Der Alte 2.0: Merz, die Kanzlerschaft und seine Lebensjahre Von Christoph Driessen und Jonas-Erik Schmidt, dpa
Friedrich Merz wäre bei Amtsantritt der älteste Regierungschef seit
Adenauer. Ist das eher gut oder eher schlecht für ihn? Ein Blick
darauf, was Alter im Amt bedeutet - oder auch nicht.
Berlin (dpa) - Als Friedrich Merz im Januar den Wahlkampf begann,
führte ihn sein erster Weg nach Rhöndorf - zum mythenumwobenen
Wohnort von Konrad Adenauer. Erster Bundeskanzler, CDU-Ikone,
ehrfürchtig «Der Alte» genannt. Merz schritt die Gedenkstätte ab,
hielt eine weit ausholende Rede - und jedem Beobachter war klar: Hier
soll ein historischer Bogen geschlagen werden. Vom «Alten aus
Rhöndorf» zu... ja, wem eigentlich?
Sollte Friedrich Merz tatsächlich wie geplant am 6. Mai zum
Bundeskanzler gewählt werden, wäre er beim Amtsantritt 69 Jahre alt -
und damit der zweitälteste Kanzler seit Adenauer. Was bedeutet das
für ihn? Und für Deutschland?
Merz und das Alter
Feststellen lässt sich, dass dem wohl baldigen Bundeskanzler klar
ist, dass er nicht mehr als Nachwuchskraft durchgeht. Im Mai 2024
erschien eine Folge des Podcasts «Hotel Matze», Merz war zu Gast.
Gastgeber Matze Hielscher gilt als jemand, bei dem auch Politiker mal
ihre weiche Seite präsentieren dürfen. Er fragte Merz also, wo er bei
sich selbst «das größte Fragezeichen» sehe. Und Merz kam -
überraschend - auf sein Alter zu sprechen.
«Ich bin nicht mehr 40, auch nicht mehr 50», sagte Merz. Da stelle er
sich natürlich schon die Frage, ob er den Ansprüchen seiner Ämter -
damals Partei- und Fraktionsvorsitz - gewachsen sei. Es war eine
Zeit, als Alter plötzlich wieder eine politische Kategorie wurde.
Wenige Wochen später verzichtete ein merklich ins hohe Alter
gekommener Joe Biden in den USA auf eine erneute
Präsidentschaftskandidatur. Natürlich versäumte Merz es nicht,
unmittelbar nach seinem Bekenntnis klarzustellen, dass er sich als
«uneingeschränkt leistungsfähig» betrachte.
Andere in seinem Alter würden das nicht mehr so ohne weiteres von
sich behaupten. So sagte Entertainer Harald Schmidt neulich in einem
Podcast, er könne sich vorstellen, dass Merz den Job doch recht tough
finden werde. «Ich penne gern mal mittags, auch schon mal morgens um
11. Wenn ich mir jetzt vorstelle, ich müsste mich einarbeiten...» Er
stelle sich das Ganze «nicht unanstrengend» vor. Und ja, wo Schmidt
recht hat, hat er recht: Es gibt wohl kaum ein Amt mit höherem
Verschleißfaktor als das des Bundeskanzlers.
Das lehrt uns die Geschichte
Im ARD-Sommerinterview sagte Merz im vergangenen Jahr, wenn er sich
als Kanzlerkandidat zur Verfügung stellen sollte, dann müsse er «das
gute Gewissen dabei haben, dass ich das physisch und auch geistig
kann und durchhalte, und das sollte dann auch nicht nur für kurze
Zeit sein». Auf Nachfrage konkretisierte er, dass er dann für einen
«Zeitraum von sechs bis zehn Jahren» als Kanzler zur Verfügung stehen
wolle.
Das erinnert nun in der Tat an Konrad Adenauer, der sich 1949 als
73-Jähriger mit starken Vorbehalten in seiner eigenen Partei
konfrontiert sah. War der Ex-OB von Köln für eine Kanzlerschaft nicht
schon viel zu alt? Diese Frage stellten gerade jene Parteifreunde,
die selbst gern an die Spitze der Regierung aufgestiegen wären. Der
als «Fuchs» bekannte Adenauer erklärte daraufhin, er habe mit seinem
Arzt darüber gesprochen: «Er meint, für zwei, drei Jahre könnte ich
das Amt wohl führen.» Es wurden dann 14.
Adenauer war auch im hohen Alter noch agil, wie sein Enkel gleichen
Namens bestätigt. «Der war noch sehr gut dabei», erzählt Konrad
Adenauer (80) der Deutschen Presse-Agentur. «Er war aber auch in
allem sehr diszipliniert, hat mäßig gelebt und auch mal einen Urlaub
eingelegt.»
