Täter wirr und radikal - Bemühen um Aufklärung nach Anschlag

Das Vorgehen erinnerte an islamistische Attentäter. In dieses Raster
passt der Täter von Magdeburg zwar nicht, doch auffällig war er. Was
folgt daraus?

Magdeburg/Berlin (dpa) - Nach dem tödlichen Anschlag von Magdeburg
bemühen sich die Behörden weiter um Aufklärung. Wie die Deutsche
Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen erfuhr, verdichten sich die
Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Täters Taleb A. Zuletzt
hatte sich dieser in sozialen Medien zunehmend wirrer und radikaler
zu Wort gemeldet. In einem Interview zeigte sich der 50-Jährige
jüngst als Fan von X-Inhaber Elon Musk und der AfD, die die gleichen
Ziele wie er verfolge - bezeichnete sich aber als politisch links.

Für diese Einschätzung spricht auch die Entscheidung, dass das
Verfahren vorerst weiter in Sachsen-Anhalt geführt wird. Der
Generalbundesanwalt habe die Übernahme des Verfahrens abgelehnt,
sagte Justizministerin Franziska Weidinger (CDU). Stattdessen hat nun
die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg übernommen. Sie spricht von
einer Amokfahrt, die Ermittler halten aber auch den Begriff Anschlag
für zutreffend. Der Generalbundesanwalt ist zuständig für Verfahren
im Bereich des Staatsschutzes, also der politisch motivierten
Kriminalität. 

Taleb A. war am Freitagabend mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt
von Magdeburg gerast und hatte fünf Menschen getötet und mehr als 200
verletzt. Der Arzt aus Bernburg südlich von Magdeburg stammt aus
Saudi-Arabien, lebt seit 2006 in Deutschland und erhielt 2016 Asyl
als politisch Verfolgter. Er war in den vergangenen Jahren an
verschiedenen Stellen aufgefallen. Er sitzt in Untersuchungshaft.

Zahl der Verletzten gestiegen

Die Zahl der Verletzten hat sich nach Informationen der
Staatsanwaltschaft inzwischen erhöht. Sie liege nun bei bis zu 235,
sagte ein Sprecher in Magdeburg. Es hätten sich noch Menschen in der
Uniklinik und bei Ärzten gemeldet. Nicht auszuschließen sei aber,
dass es Doppelzählungen gegeben habe. Bislang war von 200 Verletzten
ausgegangen worden. Die Zahl der Todesopfer liege weiter bei fünf,
hieß es. 

Bei dem Anschlag wurden ein neunjähriger Junge sowie vier Frauen im
Alter von 45 bis 75 Jahren getötet. Bei einem Sondertermin im
Universitätsklinikum Magdeburg spendeten am Montag viele Menschen
spontan Blut.

«Spiegel»-Bericht: Testament in Auto gefunden

Nach Informationen des «Spiegel» fanden die Ermittler nach der Tat in
dem Auto das Testament des Täters. Darin soll Taleb A. dem Bericht
zufolge geschrieben haben, dass nach seinem Tod sein Vermögen an das
Deutsche Rote Kreuz übergehen soll. Politische Botschaften waren laut
«Spiegel» nicht in dem Dokument. 

Den zuständigen Bundesbehörden war Taleb A. seit spätestens Anfang
2015 ein Begriff. Wie das Innenministerium in Schwerin auf Anfrage
mitteilte, informierten Vertreter des Landes Mecklenburg-Vorpommern
im von Bund und Ländern getragenen Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum
das Bundeskriminalamt am 6. Februar 2015 über mögliche
Anschlagsabsichten des aus Saudi-Arabien stammenden Mannes.

Anlass für die Meldung seien dessen Drohungen gegenüber der
Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern im April 2013 und ein Jahr später
auch gegen eine Kommunalbehörde in Stralsund gewesen, Handlungen
vorzunehmen, die internationale Beachtung fänden.

Nach Angaben von Innenminister Christian Pegel (SPD) lebte der heute
50-Jährige von 2011 bis Anfang 2016 in Mecklenburg-Vorpommern und
absolvierte in Stralsund Teile seiner Facharzt-Ausbildung. Mit der
Landesärztekammer habe es Streit um die Anerkennung von
Prüfungsleistungen gegeben. Gegenüber der Sozialbehörde in Stralsund

habe er versucht, mit Drohungen die Gewährung von Hilfe zum
Lebensunterhalt durchzusetzen. 

