WHO-Pandemievertrag soll künftiges Chaos verhindern Von Christiane Oelrich, dpa
Chaotische Zustände wie bei der Corona-Pandemie sollen sich nicht
wiederholen. Mehr als 190 Länder sind nun umfangreiche
Verpflichtungen eingegangen. Aber einige Details sind noch offen.
Genf (dpa) - Nie wieder soll die Welt bei einer großen
Gesundheitsnotlage wie der Corona-Pandemie in ähnliche Panik
verfallen. Deshalb haben sich die Mitgliedsländer der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf einen Pandemievertrag geeinigt.
Er soll chaotische Zustände bei der Beschaffung von Schutzmaterial
und die ungerechte Verteilung der Impfstoffe verhindern. Der Vertrag
soll im Mai bei der WHO-Jahrestagung verabschiedet werden und tritt
erst in Kraft, wenn 60 Länder ihn ratifiziert haben. Weil in
Unterpunkten noch verhandelt werden müsste, dürfte das noch
mindestens zwei Jahre dauern.
Prävention gestärkt
Ebenso wie WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus sprach der amtierende
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) von einer
historischen Einigung. Der Vertrag regelt den schnellen Austausch von
DNA-Sequenzen neuer Erreger. Damit steige die «Wahrscheinlichkeit,
dass ein lokaler Ausbruch nie zu einer Pandemie wird», sagte
Lauterbach.
Die EU sieht die «Kapazitäten für die Pandemieprävention, -vorsorge
und -reaktion sowie zur Entwicklung neuer medizinischer
Gegenmaßnahmen gestärkt», wie der EU-Kommissar für Gesundheit, Oliv
ér
Várhelyi, mitteilte. «Die Weltgemeinschaft setzt damit auch ein
wichtiges Zeichen für Solidarität und Multilateralismus - und gegen
den Trend zu Alleingang, Egoismus und Rückzug ins Schneckenhaus», so
die amtierende Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD).
Den Europäern war Prävention ein besonderes Anliegen, damit sich
tödliche Erreger möglichst gar nicht ausbreiten können. Eine neue
Pandemie sei nur eine Frage der Zeit, warnt die WHO. Die Gefahr
wächst, weil Menschen sich in Gebieten ausbreiten, die der Tierwelt
vorbehalten waren und durch den Kontakt Erreger von Tieren sich an
Menschen gewöhnen können. Auch der Klimawandel mit Hitze und
Überschwemmungen begünstigt die Ausbreitung von Insekten und
Erregern.
Warum ein Vertrag nötig ist
Bei Corona hat jedes Land panikartig reagiert und zunächst ohne
Rücksicht auf andere seine Interessen durchgesetzt. Regierungen haben
sich gegenseitig Schutzmaterial streitig gemacht und als der
Impfstoff da war, haben viele Länder ihn gehortet. Den Kürzeren zogen
immer die schwächsten Länder. Während in Europa teils schon die
dritte Impfung verabreicht wurde, warteten in anderen Ländern
Menschen noch auf den ersten Impfstoff.
Was die Corona-Pandemie angerichtet hat
Das bis dahin unbekannte Virus Sars-CoV-2 breitete sich ab Ende 2019
von China innerhalb von Wochen weltweit aus. Direkt auf eine
Infektion werden weltweit mindestens sieben Millionen Todesfälle
zurückgeführt. Zusammen mit indirekten Folgen dürften es nach
Schätzungen gut 36 Millionen Tote gewesen sein: Menschen, die wegen
der Pandemie keinen Arzt aufsuchen konnten oder deren Behandlung im
Krankenhaus verschoben wurde etwa. Weltweit brach die Wirtschaft ein,
Millionen Kleinunternehmer gingen Konkurs.
Was mit dem Vertrag anders wird
Prävention: Länder verpflichten sich, ihre Gesundheitssysteme und die
Überwachung des Tierreichs so zu stärken, dass Krankheitsausbrüche
schnell entdeckt und möglichst im Keim erstickt werden.
Lieferketten: Alle Länder sollen Zugriff auf Schutzmaterial,
Medikamente und Impfstoff haben. Gesundheitspersonal soll zuerst
versorgt werden.
Technologietransfer: Pharmafirmen sollen ihr Know-how teilen, damit
auch in anderen Ländern Medikamente und Impfstoffe produziert werden
können.
Forschung und Entwicklung: DNA-Sequenzen von Pathogenen sollen für
die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen frei zur Verfügung
gestellt werden. Im Gegenzug sollen Pharmaunternehmen der WHO zehn
Prozent ihrer Produktion zur Verteilung in ärmeren Ländern spenden
und weitere zehn Prozent zu günstigen Preisen abgeben (Pabs-System).
Die Modalitäten müssen noch ausgehandelt werden. Das soll in einen
Anhang zum Vertrag.
Welche Kompromisse nötig waren
Dies ist aus Verhandlungskreisen zu hören: Die afrikanischen Länder
hätten gerne strengere Auflagen im Pabs-System durchgesetzt, ebenso
bessere Zusagen für den Technologietransfer und klarere Zusagen für
Finanzierungshilfen zur Stärkung der Gesundheitssysteme. Europäische
Verhandler hätten gerne stärkere Auflagen bei der Prävention gehabt.
Die Verschwörungstheorien
Gegen die WHO und den Vertrag laufen seit langem Kampagnen, vor allem
in sozialen Netzwerken. Kolportiert wird, die WHO könne bei der
nächsten Pandemie Zwangsmaßnahmen anordnen. Auch die sehr
konservative Schweizer Wochenzeitung «Weltwoche» haut in die Kerbe:
«Die WHO würde mit dem neuen Vertragswerk faktisch zur mächtigsten
Behörde der Welt, zu einer Behörde, die über den Ausnahmezustand
entscheidet», schreibt sie.
Das ist nicht der Fall. In Artikel 24 steht ausdrücklich, dass die
WHO oder ihr Generaldirektor keine innerstaatlichen
Rechtsvorschriften oder Maßnahmen anordnen können. Sie kann keine
Reisebeschränkungen verhängen, Impfungen erzwingen oder Lockdowns
anordnen, steht explizit im Text. Der Vertrag gilt nur in Ländern,
die ihn ratifizieren. Es sind keine Strafmaßnahmen vorgesehen, wenn
ein Land seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.
Wie die Pharmaindustrie reagiert
Sie pocht darauf, dass der Patentschutz nicht gelockert wird. Sonst
lohnten sich risikoreiche Investitionen in die Forschung nicht mehr,
sagt der Generaldirektor des Verbands der Pharmahersteller, IFPMA,
David Reddy. Die Beteiligung von Firmen an jeglichen Abmachungen
müssten freiwillig sein.
Die Rolle der USA
Die USA sind außen vor. Mit dem Amtsantritt von Donald Trump haben
sie sich an den Verhandlungen nicht mehr beteiligt. Trump hat ohnehin
den Austritt aus der WHO verkündet, der im Januar 2026 wirksam wird.
Auch Argentinien hat den Austritt erklärt und im
Verhandlungsausschuss zu Protokoll gegeben, dass es sich dem Konsens
über den Text nicht anschließt. Noch hat die WHO 194 Mitgliedsländer.
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