Köpping: Corona-Aufarbeitung soll Versöhnung bringen Interview: Birgit Zimmermann, dpa

Im März 2020 wurde der erste Corona-Fall in Sachsen registriert.
Sozialministerin Petra Köpping setzt auf eine Aufarbeitung der damals
getroffenen Entscheidungen - verbunden mit einer Hoffnung.

Dresden (dpa) - Sachsens Sozialministerin Petra Köpping erhofft sich
von einer Aufarbeitung der Corona-Pandemie vor allem Versöhnung. Es
seien Verletzungen auf allen Seiten entstanden. Deswegen sei es
wichtig, dass die Entscheidungen während der Pandemie jetzt noch
einmal genau betrachtet würden. Vor fünf Jahren, am 2. März 2020,
hatte es den ersten Corona-Fall in Sachsen gegeben. Im dpa-Interview
spricht die SPD-Politikerin über damalige Entscheidungen und ihre
heutigen Absichten.

Frage: Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat ein
Buch zur Corona-Pandemie geschrieben mit dem Titel: «Wir werden
einander viel verzeihen müssen». Sehen Sie das auch so?

Antwort: Ich habe es immer so formuliert: Wenn man Entscheidungen
trifft, kann man es nur «falsch oder falsch» machen. Es gab auf der
einen Seite die Menschen, die besonders betroffen gewesen sind, weil
sie zu den sogenannten vulnerablen Gruppen gehört haben. Die haben
gesagt: «Ihr macht viel zu wenig!» Und dann gab es die andere Seite,
die gesagt haben, sie kommen gut durch. Diesen Menschen war es zu
viel. Insofern muss man sich viel verzeihen. 

Frage: Wie ist Sachsen aus Ihrer Sicht durch die Pandemie gekommen?

Antwort: Wir haben alle Corona-Verordnungen - und davon hatten wir 63
- gemeinsam im Kabinett beschlossen. Das heißt, das waren keine
einsamen Entscheidungen. Wir haben dafür unglaublich viel abgewogen
und uns das nicht einfach gemacht, wir haben uns Spezialisten und
Experten ins Kabinett geholt. Wir haben auch frühzeitig - ab Herbst
2020 - den Landtag einbezogen. Man muss ganz klar sagen: Es war
schwierig für die Menschen, die die Maßnahmen ertragen mussten. Es
war schwierig für die, die erkrankt sind oder die Familienangehörige
verloren haben. Aber es war auch schwierig für die, die Verantwortung
getragen haben. Das ist keine Sache, die man gerne macht.

Frage: Sachsen ist immer Impfschlusslicht gewesen. Es gab viele
Proteste. Wie erklären Sie sich, dass die Unzufriedenheit und die
Widerstände hier so groß waren?

Antwort: Wir hatten starke Widerstände aus bestimmten politischen
Richtungen. Auch damals war der AfD-Anteil in Sachsen schon hoch. Und
die haben die Möglichkeiten genutzt, um gegen die Maßnahmen zu
wettern. Die sozialen Medien haben hier sicher auch eine Rolle
gespielt.

Frage: Zugleich sind mehr Menschen als in anderen Bundesländern
gestorben, laut Statistik waren es 17.000 Corona-Tote.

Antwort: Das hohe Durchschnittsalter der Bevölkerung in Sachsen
spielt eine Rolle. Wir haben überdurchschnittlich viele Menschen in
unseren Alten- und Pflegeheimen verloren. Und die Gegenrede - das sei
alles Unsinn, das sei nur eine Grippe - hat es uns natürlich nicht
leicht gemacht.

Frage: Warum hat dieses Wettern gegen die Maßnahmen so viel Gehör
gefunden?

Antwort: Es ist immer so bei Krankheiten, dass viele denken: «Mich
selber betrifft das ja nicht.» Deswegen werden Maßnahmen als
übertrieben abgelehnt. Aber wenn man eine überdurchschnittlich alte
Bevölkerung hat und eine große vulnerable Gruppe, dann ist das eben
eine andere Situation. 

