Was die wachsende Bildschirmzeit mit Kindern macht Jan Christoph Freybott, dpa
Achtjährige, die stundenlang am Bildschirm kleben - vor einigen
Jahren noch undenkbar, inzwischen beim Nachwuchs aber Realität. Was
sind die Folgen?
Paris (dpa) - Kinder und Jugendliche verbringen immer früher immer
mehr Zeit am Bildschirm - sei es für Tiktok, Online-Spiele oder zum
Lernen. Deutsche Jugendliche stechen mit besonders intensiver Nutzung
hervor. Depressionen, ein ungesundes Körperbild oder Einsamkeit
können die Folgen sein, warnt eine neue Studie der OECD - auch wenn
die Forschungslage nicht immer klar ist.
Was die Bildschirmzeit für die Gesundheit bedeutet und wer besonders
betroffen ist - die Ergebnisse im Überblick.
Rasant steigende Bildschirmzeit
Kinder machen sich schon in sehr jungen Jahren mit Bildschirmen
vertraut, und ihre Bildschirmzeit steigt dann rasant, wie die
Autorinnen und Autoren der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schreiben. Demnach verbringen
Sieben- bis Zwölfjährige in Frankreich bereits mehr als zwei Stunden
täglich am Bildschirm. 15-Jährige in Deutschland kommen bereits auf
48 Stunden wöchentlich, also fast sieben Stunden am Tag.
Überhaupt belegen deutsche Jugendliche bei der Nutzung einen
Spitzenwert. Fast drei Viertel der 15-Jährigen verbringen pro
Schultag mehr als zwei Stunden zu Vergnügungszwecken am Bildschirm.
Lediglich in 4 der 36 untersuchten Nationen lagen die Werte noch
höher, darunter Polen und Estland.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt Teenagern
in dem Alter, nicht mehr als zwei Stunden mit digitalen Medien zu
verbringen. «Je weniger Bildschirmzeit, desto besser.»
Einen regelrechten Boost erlebte die Nutzung digitaler Medien zu
Zeiten der Pandemie. Fußballtraining, Tanzkurse und andere
Aktivitäten blieben aus - in der Folge fand deutlich mehr am
Bildschirm statt. In den Jahren danach fiel die Mediennutzung sogar
teilweise, wie die Digitalstudie der Postbank zeigte. Der
langfristige Trend scheint aber weiter intakt.
Schlechter Schlaf führt zu Teufelskreis
Viele Fragen zu den gesundheitlichen Folgen sind noch nicht
hinreichend erforscht. Erwiesen scheint hingegen, dass hoher
Medienkonsum gerade am Abend die Schlafqualität beeinträchtigt. «Hier
entsteht ein Teufelskreis, da ein schlechterer Schlaf bei jungen
Menschen zu erhöhter Müdigkeit führt, weshalb sie am nächsten Tag
passive Aktivitäten wie Fernsehen bevorzugen», heißt es in der
Studie. Besonders ungünstig sei es, wenn Kinder und Jugendliche das
Smartphone, den Computer oder den Fernseher direkt im Zimmer hätten.
Laut OECD hat sich die mentale Gesundheit junger Menschen in den
vergangenen 15 Jahren dramatisch verschlechtert. Ein Trend, der durch
die Pandemie noch verstärkt wurde. In diese Zeit fällt auch ein
enormer Anstieg der Mediennutzung. Die Forschung habe bisher aber
meist keine klare Kausalität zwischen den Entwicklungen nachweisen
können. Sicher sei, dass negative Effekte auftreten können, etwa
durch exzessive Nutzung oder Cybermobbing oder den Kontakt mit für
Kindern ungeeigneten Inhalten.
«Studien deuten darauf hin, dass problematischer Konsum das Risiko
für Depressionen, Angstzustände, Einsamkeit, schulische
Schwierigkeiten, Probleme mit dem eigenen Körperbild und
Schlafstörungen erhöht, wobei Mädchen häufig stärker betroffen si
nd»,
heißt es.
Experte warnt vor Folgen fürs Gehirn
Wer zu viel Zeit an Handy, Computer oder Fernseher verbringe, könne
erheblich in seiner Entwicklung gestört werden, warnt Joachim Türk,
Vizepräsident des Kinderschutzbundes. Kleinkinder bräuchten
Anregungen wie Haptik, Geruch und Geschmack, um die Welt im wahrsten
Sinne des Wortes zu begreifen. «Das kann kein noch so smarter
Bildschirm leisten.» Für das Gehirn von älteren Kindern und
Jugendlichen bestehe die Gefahr, dass sie im Strudel von Tiktoks und
Reels verlernten, sich länger auf eine Sache zu konzentrieren.
In Deutschland haben bereits mehr als die Hälfte der Zehnjährigen ein
eigenes Smartphone, je nach sozialer Schicht sind es deutlich mehr.
Im Alter von 15 Jahren haben fast alle ein eigenes Gerät.
Bildschirmzeit ist nicht gleich Bildschirmzeit
Wichtig ist den Autoren, zu differenzieren: Viele Anwendungen wie
E-Books können Kinder und Jugendliche beim Lernen unterstützen. Vor
allem Mädchen und sozial bessergestellte Jugendliche machen davon
Gebrauch.
Einfach abschalten sei deshalb keine Option, sagt Kai Hanke,
Geschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerks. «Die Studienlage
zeigt sehr klar auf, dass die digitale Welt enorme Potenziale für
Kinder mit sich bringt.» Mediennutzung stelle einen wichtigen Zugang
zu gesellschaftlicher Teilhabe dar und könne nicht einfach verwehrt
werden, sagt er. Eltern, Schulen, Medien und der Gesetzgeber müssten
die Rahmenbedingungen schaffen, damit Kinder diese Potenziale auch
nutzen können.
Auf gute Rahmenbedingungen setzt auch Berthold Koletzko, Kinder- und
Jugendarzt und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. Die Frage,
ob digitale Medien eher Chancen oder Risiken darstellten, sei nicht
entscheidend. «Es braucht verbindliche Standards für sichere digitale
Inhalte, klare Werbebeschränkungen und mehr Aufklärung über Risiken.
»
Bildungseinrichtungen sollten Medienkompetenz vermitteln und zugleich
Räume für analoge - also Handy- und Tablet-freie - Erlebnisse
schaffen.
Viele wollen Gewohnheiten ändern
Für die Überblicksstudie haben die Autorinnen und Autoren der OECD
mehrere Erhebungen ausgewertet, darunter die aktuelle Pisa-Studie aus
dem Jahr 2022. Untersucht wurden die 38 Nationen der Organisation, zu
denen neben weiten Teilen Europas auch etwa Japan und Israel zählen.
In Deutschland nehmen sich indes immer mehr Menschen vor, weniger
Zeit am Handy zu verbringen. Das geht aus einer Umfrage der DAK zu
Vorsätzen für dieses Jahr hervor. Jeder Dritte wünschte sich demnach
mehr Zeit offline - bei den Jüngeren war dieser Wunsch besonders
ausgeprägt.
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