Weite Wege bis zur Geburt Von Lea Albert und Birgitta von Gyldenfeldt
Ihre Babys müssen Sylterinnen schon lange auf dem Festland zur Welt
bringen. Aber nicht nur von den Inseln in Schleswig-Holstein sind die
Wege in den Kreißsaal oft lang - und teilweise gefährlich.
Westerland/Flensburg (dpa/lno) - Sylt, Oldenburg, Föhr, Eckernförde
und Henstedt-Ulzburg - an all diesen und weiteren Orten sind in den
vergangenen Jahren Geburtsstationen geschlossen worden. Mittlerweile
gibt es in Schleswig-Holstein nach Angaben des
Gesundheitsministeriums noch 15 Entbindungskliniken. 2022 waren es
noch 18. Insgesamt hat sich die Zahl der Orte, in denen es klinische
Geburtshilfe gibt, seit 2000 halbiert.
Gefährlich für Schwangere auf Inseln
Besonders für schwangere Frauen auf den nordfriesischen Inseln sind
die Wege zur nächsten Klinik weit und können für Mutter und Kind
lebensgefährlich werden. «Die Frauen sind nicht gut versorgt, die
laufen sprichwörtlich alle ins offene Messer», sagt Anke Bertram. Die
Sylterin hat bis vor zwei Jahren selbst als Hebamme auf der Insel
gearbeitet und widmet sich jetzt voll ihren Aufgaben als Vorsitzende
des Hebammenverbandes Schleswig-Holstein.
Die Geburtenstation auf der größten deutschen Nordseeinsel Sylt wurde
vor mehr als elf Jahren geschlossen. Schwangere Sylterinnen müssen
ihr Kind auf dem Festland zur Welt bringen. Die nächsten
Geburtskliniken sind Flensburg, Husum und Heide.
Keine gynäkologische Bereitschaft auf Sylt
Noch prekärer wurde die Lage vor rund einem Jahr: Seit dem 1. Juli
2024 gibt es auf der Insel keine gynäkologische Bereitschaft mehr.
Zwei niedergelassene Gynäkologen hatten bis dahin als
Bereitschaftsärzte in Notfällen und am Wochenende Frauen in
Belegbetten in der Nordseeklinik in Westerland behandelt. Als einer
von ihnen in Rente ging, konnte sein Kollege die Bereitschaft allein
nicht aufrechterhalten.
Einen Nachfolger gibt es bisher nicht. Dies sei keine Entscheidung
der Klinik, sondern der beiden niedergelassenen Ärzte gewesen, teilte
eine Asklepios-Sprecherin damals mit.
Finanzierung stellt Kliniken vor Herausforderungen
Der Erhalt von Geburtskliniken bedürfe einer hohen personellen
Ausstattung, auch vor dem Hintergrund von bundesweiten
Qualitätsanforderungen, sagte ein Sprecher des
Gesundheitsministeriums. Zudem stelle die Finanzierung der
Geburtshilfe Krankenhäuser vor Herausforderungen.
Trotz bestehender Fördergelder für Geburtshilfen zählten der
wirtschaftliche Druck, eine in den vergangenen Jahren gesunkene
Geburtenrate sowie die Verfügbarkeit von ausreichend Fachpersonal zu
den Ursachen für Schließungen.
Geburten im Rettungswagen
Eine Hebamme im Diako-Krankenhaus in Flensburg erzählt, was die
weiten Wege in den Kreißsaal für die Frauen bedeuten können. «Das
Problem ist der Transport, Geburten sind bei Hubschrauber-Flügen
nicht priorisiert, die Frauen müssen oft lange warten, das ist
fatal.» Oft kämen auch Urlauberinnen von den Inseln: Reizklima und
lange Autofahrten in den Urlaub können Blasensprünge, vorzeitige
Wehen oder Blutungen auslösen. Einige brächten ihre Kinder dann im
Rettungswagen zur Welt.
Auch im Seenotrettungskreuzer war auf dem Weg von Sylt auf das
Festland schon ein Kind auf die Welt gekommen. «Es gibt immer wieder
Zwischenfälle, nicht nur im Rettungswagen, aber die Zahl dieser
riskanten Geburten mit teils fatalen Folgen wird nicht erfasst», sagt
auch Bertram.
