Finanzloch in der Pflege - Beiträge könnten stärker steigen Von Jörg Ratzsch, dpa
Ein Bericht über eine drohende Pleite der Pflegeversicherung sorgt
für Wirbel. In den Fokus rücken dabei die Beiträge. Es dürfte für
die
Versicherten im nächsten Jahr teurer werden.
Berlin (dpa) - Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung
könnten im kommenden Jahr stärker steigen als bisher befürchtet.
Grund ist unter anderem die schlechte Finanzsituation der
Pflegeversicherung. Zwar ist noch nichts entschieden.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte am Montag in Berlin aber
eine «große Reform» an, die in wenigen Wochen vorgestellt werden
solle. Es gehe dabei um die Finanzierung, etwa um die Beiträge und
die Eigenbeteiligung in der stationären Pflege.
Details zu möglichen Beitragssatzsteigerungen nannte er vor
Journalisten auf wiederholte Nachfragen nicht. Nicht zu bestreiten
sei, dass die Pflegeversicherung derzeit im «Beitragssatzdruck» sei,
sagte der SPD-Politiker lediglich. Lauterbach hatte schon Ende August
höhere Beitragssätze in der Kranken- und Pflegeversicherung für das
kommende Jahr angedeutet.
«Notoperation» an der Pflegeversicherung
Ein Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) sorgte zuvor in
Berlin für Wirbel. Demzufolge wird in der Ampel-Koalition wegen der
Finanzlage der Pflegeversicherung fieberhaft an einer Notoperation
gearbeitet. Das RND schrieb unter Berufung auf Koalitionskreise
weiter, es drohe eine Zahlungsunfähigkeit. Lauterbach sagte dazu:
«Die Pflegeversicherung ist nicht insolvent, ihr droht auch nicht die
Insolvenz.»
Die Bundesregierung bürge dafür, dass Pflegebedürftige und Angehöri
ge
sich auch in Zukunft darauf verlassen könnten, dass die
Pflegeversicherung die Versorgung bezahle und für die Leistungen
aufkomme. Doch nun muss geklärt werden, woher das Geld dafür kommen
soll und wie sehr die Beitragszahler dafür zur Kasse gebeten werden.
Eine erste Pflegereform hatte die Koalition schon umgesetzt. Sie
brachte Entlastungen für Pflegebedürftige bei Eigenanteilen, die sie
im Heim zahlen müssen, aber auch bereits einen höheren Beitrag: Für
Menschen ohne Kinder stieg er Mitte 2023 auf 4 Prozent und für
Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Familien mit
mindestens zwei Kindern zahlen - bezogen auf den Arbeitnehmeranteil -
jetzt weniger als zuvor.
Milliarden fehlen
Doch die Finanzprobleme der Pflegeversicherung blieben. Das
Gesundheitsministerium begründet das nun unter anderem mit eben
dieser vorangegangenen Reform, die Pflegebedürftige in Heimen
erheblich entlastet habe, und auch damit, dass es mehr
Pflegebedürftige als angenommen gebe. 360.000 Menschen sind
Lauterbach zufolge im vergangenen Jahr dazugekommen, in diesem Jahr
rechne man mit zusätzlichen Pflegebedürftigen. Zudem seien Löhne in
der Pflege gestiegen.
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), der auch die
Pflegekassen vertritt, hatte schon im Juni ein Minus von 1,5
Milliarden in diesem und 3,4 Milliarden Euro im nächsten Jahr
prognostiziert. Rechnerisch entspräche das einer Beitragsanhebung von
0,2 Punkten zum nächsten Jahr. Nun wird in der Regierung laut RND
aber von einem Erhöhungsbedarf von 0,25 bis 0,3 Punkten ausgegangen.
Auch der Spitzenverband der Kassen korrigierte am Montag auf 0,25
Prozentpunkte nach oben. Wenn andere Reformen ausblieben, sei
mindestens so viel notwendig, damit die Zahlungsfähigkeit der
Pflegeversicherung gesichert bleibe.
Anstieg auch bei Krankenkassenbeiträgen erwartet
Auch bei den Krankenkassenbeiträgen wird - wie schon länger bekannt
ist - mit einem Anstieg im nächsten Jahr gerechnet. Beim
Kassen-Spitzenverband ist von mindestens 0,6 Prozentpunkten die Rede,
laut RND könnten es auch 0,7 werden. Zusammen mit dem
Pflegeversicherungsplus also bis zu 1 Prozent Abzüge mehr? Das wären
bei einem Brutto von 3.000 Euro grob gerechnet 15 Euro weniger netto
im Monat (die anderen 15 Euro zahlt der Arbeitgeber) - aufs Jahr
gerechnet also 180 Euro weniger.
Genaueres wird erst in den kommenden Wochen klar. Ein Expertengremium
- der sogenannte Schätzerkreis - gibt jährlich im Herbst eine
Prognose zur Finanzentwicklung bei den Krankenkassen und eine
rechnerisch daraus folgende mögliche durchschnittliche
Beitragserhöhung ab.
Steuergeld statt höhere Beiträge?
Der GKV-Spitzenverband forderte Sofortmaßnahmen, um eine
Beitragssatzanhebung in der Pflegeversicherung doch noch abzuwenden.
Die Versicherung hat demnach während der Corona-Pandemie etwa 5,3
Milliarden Euro zusätzlich ausgeben müssen, etwa für Tests oder Boni
fürs Personal - damit habe der Staat sie allein gelassen und müsse
das nun ausgleichen. Außerdem sollte die Pflegekasse nicht
Rentenbeiträge für pflegende Angehörige zahlen müssen, dies solle
ebenfalls aus Bundesmitteln finanziert werden.
Mit beiden Schritten könnten nach Rechnung des Verbands rund neun
Milliarden Euro zusammenkommen. Doch auch die lassen sich nicht
einfach aus dem Hut zaubern. Die Ampel müsste politisch entscheiden,
solche Summen anderswo zu mobilisieren - und das bei einem Haushalt,
in dem es sowieso schon an allen Ecken und Enden knirscht. «Jetzt ist
keine Zeit zu verlieren. Die Ampel-Koalition muss unverzüglich
erklären, woher das Geld kommen soll», sagte Eugen Brysch, Vorstand
der Deutschen Stiftung Patientenschutz.
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