Handarbeit heißt für Ärzte auch Arbeit an der Hand Von Robert Michael und Jörg Schurig , dpa

Wohl kein Körperteil ist jeden Tag so sehr beansprucht wie die Hand.
Wenn sie verletzt oder von einer Erkrankung betroffen ist, sind die
Einschränkungen oft gravierend.

Dresden (dpa/sn) - Der Countdown für die Operation läuft. Die
Patientin liegt auf dem OP-Tisch, Ärzte und Schwestern sind bereit.
Jetzt werden wie beim Start eines Düsen-Jets noch einmal alle
Parameter abgefragt. Der Anästhesist hat den linken Arm der 60 Jahre
alten Patientin in Tiefschlaf versetzt. Die Frau entschied sich für
ein Implantat des Daumensattelgelenks, um endlich von Schmerzen beim
Zugreifen erlöst zu werden. Fünf Jahre Leidensdruck sollen für die
Verkäuferin ein Ende haben.

Auch klassisches Handwerksgerät gehört zum OP-Saal 

Doktor Tim Fülling muss an diesem Tag die «feine Klinge» führen. Mi
t
einem etwa vier Zentimeter langen Schnitt legt er zunächst die Basis
des ersten Mittelhandknochens frei. Dann kommt eine winzige Säge zum
Einsatz, um einen Teil des Knochens zu entfernen. Zwischendurch wird
die offene Wunde mit Kochsalzlösung gespült, um Knochenmehl zu
entfernen. 

Auch klassisches «Handwerksgerät» wie Hammer und eine Art Meißel wi
rd
benötigt. Anstelle des entfernten Knochens soll ein dreiteiliges
Implantat aus Titan, Edelstahl und hochvernetzten Kunststoff fortan
für schmerzfreie Handarbeit sorgen.

Professor Adrian Dragu, Direktor für Plastische und Handchirurgie am
Universitätsklinikum in Dresden, beschreibt solche Operationen an
kleinen Gelenken als neuen Trend. Was Orthopäden und Unfallchirurgen
an Knie und Hüfte seit langem machten, werde nun häufiger auch «im
Kleinen» erledigt. Zudem hätten die Patienten die Wahl, könnten sich

im Fall eines Daumensattels ein künstliches Gelenk einsetzen oder im
klassischen Verfahren Knochen an der Stelle entnehmen lassen, um die
Quelle der Arthrose zu entfernen.

Präzision und Fingerspitzengefühl

Tim Fülling ist dabei, das Einsetzen des Implantates vorzubereiten.
Präzision und Fingerspitzengefühl sind besonders gefragt. Schließlich

soll das winzige «Ersatzteil» ein Leben lang in der Hand der
Patientin bleiben. Der Arzt, der sein Spezialwissen auf diesem Gebiet
bei einem OP-Kurs am Universitätsklinikum Heidelberg erwarb und in
Dresden weitergibt, setzt zuerst ein Probeimplantat für die genauen
Maße ein. Bei drei Einzelteilen ist später eine Fülle von
Kombinationen möglich, um etwas Passendes zu finden.

Da die Frau eine sehr zierliche Hand hat, muss der 39 Jahre alte
Oberarzt präzise wie ein Uhrmacher zu Werke gehen. Die
Herausforderung besteht darin, einen winzigen Schaft samt Kopf in die
künstliche Gelenkpfanne zu schlagen. Fülling testet die
Bewegungsfähigkeit mit kleinen Fingerübungen. Da noch zu viel
Spannung auf dem Daumen lastet, kürzt er den Schaft etwas ein. Danach
wird das Implantat endgültig eingesetzt. Anderthalb Stunden sind für
die OP eingeplant, das Team im OP-Saal hat den Zeitplan eingehalten.