Besonders jugendlich wirkte wohl Willy Brandt, der «deutsche
Kennedy», der im Garten mit Sohn Matthias und Hund Bastian für
Fotografen posierte oder im Urlaub auf der Hollywood-Schaukel.
Tatsächlich aber war er nicht der jüngste: Das war Angela Merkel, die
zu Beginn ihres Kanzler-Marathons erst 51 Jahre alt war. Dahinter
kommt Helmut Kohl mit 52 Jahren.
Das sagt der Psychologe
Von der genetischen Ausstattung her dürfte Friedrich Merz auf
Langlebigkeit programmiert sein: Sein Vater ist über 100, seine
Mutter fast 100 Jahre alt. Davon abgesehen hat Alter auch etwas mit
der persönlichen Einstellung zu tun. «Es gibt Untergruppen, in denen
die körperlichen und kognitiven Funktionen noch erstaunlich lange
erhalten bleiben», sagt der Psychologe Winfried Rief (65) von der Uni
Marburg. «Ich habe einen Freund, der ist 80 Jahre alt und der macht
mit mir noch Tiefschnee-Abfahrten.» Gleichzeitig gelte aber auch:
«Das Risiko für einen kognitiven Abbau ist bei jemandem mit 69 höher
als bei jemandem mit 40. Da kann man nicht drum herumreden.»
Tendenziell sei man auch nicht mehr so schnell, auch mental. Man sei
tendenziell von Komplexität schneller überfordert, so Rief. Auf der
anderen Seite gebe es aber auch positive Effekte: «Es gibt Erfahrung.
Das ist die sogenannte Altersweisheit, die eine Offenheit und einen
positiven Umgang mit anderen Ideen bedeuten kann.»
Psychologisch müsse man auch schauen, wie sich jemand über die Jahre
entwickelt habe. «Bin ich flexibel geblieben oder sehr determiniert
geworden?» - das sei die Frage. «In den USA sehen wir gerade beim
Präsidenten etwas sehr Determiniertes: wenig Toleranz und wenig
Akzeptanz für einen anderen Weg. Da würde man sagen, dass das keine
guten Voraussetzungen für eine Leitungsfunktion sind.»
Wie es sich bei Merz verhält - das wird man erst im Amt erfahren.
Was bedeutet es politisch?
Eines dürfte feststehen: Friedrich Merz wird angesichts seines schon
relativ fortgeschrittenen Alters kein Langzeitkanzler à la Konrad
Adenauer (14 Jahre), Helmut Kohl oder Angela Merkel (beide 16 Jahre)
werden. «Aber diese langen Amtsperioden sind aufgrund der
Veränderungen unseres Parteiensystems sowieso kaum noch zu erwarten»,
analysiert der Politikwissenschaftler Jürgen Falter, selbst 81 Jahre
alt. Das System ist nach seiner Auffassung deutlich instabiler
geworden, weil es zum einen mehr Parteien im Bundestag gibt und diese
Parteien zudem in ihren Positionen viel weiter auseinanderliegen als
das etwa noch vor 15 Jahren der Fall war.
Stefan Marschall, Politologie-Professor in Düsseldorf, sieht es
ähnlich. Für den Wähler zähle die nächste Legislaturperiode. Und
innerhalb der Partei sei es sogar eher von Vorteil, wenn man wisse,
dass die Spitzenposition nicht auf unabsehbare Zeit besetzt sei.
Sollten bei einem Kanzler Merz allerdings etwa infolge einer
Pannenserie Zweifel an seiner Amtseignung aufkommen, dann würde dies
sicher schnell mit seinem Alter in Verbindung gebracht werden.
«Aber davon abgesehen sehe ich sein Alter nicht als Problem», so
Marschall - zumal 40 Prozent der Wahlberechtigten heute selbst über
60 seien. «Wir haben insgesamt eine älter werdende Gesellschaft, und
dazu passt dann unter Umständen auch ein älterer Kanzler.» Dass Merz
von Vielen auch in Auftreten und Habitus als Mann der 90er Jahre
wahrgenommen werde («Rambo-Zambo»), müsse kein Nachteil sein. «Die
deutsche politische Kultur schätzt allgemein keine schillernden
Figuren, sondern eher Glaubwürdigkeit und Authentizität. Gut möglich
auch, dass man gerade in Krisenzeiten auch auf Lebenserfahrung setzt
- da läge man mit Merz dann nicht falsch.»
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