Muttermilch als rettende Spende für Frühchen Von Yuriko Wahl-Immel, dpa

Sie wiegen nur einige hundert Gramm, sind krank oder viel zu früh auf
die Welt gekommen. Wenn die eigene Mutter keine Milch hat, kann
Spendemilch Frühchen das Leben retten. Aber es gibt ein Problem.

Dortmund (dpa) - Mit nur 620 Gramm und viel zu früh kommt Jonathan
zur Welt. Ein Winzling. Seine Organe sind nicht ausgereift. Er kann
nicht alleine atmen, sein Saugreflex muss sich erst noch entwickeln.
«Ich hatte Angst, dass er nicht überlebt. Er war wochenlang
intubiert, wir hatten kaum Hoffnung», erzählt seine Mutter Fonny
Wilde im Dortmunder Klinikum. Für kleine Frühchen wie Jonathan ist
Muttermilch besonders wichtig, für schwache oder kranke Säuglinge
manchmal sogar überlebenswichtig. Und hier wird es oft
hochproblematisch.

Viele Mütter können nicht oder nicht sofort stillen 

«Ich hatte viel Stress. Jonathan war so klein. Er ist schon nach 25
Wochen geboren, und meine Milchproduktion klappte nicht», sagt die
38-Jährige. «Er hat gespendete Milch von einer anderen Mama bekommen,
ich war sehr erleichtert.»

Die Dortmunder Kinderklinik hat vor zehn Jahren - als erste in
Nordrhein-Westfalen - eine Humanmilchbank aufgebaut, und viele
Säuglinge profitieren seitdem davon. So auch Jonathan, der nach drei
Monaten nun 2.160 Gramm auf die Waage bringt. Der Kleine saugt
inzwischen schon tapfer selbst am Fläschchen. Eine Mini-Magensonde
durch seine Nase bleibt aber zur Sicherheit noch erhalten. 

Wenn Kinder viele Wochen zu früh auf die Welt kommen, das Saugen als
Stimulation fehlt, komme die Milchproduktion der Mutterbrust nicht in
Gang, erläutert Dominik Schneider, Leiter der Kinderklinik. «Die
Milchspenden sind für diese Mütter gedacht, um bei ihnen erst mal
Druck rauszunehmen, damit sie vielleicht später doch noch stillen
können.» Zum anderen gebe es Mütter, die krank sind, Medikamente
nehmen und daher nicht stillen können. Auch deren Babys sollten
möglichst mit gespendeter Milch ernährt werden.

Wer mit nur wenigen Hundert Gramm Geburtsgewicht ins Leben startet,
ist besonders verletzlich. Haut, Magen-Darm, Lunge - alle Organe sind
noch unreif. Es könne Komplikationen geben, das Risiko für
Erkrankungen - auch mit tödlichem Verlauf - sei erhöht, schildert
Schneider, der den Aufbau von Humanmilchbanken etwa in Hannover,
Münster oder Essen beratend unterstützt hatte. «Muttermilch hat einen

schützenden Effekt.» Sie enthalte wichtige Enzyme und Abwehrstoffe. 


In Dortmund ist die Versorgung mit Humanmilch gesichert. Aber das ist
längst nicht überall so. 

In Deutschland reicht die Versorgung mit gespendeter Milch nicht

Aktuell gibt es 53 Frauenmilchbanken, in jedem Bundesland mindestens
eine, fast immer an Kliniken angegliedert, wie Kinderarzt Rudolf
Ascherl von der Frauenmilchbank-Initiative (FMBI) berichtet. Eine
Milchbank aufzubauen, sie nachhaltig zu betreiben und immer genügend
Spenderinnen zu finden, ist laut FMBI schwierig. Eine Kinderklinik
brauche Platz, Personal und müsse die Finanzmittel in der Regel
selbst tragen. Alternativ zum weiteren Aufbau von Milchbanken gebe es
erste Klinik-Kooperationen, so in Berlin oder Baden-Württemberg, um
mehr Babys zu erreichen. 