Nach Drohungen nicht als Gefährder eingestuft 

Laut Pegel hatte das Amtsgericht Rostock Taleb A. wegen der Drohungen
gegenüber der Ärztekammer zu einer Geldstrafe verurteilt. Die
vorhergehenden Ermittlungen hätten jedoch keine Hinweise auf reelle
Anschlagsvorbereitungen ergeben und auch keine islamistischen Bezüge
offenbart. Nach dem Vorfall in Stralsund sei der Mann im Rahmen einer
sogenannten Gefährderansprache von der Polizei auf Konsequenzen
hingewiesen worden. Ihm sei gesagt worden, dass man einen sehr viel
genaueren Blick auf ihn haben werde. Als Gefährder sei der Mann aber
nicht eingestuft worden, sagte Pegel. 

Mit einer Gefährderansprache will die Polizei signalisieren, dass sie
einen potenziellen Straftäter im Blick hat und fordert ihn auf, ein
bestimmtes Verhalten zu unterlassen. 

Auch in den Monaten vor der Tat hatte die Polizei noch Kontakt zu dem
Mann, diesmal in Sachsen-Anhalt. Im September 2023 und Oktober 2024
seien Gefährderansprachen durchgeführt worden, sagte Sachsen-Anhalts
Innenministerin Tamara Zieschang im Ältestenrat in Magdeburg, ohne
Details zu nennen.

Warnung vor Rassismus

Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, hatte im
ZDF gesagt, der Mann habe eine islamfeindliche Einstellung, er habe
sich auch mit rechtsextremen Plattformen beschäftigt. Es sei aber
noch nicht abschließend möglich zu sagen, dass die Tat politisch
motiviert gewesen sei.

Die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung, Reem
Alabali-Radovan, warnte vor politischer Instrumentalisierung des
Anschlags. «Leider wird auch diese Tat nun als Ventil genutzt, um
Rassismus freien Lauf zu lassen», erklärte sie in Berlin. Seit dem
Wochenende berichteten Beratungsstellen aus Magdeburg und Umgebung
von einer zunehmend feindseligen Stimmung und gewaltsamen Übergriffen
gegen Migrantinnen und Migranten und Musliminnen und Muslimen. 

Durchs Raster gefallen?

Am kommenden Montag wollen sich der Bundestags-Innenausschuss und das
Parlamentarische Kontrollgremium für die Nachrichtendienste in Berlin
zu Sondersitzungen treffen. Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle
hält die Behörden zum Teil für überfordert. Die Raster dort passten

auf Täter, die bestimmte islamistische, rechtsextreme oder
linksextreme Motive haben, sagte er im Deutschlandfunk. 

Es gebe aber eine «Ohnmacht», wie mit Menschen umgegangen werden
soll, die über Jahre in wirrer Art und Weise auch Gewaltdrohungen
äußerten und etwa unter Verfolgungswahn litten und psychische
Probleme haben. Deren Zahl sei «durchaus groß», so Kuhle. Wenn es
dann noch so viele unterschiedliche Zuständigkeiten bei den Behörden
gebe, fielen solche Täter durchs Netz.

Der geschäftsführende Bundesjustizminister Volker Wissing (parteilos)
äußerte sich ähnlich und wies auf Auffälligkeiten des späteren T
äters
hin. «Nach dem, was bisher bekannt ist, waren seine politischen
Äußerungen jedoch so wirr, dass kein sicherheitsbehördliches Schema
auf ihn passte», sagte Wissing den Zeitungen der Funke Mediengruppe. 

«Ich halte es für möglich, dass wir daraus Konsequenzen für unsere

Sicherheitsarchitektur ziehen müssen. Und ich halte es für geboten,
dass wir darüber eine ernsthafte Debatte führen», so Wissing. Es
seien aber noch viele Fragen offen. Grünen-Kanzlerkandidat Robert
Habeck äußerte in Flensburg die Hoffnung, der Anschlag möge nicht zum

Thema für den Bundestagswahlkampf werden.

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