Dry January - Vier Wochen Trockenzeit in Deutschland? Von Christoph Driessen, dpa

In kaum einem Land ist Alkohol so frei verfügbar wie in Deutschland -
bis hin zum «begleiteten Trinken ab 14». Allmählich aber formiert
sich eine Gegenbewegung - und das merkt man vor allem im Januar.

Köln (dpa) - «Für mich bitte nur Wasser - ich mach' Dry January!» D
as
hört man auf Partys und in Kneipen derzeit häufiger. Der «Trockene
Januar», übernommen aus Großbritannien, hat für viele die Fastenzei
t
abgelöst. Der Jahresanfang bietet sich an, weil es traditionell die
Zeit der guten Vorsätze ist und die Feiertage mit häufigem Anstoßen
erst mal vorbei sind. 

Der Arzt und Fernsehjournalist Eckart von Hirschhausen (57) macht
schon seit drei Jahren beim Dry January mit, zusammen mit seiner
Frau. «Es fällt mir eigentlich überraschend leicht», erzählt er d
er
Deutschen Presse-Agentur in Köln. «Alkohol hat ja sehr stark einen
ritualisierten Charakter, zum Beispiel, um zu markieren: Jetzt ist
Feierabend. Und dann trinkt man eben ein Bier oder ein Glas Rotwein
zum Abendessen.» Er glaubt: Die Kunst besteht darin, ein anderes
Ritual zu finden, das einem auch das Gefühl gibt, dass man sich etwas
gönnt. 

Wird Deutschland trockengelegt? Das nun nicht gerade

So habe er mit seiner Frau neulich auf seine letzte Samstagabendshow
angestoßen - «mit einem sehr eleganten, prickelnden Getränk aus einer

schicken Sektflasche, aber mit 0,0 Prozent Alkohol, aromatisch mit
Teeauszügen, Früchten, wirklich lecker. Und alkoholfreies Bier ist so
viel besser geworden.» 

Hirschhausen hat am 18. Januar zum letzten Mal «Was kann der Mensch?»
moderiert, ist aber am kommenden Montag (27.1.) zur besten Sendezeit
um 20.15 Uhr mit der WDR-Doku «Hirschhausen und die Macht des
Alkohols» im Ersten zu sehen. Auf den Bestsellerlisten wiederum ist
der Wissenschaftsjournalist Bas Kast mit seinem neuen Buch «Warum ich
keinen Alkohol mehr trinke» nach oben geschossen.

Es gibt noch nicht viele Daten dazu, in welchem Ausmaß der Dry
January angenommen wird. Das Statistische Bundesamt hat auf der Basis
von Scannerdaten aus dem Lebensmitteleinzelhandel allerdings
ermittelt: Im Januar 2024 wurde fast 50 Prozent weniger Alkohol
gekauft als im Dezember 2023. 

Insgesamt geht der Alkoholkonsum in Deutschland seit rund 40 Jahren
zurück. Nach Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

(BZgA) in Köln ist der Verbrauch an Reinalkohol pro Kopf im Alter ab
15 Jahren von 15 Litern im Jahr 1980 auf 10 Liter im Jahr 2020
gesunken - wobei er 2022 wieder leicht höher lag, bei 10,6 Litern. 

Jeder Schluck Alkohol ist potenziell krebserregend

Aber: «Trotz dieser positiven Entwicklung ist Deutschland im
internationalen Vergleich ein Hochkonsumland und liegt über dem
EU-Durchschnitt», sagt eine BZgA-Sprecherin. Nach Angaben der
Deutschen Gesellschaft für Ernährung war der durchschnittliche
Alkoholkonsum in Deutschland 2019 mehr als doppelt so hoch wie im
weltweiten Durchschnitt.

