Streit um das Warten auf Arzttermine in Deutschland Von Basil Wegener, dpa

Vor allem beim Facharzt machen gesetzlich Versicherte die Erfahrung,
dass sie bis zum Termin oft lange warten müssen. Privatversicherte
sollen es leichter haben. Was könnte sich ändern?

Berlin (dpa) - Im Streit um die ärztliche Versorgung in Deutschland
wirft die Deutsche Stiftung Patientenschutz manchen Kassenärztinnen
und -ärzten Rosinenpickerei vor. Sie würden Kassenpatienten
benachteiligen, ohne dass dies aufgedeckt werde. «Rosinenpicker
werden nicht identifiziert», sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch an
die Adresse der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

Der KBV-Vorsitzende Andreas Gassen hatte sich in einem Interview
gegen Vorwürfe gewehrt, dass Kassenpatientinnen und -patienten lange
auf Termine warten müssten. Ein aktuelles Bundestagswahl-Versprechen
der SPD, durch eine Termingarantie Unterschiede zwischen privat und
gesetzlich Versicherten in dem Punkt abzuschaffen, nannte Gassen in
der «Rheinischen Post» «populistischer Blödsinn».

Selbstzahlende bei der Terminvergabe «bevorzugt»

Brysch sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Der KV-Vorsitzendende
kann nicht davon ablenken, dass Selbstzahler bei der Terminvergabe
klar bevorzugt werden.» Medizinische Gründe seien es nicht, die
gesetzlich Versicherte benachteiligten.

Der SPD und Vertretern von Patientinnen und Patienten sind die
Unterschiede schon lange ein Dorn im Auge, die viele Praxen bei der
Terminvergabe zwischen privat und gesetzlich machen. Ärztlicherseits
wurde gelegentlich argumentiert, die Praxen bräuchten so eine
Vorgehensweise, damit sie Probleme bei der Honorierung von
Behandlungen gesetzlich Versicherter ausgleichen könnten.

Gassen reagiert

Aktuell reagierte Gassen auf den Vorwurf des Spitzenverbands der
gesetzlichen Krankenkassen (GKV), dass bei der Vergabe von
Arztterminen eine Bevorzugung von Privatversicherten gegenüber
gesetzlich Versicherten vorherrsche. Auch Bundesgesundheitsminister
Karl Lauterbach (SPD) hatte die Terminverteilung ungerecht genannt.
Der Streit findet vor dem Hintergrund des Wahlkampfs für die
Bundestagswahl am 23. Februar statt.

Der KBV-Chef argumentiert, viele Hausarztpraxen böten
Akut-Sprechzeiten an. Auch bei Fachärzten müsse man die Kirche im
Dorf lassen, im internationalen Vergleich seien die Wartezeiten kurz.
«In Deutschland haben Patienten überdies die freie Arztwahl. Der
Preis dafür ist, dass sie bei gefragten Ärzten Wartezeiten in Kauf
nehmen», sagte Gassen. Echte Notfälle würden «entgegen aller
Stimmungsmache hierzulande sofort versorgt».

Was hinter der SPD-Forderung noch steckt

Die SPD verbindet mit ihrem Vorschlag einer Termingarantie die Idee,
dass Versicherte bei Nichteinhaltung einen Anspruch auf
Beitragsreduzierungen bekommen sollten. Gassen lehnt den gesamten
Vorstoß ab. «Dafür müsste es zunächst klare medizinisch begründ
ete
Dringlichkeiten geben und Praxen müssten über freie Kapazitäten
verfügen.» Die SPD hätte die Praxen in der vergangenen Legislatur von

Bürokratie befreien können. «Jetzt mit einer Termingarantie, die
niemals umsetzbar sein würde, vom eigenen Regierungsversagen ablenken
zu wollen, ist durchschaubar und etwas armselig», sagte Gassen.

Kassen: Buchungsportale zeigen die Wahrheit

Der GKV-Spitzenverband reagierte knapp. «Beim Klicken auf
Online-Buchungsportale kann jeder PKV oder GKV anklicken und so
selbst überprüfen, ob die Terminvergabe fair und gleich ist oder
nicht», sagte Verbandssprecher Florian Lanz. 

Brysch bezeichnete das Problem als «noch größer». Nicht alle Praxen

seien online überhaupt erreichbar. Mitunter müssten Patientinnen und
Patienten persönlich in die Praxis laufen, um einen Termin zu
bekommen. Privatpatientinnen und -patienten bekämen ihn oft
schneller. Doch Transparenz darüber stelle die Kassenärztliche
Bundesvereinigung nicht her, sagte Brysch. Daten fehlten. «Dabei hat
sie den Sicherstellungsauftrag.» Hierbei handelt es sich um den
gesetzlichen Auftrag an die KBV, die ärztliche Versorgung der
gesetzlich Versicherten sicherzustellen.

Auseinanderklaffen zwischen privat und gesetzlich

Brysch sagte, die Kassenärztlichen Vereinigungen könnten ein
Auseinanderklaffen zwischen privat und gesetzlich unterbinden. Die
gängige Praxis schädige den Ruf vieler engagierter Ärztinnen und
Ärzte. «Doch weder die Angebote der Notfallsprechstunden, die
Erreichbarkeit noch die Präsenzzeiten der rund hunderttausend Praxen
werden von der Lobby der Kassenärzte überprüft.»

Der Patientenschutz-Vorstand forderte deshalb eine wissenschaftliche
Aufarbeitung und Qualitätsüberprüfungen. «Populismus von Ärzten u
nd
Politik hilft niemandem.» Die Kranken im ganzen Land würden erleben,
dass die kassenärztlichen Bereitschaftsdienste und ambulanten
Notfallpraxen zusammengestrichen würden. «Gerade Patientinnen und
Patienten in strukturarmen Regionen trifft es hart, denn auch hier
zieht sich die kassenärztliche Versorgung zurück.» 

Vorwürfe sind nicht neu - und gehen weiter

Brysch machte damit noch auf einen weiteren Umstand aufmerksam, der
immer wieder als ungerecht kritisiert wird. «Stattdessen tummeln sich
Praxen in lukrativen Gegenden», sagte er. «Auch das sind Gründe,
warum Rettungsdienste und Krankenhäuser mit ihren Notaufnahmen
überlastet sind.»

In puncto Termine hatte die Chefin des Sozialverbandes Deutschland
(SoVD), Michaela Engelmeier, bereits im August gefordert: «Eine
gerechte Vergabe von Arztterminen ist unabdingbar.» Gerade in Zeiten,
in denen gesetzlich Versicherte oft Monate oder gar Jahre auf einen
Facharzttermin warten müssten, dürften sie nicht zu Patienten zweiter
Klasse werden. Eine nicht unerhebliche Zahl von Arztpraxen vergebe
Termine ausschließlich an Privatversicherte oder Selbstzahler. 

Betroffen: 90 Prozent der Bevölkerung

In Deutschland werden nach Angaben des Kassen-Spitzenverbands rund 73
Millionen Versicherte von einer gesetzlichen Krankenkasse versorgt -
rund 90 Prozent der Bevölkerung. Die privaten Krankenversicherungen
hatten nach Angaben ihres Verbands (PKV) 2023 insgesamt gut 38
Millionen laufende Versicherungen im Bestand, darunter 8,7 Millionen
Voll- und 29,6 Millionen Zusatzversicherungen.

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