Hebamme: Frauen werden im Stich gelassen
Kritisch werde es auf Sylt bei unvorhersehbaren Notfällen: Extreme
Frühgeburten, Plazentaablösungen und Blutungen. Bis vor einem Jahr
schätzten die Bereitschafts-Gynäkologen ein, ob eine Schwangere mit
Komplikationen auf der Insel bleiben kann, oder mit dem Hubschrauber
oder in einem Rettungswagen in eine Klinik auf dem Festland gebracht
werden muss. «In der jetzigen Situation werden die Frauen komplett im
Stich gelassen, es ist nicht mal im Notfall ein Kaiserschnitt möglich
- die Versorgung besteht darin, sie auszufliegen», sagt Bertram.
«Eigentlich müssten schon am Autozug große Schilder mit einer
Reisewarnung für Schwangere stehen», sagt Bertram. Die Gemeinde Sylt
wies Anfang des Jahres darauf hin, «dass die Versorgung bei
Komplikationen im Kontext von Geburten oder bei schwangeren Frauen
auf der Insel (...) nicht gewährleistet werden kann».
Hebammen-Notruf soll in schwierigen Situationen helfen
Nach der Schließung der Kreißsäle auf den Inseln wurden
Boardingangebote in Krankenhäusern mit geburtshilflichen Abteilungen
auf dem Festland geschaffen, wie das Ministerium mitteilte. Zudem
wurden die Kreißsaalkapazitäten etwa in Flensburg, Husum und Kiel
erweitert.
Das Diako-Krankenhaus empfiehlt Schwangeren, möglichst eine Woche vor
dem errechneten Geburtstermin in die Klinik zu kommen. Partner und
Geschwisterkinder könnten mitkommen. Im betriebseigenen Kindergarten
können die Kinder während der Zeit betreut werden.
Für Notfälle wurde auf Sylt ein Hebammen-Notruf eingerichtet, der
rund um die Uhr erreichbar ist. Vier Frauen teilen sich nach Angaben
des Kreises Nordfriesland aktuell diese Rufbereitschaft. Auf Sylt
lebt nur eine der Hebammen, die anderen leben in Hannover, Düsseldorf
und Haltern. Sie kommen wochenweise für die Rufbereitschaft nach
Sylt.
«Die auswärtigen Hebammen verfügen aufgrund ihrer originären
Tätigkeit in Level-1-Kliniken über sehr gute Erfahrungen, die sie in
ihre Tätigkeit auf Sylt einbringen können», sagte ein Kreissprecher.
Bertram: Es sollen Inselkinder geboren werden
Der Hebammen-Notruf gehe laut Bertram in die richtige Richtung.
Geplante Entbindungen gehören aber nicht zu den Aufgaben - in
Notfällen begleiten sie allerdings Hausgeburten. Die Sylter Hebammen
fordern aber wieder mehr Geburten auf den Inseln und ein Modell,
welches das ermöglicht.
«Wir benötigen ein Umdenken in der Geburtshilfe», sagt Bertram. Eine
schwangere Frau sei nicht krank. «Die Lösung darf nicht sein aufgrund
struktureller Probleme alle Frauen auszufliegen oder ins Boarding zu
schicken, man muss eine alternative Versorgung vor Ort
gewährleisten.»
Zahl der Geburtshäuser steigt auf niedrigem Niveau
Eine Alternative zu Klinik oder Hausgeburt ist die Entbindung in
einem von Hebammen geführtem Geburtshaus. Ihr sei es wichtig, dass
die Frauen wirklich frei wählen können, wo sie gebären, sagt Hebamme
Lena Gieseke, die vor wenigen Wochen in Twedt bei Kappeln das
Geburtshaus Nordlicht eröffnet hat. Bis zur Schließung der
Geburtsstation in Eckernförde Ende 2021 war sie dort Beleghebamme.
Alle seien damals geschockt gewesen, sagt Gieseke. Ein wichtiger
Baustein der Geburtshilfe in der Region sei weggefallen.
Viele wünschen sich laut Gieseke eine Alternative. Sie wolle
klinische und außerklinische Geburtshilfe nicht gegeneinander
ausspielen. Die Kolleginnen an den Kliniken leisteten tolle Arbeit.
«Mir ist die Wahlmöglichkeit wichtig.»
Mittlerweile gibt es vier Geburtshäuser in Schleswig-Holstein. Neben
den schon länger existierenden in Lübeck, Bad Oldesloe (Kreis
Stormarn) kamen dieses das in Twedt und eines in Flensburg dazu. «Wir
haben die Anzahl damit verdoppelt, das ist super», sagte Bertram.
Dies zeige, wie groß der Bedarf bei den Frauen sei.
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