Schleiermacher gelten. Der
66-Jährige hat einen Schweinestall zum Konzertsaal umgebaut.
Pohrsdorf (dpa/sn) - Wer ein Jazzkonzert im «Saxstall» von Pohrsdorf
besucht, muss keinen Eintritt zahlen. Auf dem Tresen steht ein
Saxofon, in dessen Schalltrichter die Gäste nach freiem Gutdünken
eine Spende für die Bands hinterlegen können. «Auskömmlich ist das
nicht, aber irgendwie habe ich es immer hinbekommen, sagt
«Saxstall»-Inhaber Eckard Schleiermacher. Dass er bei den meisten
Konzerten aus eigener Tasche draufzahlt, verrät der 66 Jahre alte
Musikfan in aller Bescheidenheit nicht.
Schleiermacher bekam schon sieben Bundespreise
2024 hat Schleiermacher zum siebten Mal den «Applaus-Award» erhalten
- diesmal als Hauptpreis in der Kategorie «Beste Livemusikprogramme».
Damit würdigte die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und
Medien unabhängige Musikclubs sowie Veranstaltungsreihen aus allen
Bereichen von Pop und Jazz. Das damit verbundene Preisgeld hat
Schleiermacher finanziell etwas Luft verschafft, sich daheim auf dem
alten Vierseitenhof im beschaulichen Pohrsdorf (Landkreis Sächsische
Schweiz-Ostergebirge) weiter seinem musikalischen Faible zu widmen.
Denn hier dreht sich alles um das Saxofon. Gut 100 Instrumente zieren
den «Konzertsaal», darunter auch mehrere aus der Entstehungszeit des
Saxofons Mitte des 19. Jahrhunderts. «Ich habe hier einen Gnadenhof
für Saxofone», sagt Schleiermacher. Er besitzt auch vier Instrumente
von Erfinder und Namensgeber Adolphe Sax (1814-1894), das älteste
datiert aus dem Jahr 1856. Drei davon sind sogar noch spielbar und
immer wieder stellen sich Musikerinnen und Musiker der
Herausforderung, so einen Oldtimer im Programm einzusetzen. Am
Saxofon schätzt Schleiermacher vor allem die Vielseitigkeit und
Wandlungsfähigkeit des Instrumentes.
Schweinestall zum Konzertsaal umgebaut
Eckard Schleiermacher ist kein Konzertveranstalter im klassischen
Sinne. Und auch der Ort des Geschehens hat seine Besonderheit. «Bis
2005 war das hier ein Schweinestall. Da hatten wir noch eine
Muttersau und ein paar Ferkel. Aber dann ließ unser Interesse an der
Schweinehaltung nach, die Kinder waren Vegetarier geworden», erzählt
er. Deshalb habe er dem Stall eine neue Bestimmung geben wollen. 2008
fand hier das erste Konzert statt. Inzwischen sind es exakt 1.418.
Ein Zähler am Eingang gibt Auskunft.
60 Besucher haben im «Saxstall» Platz - zwischen all den Instrumenten
und Devotionalien rund ums Saxofon. Im Schnitt kommen 35 Leute zu
jährlich 100 bis 120 Konzerten, auch Theater und Lesungen sind im
Angebot. Schleiermacher ist der Mann für alles, zapft Gästen ein Bier
und holt bei Bedarf Musiker mit dem Auto vom Bahnhof ab.
Namhafte Jazzer aus dem In- und Ausland spielten hier bereits.
Demnächst kommen wieder Altmeister Gunter Hampel und Gitarrist Helmut
«Joe» Sachse vorbei. Auch Schleiermachers Sohn Johannes - der
Saxofonist ist für den diesjährigen Deutschen Jazzpreis nominiert -
hat immer mal wieder ein Heimspiel.
Schleiermachers sind eine musikalische Familie
Die Schleiermachers sind eine musikalische Familie. Eckards Bruder
Steffen ist ein renommierter Komponist, Dirigent und Pianist. Seine
Mutter spielte Klavier und weckte erstes Interesse für die Musik. Die
beiden Brüder sangen in ihrer Heimatstadt Halle im Stadtsingechor.
Irgendwann brachte Steffen aus der Musikbibliothek eine Jazzplatte
mit nach Hause. Der Funke zündete. Auch an sein erstes Jazzkonzert
kann sich Eckard Schleiermacher noch gut erinnern - ein Auftritt des
Saxofonisten Günther Fischer mit Band.
Die Frage, warum er nicht selbst Musik studierte, sondern Pharmazie
wählte und Apotheker wurde, beantwortet Eckard Schleiermacher so:
«Weil ich nicht gut genug dafür war.» Dennoch hat er später gemeins
am
mit seinem Sohn Saxofon gelernt und spielt bis heute in diversen
Formationen aus Spaß an der Freude. Vor 25 Jahren gründete
Schleiermacher die Deutsche Apotheker Bigband mit Kollegen aus ganz
Deutschland. Am kommenden Samstag gibt sie in Pohrsdorf ein
Jubiläumskonzert - dann ist auch Eckard Schleiermacher mit seinem
Baritonsaxofon dabei.
Jazzverband Sachsen würdigt Schleiermacher mit Ehrenpreis
Ein paar Tage zuvor wird er wieder einmal in eigener Sache geehrt. In
Plauen bekommt er den Jutta Hipp-Ehrenpreis des Jazzverbandes Sachsen
- benannt nach der aus Leipzig stammenden Jazzpianistin Jutta Hipp.
Damit soll nicht nur das musikalische Engagement Schleiermachers
gewürdigt werden. Denn mit seinem Wirken bringt er Menschen zusammen
und sorgt so für den dringend benötigten Kitt in der Gesellschaft.
«Der Saxstall in Pohrsdorf ist ein Paradebeispiel dafür, wie
ehrenamtliches Engagement kulturelles Leben im ländlichen Raum
nachhaltig prägen kann. Der Saxstall inspiriert und zeigt, was
möglich ist, wenn Menschen sich mit Herz und Überzeugung für die
Kultur einsetzen», sagt Sebastian Haas, Vorsitzender des
Jazzverbandes.
Schleiermacher weiß, dass Jazz wohl immer eine Nische bleiben wird.
Nur etwa zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung höre diese Musik
regelmäßig, weiß der Enthusiast. Dennoch will er mit seinem Tun und
Treiben helfen, den Virus namens Jazz weiterzuverbreiten.
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