Doch in letzter Zeit hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung etwas
verändert. So hieß es vor noch gar nicht langer Zeit oft, ein
tägliches Glas Rotwein zum Essen schade nicht, sondern beuge im
Gegenteil Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor. Mittlerweile wird das
anders gesehen. So hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung im
vergangenen Jahr ihre Linie verändert und empfiehlt nun nicht mehr,
geringe Mengen Alkohol zu trinken, sondern gar keinen Alkohol mehr:
Es gebe keine potenziell gesundheitsfördernde und sichere
Alkoholmenge für einen unbedenklichen Konsum, heißt es nun.

Auch Hirschhausen hat das eine Glas am Tag lange für unbedenklich
gehalten. «Ich wollte es natürlich auch glauben», gibt er zu. «Aber

Alkohol ist und bleibt ein Nervengift. Und was mich schon überrascht
hat an den Studien, ist die Klarheit, mit der das Krebsrisiko benannt
wird, das lange in der Öffentlichkeit überhaupt keine Rolle gespielt
hat.» Eine Flasche Wein sei für das Brustkrebsrisiko einer Frau so
schädlich wie zehn Zigaretten. «Ich finde, das sollte so klar aufs
Etikett wie bei den Zigaretten.»

Wenn sich Politiker mit einem Bier in der Hand über Cannabis aufregen

Die Realität sieht jedoch so aus, dass man fast nirgendwo sonst so
problemlos an Alkohol kommt wie in Deutschland - sogar nachts noch,
an Tankstellen. Alkoholkonsum wird als Kulturgut überhöht: Besonders
Bier gilt als typisch deutsch, das Münchner Oktoberfest prägt das
Bild von Good Old Germany weltweit. 

Was Hirschhausen zum Lachen bringt: «Wir sehen jetzt im
Bundestagswahlkampf regelmäßig Politiker, die sich mit einer großen
Maß Bier in der Hand über Cannabis aufregen - dabei ist Alkohol,
gemessen an dem angerichteten Gesundheitsschaden, ohne Zweifel die
gefährlichste Droge der Welt. Und die Einzige, bei der man sich
entschuldigen muss, wenn man sie nicht nimmt.»

Eine spannende neue Entwicklung ist für ihn: In der Generation der
20- bis 30-Jährigen trinke ein Drittel gar nicht mehr. «Gerade junge
Frauen sagen heute oft sehr selbstbewusst: «Ich brauche das nicht.
Mir fehlt nichts, wenn ich keinen Alkohol trinke. Im Gegenteil, ich
weiß, dass ich schlechter schlafe, wenn ich getrunken habe, dass ich
schlechter gelaunt bin.»» In manchen Milieus mag der Verzicht auch
Ausweis von Selbstdisziplin und sichtbares Zeichen für einen
bewussten Lebensstil sein. 

Richtig aufregen kann sich Hirschhausen über das Konzept des
«begleiteten Trinkens ab 14». Jugendliche dürfen in Deutschland nach

Jugendschutzgesetz regulär vom 16. Geburtstag an Bier, Wein und Sekt
kaufen sowie trinken. In Begleitung einer sorgeberechtigten Person
ist das aber sogar schon ab 14 Jahren erlaubt - auch in Gaststätten
oder in der Öffentlichkeit. «Dass wir just in der labilen
Entwicklungsphase der Pubertät ganz systematisch an den Alkohol
herangeführt werden, so als wäre der Rausch das entscheidende
Kennzeichen fürs Erwachsenwerden, ist geradezu krank. Und da ist
derjenige, der Nein sagt, schnell der Spielverderber.»

Hirschhausen selbst trinkt heute deutlich weniger als früher, will
aber nicht völlig verzichten. Seine Faustregel lautet: Alkohol soll
eine Ausnahme vom Alltag sein - keine Routine also, sondern immer
etwas Besonderes. «Und ich würde mir wünschen, dass es viel normaler

und akzeptierter wird, nicht zu trinken. Das fängt schon bei den
Bezeichnungen dafür an.» Wie nennt man jemanden, der auf Alkohol
verzichtet? Abstinenzler? Nicht-Trinker? «Das ist so uncool wie
Nicht-Schwimmer, als hätte man es nicht bis zum Schwimmer geschafft!»

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