Die Industrie ist im Umbruch: Experten fordern neue Konzepte Von Wolf von Dewitz, dpa

Thyssenkrupp Steel will 5000 Jobs streichen, Ford 2900, etc. pp. -
ein ums andere Mal geben Traditionsfirmen herbe Jobkürzungen bekannt.
Wie geht es weiter mit Deutschlands Industrie?

Köln/Duisburg (dpa) - Die Liste von Industriekonzernen in
Deutschland, die in diesem Jahr den Rotstift gezückt haben und mit
aller Macht sparen wollen, ist lang: Volkswagen, Bosch, ZF,
Continental, Bosch und nun auch Ford sowie der Stahlbereich von
Thyssenkrupp. Im Fall von Ford Deutschland, deren Kölner Personal
binnen drei Jahren um ein Viertel schrumpfen soll, warnt die IG
Metall vor einem «Sterben auf Raten», und auch bei Thyssenkrupp Steel
fürchten Beschäftigte um die Zukunft ihrer Firma.

Die Beispiele bekannter Firmen verdeutlichen: Deutschlands Industrie
ist im Umbruch - es geht nicht nur um eine zwischenzeitliche
Nachfrageschwäche wegen der lahmenden Konjunktur, sondern um
strukturelle Änderungen, darin sind sich Wissenschaftler weitgehend
einig. Die Lage ist ernst, aber keineswegs hoffnungslos - so in etwa
könnte man die Meinung der Expertenschar zusammenfassen. 

Ein Abwehrkampf, der nicht zu gewinnen ist

Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
sieht Deutschlands Industrie in einer kritischen Phase. «Wir
verlieren jeden Monat in Deutschland an die 10.000 Arbeitsplätze in
der Industrie, die Produktion liegt mittlerweile 15 Prozent unter dem
Vor-Corona-Niveau.» Ein Umbruch sei an sich nicht problematisch,
zumal Deutschlands Industrie weiterhin großes Potenzial habe und
andere Industriebereiche gute Perspektiven hätten - etwa die
erneuerbaren Energien, die Wasserstoff-Industrie und die Herstellung
von innovativen Ersatzprodukten für konventionelle Güter, die bislang
aus Ölkomponenten gefertigt seien.

«Problematisch ist aber, dass diese innovative neue Seite der
Industrie nicht richtig in die Gänge kommt - während die eher
klassische Industrie Jobs abbaut, werden viel zu wenig Jobs in den
neuen Bereichen aufgebaut, insgesamt ist die Jobbilanz in der
Industrie tiefrot.» Die neuen Industriebereiche müssten angekurbelt
werden, damit dort mehr Jobs entstehen. «Bislang führen wir in der
Industrie zu sehr einen Abwehrkampf, den wir nicht gewinnen können»,
sagt Weber. 

Forderung nach innovativen Wegen

Aber was passiert denn mit den ganzen Industriebeschäftigten, wenn
ihr jetziger Arbeitgeber sie nicht mehr haben will? Aus Sicht von
Weber werden viele dieser Beschäftigten in anderen Bereichen und
Firmen für die Transformation gebraucht. «Wir brauchen keine großen
Umschulungsprogramme, sondern eher Programme zur Weiterentwicklung
ihrer Fähigkeiten.» 

Der Experte plädiert zudem für einen «Transformationswettbewerb», i
n
dem der Staat die Gründung und Skalierung von Start-ups stärker als
bislang fördere und Innovationen ankurbele. «Wir brauchen einen Schub
nach vorn: Deindustrialisierung ist nicht unausweichlich,
Deutschlands Industrie hat großes Potenzial - aber dieses Potenzial
müssen wir auch aktivieren.»

Ruf nach staatlichen Investitionen

Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und
Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung hat ebenfalls
Sorgenfalten. «Das Risiko einer Deindustrialisierung Deutschlands hat
sich verschärft», sagt der Konjunkturforscher. Deutschland drohe ein
Schicksal ähnlich dem der USA, die seit der Jahrtausendwende massiv
Industriejobs abgebaut hätten. 

Während in den USA die Zahl der Industriejobs von 2000 bis 2024 von
17,7 auf 13,3 Millionen gesunken sei, habe sich die Zahl in
Deutschland von 2000 bis 2019 annähernd konstant gehalten. Seit der
Corona-Pandemie sei die Zahl von 7,5 auf 7,2 Millionen gesunken -
diese Abwärtsentwicklung könnte sich verstärken, warnt Dullien.

Der Wissenschaftler sieht den Staat in der Pflicht: Starke
Investitionen in den Bau von Straßen, Brücken und Energienetze würden

dazu führen, dass Baufirmen mehr Aufträge bekommen und mehr Leute
einstellten. «In anderen Industriebranchen gibt es viele Handwerker
und andere Facharbeiter, die ursprünglich aus der Baubranche kommen
und nun dahin zurückgehen könnten.» Deutschland würde von solchen
Investitionen auch volkswirtschaftlich profitieren, da man
wettbewerbsfähiger würde. 

Rolle des Fachkräftemangels

Aber angeblich herrscht doch Fachkräftemangel in Deutschland - werden
die Beschäftigten, deren Jobs nun auf der Kippe stehen, nicht
woanders gebracht? «Es mag an IT-Experten und an Pflegekräften
mangeln, aber das bringt den Beschäftigten nichts, die bei
Autoherstellern am Band stehen und bald einen neuen Job brauchen»,
sagt Dullien. Umso wichtiger sei es, dass diese Branchen
Zukunftsperspektiven entwickelten und nicht einfach nur abbauten. 

Paula Risius vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) wertet es als
Herausforderung, Beschäftigte eines Industriekonzerns woanders
unterzubringen, schließlich müsse sowohl die Art der Qualifikation
als der regionale Bedarf gegeben sein. «Unternehmen müssen offen für

Berufswechsler sein, aber auch die Quereinsteiger müssen in diesen
Prozess investieren», sagt die Forscherin. 

Wechsler brächten nicht immer die benötigen Kompetenzen mit. «Für
Arbeitgeber bedeutet es, dass Quereinsteiger möglicherweise zu Beginn
für weniger Aufgaben infrage kommen oder dass sie mehr Zeit dafür
benötigen als Bestands-Fachkräfte.» Deswegen seien Lohnabstriche
«nicht unwahrscheinlich». 

Lohnzuschüsse nach Jobwechsel könnten helfen

IAB-Forscher Weber sagt, dass viele Beschäftigte den Schritt weg von
ihrem bisherigen Arbeitgeber, dem klassischen Industriekonzern, auch
aus finanziellen Gründen scheuten - ihre alten tarifgebundenen
Arbeitsplätze seien häufig besser bezahlt als Jobs in
Energie-Start-ups und anderen noch jungen Unternehmen in
aufstrebenden Industriebereichen. 

Hierbei könnte eine «Entgeltsicherung» helfen, sagt Weber: Der alte
Arbeitgeber solle zusammen mit der Politik zeitweise einen Teil des
Lohns beim neuen Arbeitgeber zahlen, sagt Weber. «Dadurch werden hohe
Abfindungen vermieden und das Know-how des Beschäftigten ginge nicht
verloren.»

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