Der «Hexaschuus» und andere Probleme Von Anne-Sophie Schuhwerk, dpa

Ein Dialektkurs an der Klinik Mindelheim bringt Medizinern
sprachliche und kulturelle Besonderheiten des Allgäus näher. Die
Menschen dort ticken anders, sind sich Teilnehmer und Organisatoren
einig.

Mindelheim (dpa/lby) - Samir Garayev ist Assistenzarzt in der
Chirurgie der Klinik in Mindelheim, steht kurz vor dem Facharzt und
stammt aus Aserbaidschan. Fließend spricht er neben seiner
Heimatsprache auch Englisch, Französisch, Russisch, Türkisch und
Deutsch. Letzteres auf dem Sprachniveau C1, laut europäischem
Referenzrahmen für Sprachen kann er damit «Fachkundige
Sprachkenntnisse» nachweisen. Zum Verständnis der sprachlichen und
kulturellen Eigenheiten der Allgäuer besucht er gemeinsam mit rund 20
seiner Kollegen nun einen eigenen Kurs an der Klinik. 

«Sprache und Schmerzempfinden sind hier schon anders», sagt der
35-Jährige mit einem leisen Schmunzeln in feinstem Hochdeutsch. Einen
Vergleich kann er ziehen: Bevor er vor acht Jahren ins Allgäu kam,
absolvierte er Teile seines Studiums in Berlin und Düsseldorf. Das
beste Beispiel ist für ihn der Fuß. Der ist überall sonst eben genau

das - der Körperteil unterhalb des Sprunggelenks. «Im Allgäu kann
jemand auch einen Oberschenkelhalsbruch haben, wenn ihm der wehtut.
Denn hier hört der Fuß erst am Becken auf», erklärt er. 

`Hexaschuus'und weitere Kuriositäten

Weitere kuriose Eigenheiten des Allgäuerischen und Schwäbischen, die
für Ärzte von Bedeutung sind, hat Ulrich Ratzer parat. Der
pensionierte Gymnasiallehrer leitet den Kurs für Mediziner, der in
diesem Jahr den Dialektpreis des bayerischen Heimatministeriums
bekam, seit seinem Beginn im Januar. «Wenn ein Allgäuer ins
Krankenhaus kommt und erzählt, er habe einen `Hexaschuus' und `s isch
ihm ins Kreuz gfahre' muss man erst einmal draufkommen, dass das die
hochdeutschen Schmerzen im Lendenwirbelbereich sind», sagt der
68-Jährige. 

Wie groß der Schmerz eines Patienten in der Region tatsächlich ist,
sei für Menschen mit anderer Muttersprache ebenfalls schwer
herauszufinden. «Wenn es einen Allgäuer `bissl zwickt', kann durchaus
heftiger Schmerz dahinterstecken. Im Ausdruck sind Allgäuer und
Schwaben sehr zurückhaltend», erklärt Ratzer. 

Bedeutung für Beziehung zum Patienten

Dass die Sprache nicht nur zum Stellen der richtigen Diagnose,
sondern auch für die Beziehung zwischen Arzt und Patient wichtig ist,
weiß der leitende Oberarzt Georg Aumann. Er hat den Dialektkurs
initiiert und will seinen Ärzten so den Zugang zu den Allgäuern
erleichtern sowie eine Bindung zur Region schaffen. «Rund 50 Prozent
unserer Assistenzärzte kommen aus dem Ausland und haben hoch dotierte
Deutschzertifikate in der Tasche. Sie können alle möglichen
Konjunktive aufzählen, haben aber Probleme bei der Sprache der
breiten Bevölkerung», sagt er. 

Garayev konnte diese lösen. Er weiß heute, dass es nichts mit dem
Verb fliegen zu tun hat, wenn einer seiner Patienten `d Stiag na
gfloge' ist und es auch wenig mit hauen zu tun hat, wenn einer sich
`d Grind oghaue' hat. «Es ist mir einfach wichtig, mit meinen
Patienten auch einen Scherz machen zu können und die Untertöne zu
hören», sagt er über seine Motivation. 

«Nicht nur an der Oberfläche kratzen»

Auch der kulturelle Teil des Kurses fasziniere ihn. Darin erklärt
Ratzer beispielsweise, woher Ortsnamen kommen und was der
Weißwurstäquator ist. «Mir geht es einfach darum, in die Menschen
hineinfühlen zu können. Und darum, mich wirklich rundum zu
integrieren. Ich will nicht nur an der Oberfläche kratzen», sagt
Garayev. 

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