Ich habe mir oft anhören müssen, dass es ja nicht so schlimm ist,
wenn Menschen, die über 80 sind, eben auch sterben. Das finde ich
empörend.

Gleichzeitig war Corona ein Katalysator, der verschiedene Gruppen
zusammengebracht hat, die den Staat ablehnen oder mit der Politik
unzufrieden waren. Die Proteste gegen die Maßnahmen waren hier
identifikationsstiftend. Das muss man leider so sagen.

Frage: In Sachsen läuft seit vorigem Jahr die Aufarbeitung, der
Landtag hat die Einsetzung einer Enquete-Kommission beschlossen. 

Antwort: Die Verletzungen waren auf allen Seiten ziemlich groß und
deswegen bin ich eben auch ein Verfechter für eine Aufarbeitung der
Corona-Pandemie. Bei der Aufarbeitung muss man klar prüfen: Was waren
gute Maßnahmen, was war sinnvoll. Es gab auch mit Sicherheit Dinge,
die man aus heutiger Sicht nicht mehr machen würde. Man muss sich
auch vorbereiten auf eine neue Pandemie.

Frage: Es gibt auch einen Untersuchungsausschuss, der mit Stimmen von
AfD und BSW beschlossen wurde.

Antwort: Ein solches Gremium sehe ich kritisch, weil das eine
Abrechnung sein soll. Der Sinn und das Ziel eines
Untersuchungsausschusses sind einfach anders als bei einer
Enquete-Kommission. Der Untersuchungsausschuss blickt nach hinten und
sucht im Grunde genommen Schuldige. Die Enquete-Kommission betrachtet
auch das, was gewesen ist, will aber Schlussfolgerungen für die
Zukunft ziehen. 

Frage: Die 2G- und 3G-Regeln wurden von vielen Menschen sehr kritisch
gesehen, als Impfpflicht durch die Hintertür. 

Antwort: Es ging darum, den Menschen, die sich haben impfen lassen,
zu sagen, dass es was bringt. Und es hat ja auch etwas gebracht, sich
impfen zu lassen. Die Viruslast ist gesunken. Das heißt nicht, dass
die Menschen nicht ansteckend waren. Aber wenn sie sich angesteckt
haben - dann eben nicht mit einer Viruslast, dass vielleicht ein
älterer Mensch daran verstirbt. 

Aber die Maßnahme bewirkte leider, dass Ungeimpfte das Gefühl hatten,
gegängelt zu werden. Das aber wollten wir nicht! Ob das eine richtige
Maßnahme war, das sollen die Experten entscheiden. Auch dafür ist
eine Enquete-Kommission richtig und wichtig.

Frage: Gibt es etwas, wo Sie auch vor Abschluss der Aufarbeitung
schon sagen würden, dass Sie das beim nächsten Mal anders machen
würden? 

Antwort: Man muss vorsichtig sein mit der Verurteilung von Menschen,
die anders reagieren. Das Schlagwort einer Pandemie der Ungeimpften
wurde nicht gewählt, um den ungeimpften Menschen zu sagen, dass sie
die Bösen sind. Wir hatten einen Tagesbericht, da haben wir jeden Tag
geschaut, wie viele Tote es gegeben hat. Das war der Ausgangspunkt
des Handelns. Trotzdem sind Verletzungen entstanden, auf allen
Seiten. 

Auch, weil Ungeimpfte sich als "gesunde Ungeimpfte" bezeichnet haben,
was ja offenbar suggerieren sollte, dass Geimpfte nicht gesund sind.
Beides ist nicht gut. Und darum ist Versöhnung so wichtig.

ZUR PERSON: Petra Köpping (66) ist seit 2019 Sozialministerin in
Sachsen. Bevor sie in der Landespolitik aktiv wurde, war die
Landrätin im Leipziger Land und Bürgermeisterin von Großpösna.

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