Körpersprache ist ohne Hände nicht denkbar

Tim Fülling spricht mit Begeisterung von der Hand, weist ihr eine
kulturelle Dimension zu. Nicht nur, weil Ex-Bundeskanzlerin Angela
Merkel ihre Hände zu einer Raute formte und damit ein ikonisches Bild
schuf. «Körpersprache ist ohne Hände nicht denkbar, wir schauen viel

auf unsere Hände, geben uns zur Begrüßung die Hand.» Hände könn
ten
eine große Axt halten, aber auch zart über die Tasten eines Klaviers
gleiten. «Sie sind in der Lage, kleinste Bewegungen auszuführen, aber
auch einen Presslufthammer zu bedienen.» 

Der 1. März wird als «Tag der Hand» begangen

Die Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie hat den 1. März eines
jeden Jahres zum «Tag der Hand erkoren». Damit will sie das
Bewusstsein schärfen, wie wichtig die Hände für das Leben des
Menschen sind. Zum anderen soll über Erkrankungen und Verletzungen
sowie Möglichkeiten einer Therapie aufklärt werden. Auch jedes andere
Datum würde sich dafür eignen, denn kein Tag vergeht in Deutschlands
Kliniken, an dem Patienten nicht mit einer oft gravierenden
Handverletzung etwa durch eine Kreissäge erscheinen. 

Oft landen Notfälle auf dem OP-Tisch der Handchirurgen

Abgetrennte Hände oder Finger, durchtrennte Sehnen und Nerven,
Brüche, Verbrennungen oder Erfrierungen - die Ärzte haben Tag und
Nacht alle Hände voll zu tun. Etwa 60 Prozent aller Arbeitsunfälle
betreffen nach Angaben der beiden Ärzte die Hand. Im Haushalt ist das
nicht anders. In der Küche verursachen Messer Schnittverletzungen.
Für Ärzte ist die «Avocado-Hand» ein feststehender Begriff: Man
rutscht mit dem Messer am harten Kern der Frucht ab und schneidet
sich in die Hand. Zum Jahreswechsel sind Verletzungen durch Böller
ein Dauerbrenner. 

Frauen haben besonders oft Arthrose des Daumensattelgelenks 

Häufige Erkrankungen der Hand sind das Karpaltunnelsyndrom, der
sogenannte Schnappfinger oder die Daumensattelgelenks-Arthrose.
Letztere spielt vor allem bei Frauen im Alter ab 50 Jahren eine
Rolle. Die 54 Jahre alte Yelana Kondratawitschius aus Freiberg kann
ein Lied davon singen. Sie arbeitet als Qualitätskontrolleurin für
Autoteile, muss dabei jeden Tag gut 1.000 davon in die Hand nehmen.
2022 ließ sie sich die rechte Hand im klassischen Verfahren mit
Knochenentfernung operieren. 

Zwei Jahre später war die linke Hand fällig. Oberarzt Fülling
informierte sie in Dresden über die Möglichkeit des Implantats. «Nach

der ersten OP habe ich fast ein Jahr gebraucht, um die Hand wieder
richtig bewegen zu können. Jetzt hat das nur ein paar Wochen
gedauert.» Mit der Prothese habe sie außerdem mehr Feingefühl, könn
e
auch wieder den Faden ins Nadelöhr einführen. Fülling bestätigt das
.
Patienten mit defektem Daumensattelgelenk könnten meist den
sogenannten Pinzettengriff nicht mehr schmerzfrei ausführen. 

Bei Smartphone-Generation tauchen Krankheitsbilder häufiger auf

Fülling und sein Kollege Dragu werben dafür, der Hand mehr
Aufmerksamkeit zu schenken, sie im Alltag und auf Arbeit bei
bestimmten Tätigkeiten besser zu schützen. Auch junge Menschen haben
sie dabei im Blick. Studien hätten erwiesen, dass die Nutzung von
Smartphones oder Pads die Gelenke der Hand besonders beansprucht.
Krankheitsbilder der Hand nähmen tatsächlich zu und dies viel früher

im Leben als sonst. «Unser Ziel ist es, Lebensqualität zu erhalten»,

formuliert Fülling das handfeste Motto seiner Zunft.

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