Weniger Versuchstiere, doch immer noch Experimente mit Affen Von Christina Sticht, dpa

In der medizinischen Grundlagenforschung gelten Tierversuche als
unverzichtbar. Neue Wirkstoffe für Medikamente werden meist an Mäusen
getestet. Aber warum gibt es Versuchsreihen mit Primaten?

Hannover (dpa/lni) - Es ist eine ethische Frage: Dürfen gesunde Affen
operiert werden, um ihnen Elektroden in den Kopf einzusetzen für die
wissenschaftliche Forschung? Für Tierversuche gibt es strenge
gesetzliche Regelungen. Zur Entwicklung von Kosmetika oder
Hygieneprodukte sind Tierversuche inzwischen in Deutschland komplett
verboten. Während das Deutsche Primatenzentrum Göttingen die
Unverzichtbarkeit von Affenversuchen für die Hirnforschung betont,
halten viele Tierschützer sie für überflüssig.

Insgesamt ist die Zahl der in Niedersachsen genehmigten Tierversuche
im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen. Wie das Landesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) auf dpa-Anfrage
mitteilte, erhielten 211 von 238 Anträgen eine Genehmigung. Im Jahr
2023 waren noch 252 Versuchsanträge gestellt und 229 genehmigt
worden. 

Nach Angaben einer Laves-Sprecherin werden manche Anträge nur in
Teilen genehmigt oder aber an strenge Auflagen geknüpft. 2024 seien
zudem 150 Tierversuche beziehungsweise Haltungen von Versuchstieren
kontrolliert worden. Bei Beanstandungen gebe es Nachkontrollen oder
es würden verwaltungsrechtliche Schritte eingeleitet.

Tests von neuen Wirkstoffen für Medikamente

Tierversuche stehen in der Kritik, weil sie häufig zu Leid oder zum
Tod von Tieren wie beispielsweise Mäusen, Ratten, Kaninchen oder
Fischen führen. Aus Sicht der Medizin sind sie unverzichtbar in der
Grundlagenforschung. Getestet werden unter anderem neue Wirkstoffe
für Medikamente sowie die Giftigkeit von Chemikalien. 

Mittlerweile wurden Alternativen entwickelt. Das niedersächsische
Wissenschaftsministerium fördert einen Forschungsverbund, der es sich
zum Ziel gesetzt hat, Tierversuche zu ersetzen beziehungsweise zu
reduzieren sowie die Belastung der eingesetzten Tiere zu minimieren.

Der Verein Ärzte gegen Tierversuche hält die Zahl der Tierversuche
trotz des Rückgangs der Genehmigungen für viel zu hoch. Die
Organisation kritisiert unter anderem Hirnversuche an Affen, wie sie
an der Universität Bremen und am Deutschen Primatenzentrum Göttingen
betrieben werden. 

Kritiker: Hirnversuche an Affen «grausam und irrelevant»

«Solche Versuche sind nicht nur grausam für die Tiere, sondern auch
völlig irrelevant für Menschen», sagt Gaby Neumann, Sprecherin von
Ärzte gegen Tierversuche. Viel aussagekräftiger seien Technologien,
die auf menschlichen Daten oder Zellen basierten, zum Beispiel
Computermodelle oder Multi-Organ-Chips. Zudem könnten bei Studien mit
gesunden Menschen und Patienten auch elektrophysiologische oder
bildgebende Verfahren genutzt werden. 

Am Deutschen Primatenzentrum komme ein «breiter Methodenmix aus
tierversuchsfreien Methoden und Tierversuchen» zum Einsatz, sagt
Sprecherin Susanne Diederich. Für den wissenschaftlichen und
medizinischen Fortschritt seien Tierversuche mit Primaten
unerlässlich. 

Primatenzentrum: Versuche mit «geringstmöglicher Belastung»

Der Sprecherin zufolge ist neurowissenschaftliche Forschung ein
Schwerpunkt des Zentrums. Die Forscher beschäftigen sich mit
neurologischen und neuropsychiatrischen Krankheiten und Therapien.
Sie entwickeln etwa Neuroprothesen für Patienten mit sensorischen
oder motorischen Ausfällen. Teils seien Operationen erforderlich,
jedoch würden die Tierversuche mit der «geringstmöglichen Belastung
»
durchgeführt. 

Bei den Affenversuchen an der Universität Bremen geht es ebenfalls um
Hirnforschung. Im Frühjahr 2024 entschied das Verwaltungsgericht
Bremen im Eilverfahren, dass diese Versuche vorläufig weiterlaufen
können, aber keine neuen Affen operiert werden dürfen, um Elektroden
einzusetzen. Das Gesundheitsressort hatte dem Kognitionsforscher der
Uni zuvor keine neue Genehmigung erteilt, dagegen ging er juristisch
vor. 

«Aufgrund des laufenden Verfahrens können wir dazu keine
Informationen geben», sagte eine Sprecherin der Gesundheitssenatorin.
Laut Verwaltungsgericht Bremen hat die Freie Hansestadt Bremen bisher
keine Beschwerde gegen die Entscheidung im Eilverfahren erhoben.

Laut Urteil des Verwaltungsgerichts setzt der Wissenschaftler seit
1997 Affen für Versuche ein. Makaken werden konditioniert, um
Aufgaben zu lösen. Der Kopf des Affen ist bei dem Versuch fixiert -
wenn er eine Aufgabe löst, erhält er Flüssigkeit und kann trinken.
Elektroden messen dabei seine Hirnaktivität. 

Fast drei Viertel aller Versuchstiere sind Mäuse

Insgesamt wurden in Bremen im vergangenen Jahr laut
Wissenschaftsressort drei neue Tierversuchsanträge genehmigt, 2023
waren es noch sechs Anträge. Drei Viertel der eingesetzten Tiere
seien 2023 Fische gewesen.

Bundesweite Zahlen für 2024 liegen bisher nicht vor. 2023 wurden laut
Bundesinstitut für Risikobewertung rund 1,46 Millionen Wirbeltiere
und Kopffüßer bei Tierversuchen eingesetzt - knapp 16 Prozent weniger
als im Vorjahr. Demnach waren 73 Prozent Mäuse, 11 Prozent Fische, 7
Prozent Ratten, 4,6 Prozent Kaninchen und 1,4 Prozent Vögel.

Die Organisation Ärzte gegen Tierversuche spricht von etwa 3,5
Millionen Versuchstieren im Jahr 2023. Zu den 1,46 Millionen Tiere
kommen demnach noch mehr als 670.000 Tiere, die zu wissenschaftlichen
Zwecken getötet wurden, um zum Beispiel an ihren Organen zu forschen.
Zudem gab es fast 1,3 Millionen Tiere, die für wissenschaftliche
Zwecke gezüchtet, aber nicht verwendet wurden. Diese würden ebenfalls
meist getötet, sagt Neumann.

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