Humanmilch kann ein Überlebensvorteil sein

Oberste Zielgruppe für gespendete Milch sind Frühchen, die vor der
32. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen sind oder bei der Geburt
weniger als 1.500 Gramm auf die Waage bringen, sagt Corinna Gebauer,
Leiterin der Frauenmilchbank am Uniklinikum Leipzig: «Für diese
Kinder stellt es einen Überlebensvorteil dar, wenn man sie rein mit
menschlicher Milch ernährt.» Die Neonatologin betont: «Optimal ist
die Milch der eigenen Mutter. Wenn es die nicht gibt oder sie nicht
ausreicht, ist die Milch fremder Mütter die beste Alternative,
deutlich besser als Säuglingsnahrung auf Kuhmilchbasis.» 

Manche Frühchen kämpften mit einer schweren Darmentzündung, die
häufig zum Tode führe. «Bei Ernährung mit rein menschlicher Milch
tritt diese Erkrankung in der Hochrisikogruppe deutlich seltener
auf», weiß Gebauer. Das gelte auch etwa bei schweren Augen- oder
Lungenerkrankungen. 

Es geht um sehr viele Kinder 

Frühgeburten kommen oft vor: Knapp zehn Prozent der Kinder in
Deutschland kommen zu früh zur Welt - und von ihnen haben wiederum
zehn Prozent ein Geburtsgewicht unter 1.500 Gramm, sagt Ascherl. Es
handele sich um jährlich fast 10.000 Babys, definitiv keine kleine
Gruppe. Der Bedarf ist groß, der Mangel auch, heißt es beim Netzwerk
FMBI. Und grundsätzlich sei Muttermilch für alle Säuglinge die beste

Ernährung - auch für die gesunden.

Qualität der Milchspenden wird streng kontrolliert 

Milchbanken sammeln, untersuchen, lagern und verteilten gespendete
Milch. In der früheren DDR hatten sie lange Tradition, in
Westdeutschland wurden in den 1970er und 80er Jahren fast alle
abgebaut - und erst seit einigen Jahren erleben sie allmählich eine
Wiedergeburt, wie Schneider als einer der Pioniere berichtet.
Spenderinnern sind Mütter mit großem Milchüberschuss. 

Die Winzlinge brauchen zunächst nur einige Tröpfchen, erklärt Sabine

Senge als Leiterin der Dortmunder Milchküche. «Zuerst bekommen sie
alle zwei Stunden eine Mahlzeit, etwa einen Milliliter.» Das sind
rund 20 Tropfen, die das Frühchen per Magensonde bekommt. Dann wird
der Abstand allmählich auf vier Stunden und etwas größere Mengen
ausgeweitet. 

Die Muttermilch wird in sterile Einmalfläschchen abgepumpt, im Labor
auf Keime oder Bakterien untersucht, dann pasteurisiert und
tiefgekühlt. «Sie ist ein halbes Jahr lang nutzbar», schildert Senge.

Verlässt eine Mutter die Klinik mit ihrem Neugeborenen, wird ihre
überschüssige tiefgefrorene Milch zu Spendemilch für andere
bedürftige Neugeborene. In Dortmund sind schon viele hundert Liter
zusammengekommen, bundesweit sind es nach FMBI-Angaben mehrere
tausend Liter pro Jahr. 

In NRW verfügen zehn Kliniken über eine Milchbank - unter anderem in
Köln, Düsseldorf, Bielefeld, Mönchengladbach, Bonn und Essen -,
weitere acht befinden sich laut Gesundheitsministerium im Aufbau. 

Jonathan und seine Mutter können die Kinderklinik bald verlassen. «Es
funktioniert noch immer nicht, dass ich ihn an die Brust anlegen
kann, aber ich habe jetzt wenigstens etwas eigene Milch.» Sie würde
gerne eine Spende zurücklassen, aber dafür reicht ihre Menge nicht.
«Ich bin sehr dankbar. Jonathan wird Tag für Tag größer. Er ist mei
n
kleines Wunder.»

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